# taz.de -- Aktion „Die Toten kommen“: Der Rasen der Republik | |
> Tausende verwandelten am Sonntag die Wiese vor dem Reichstag in einen | |
> symbolischen Friedhof. Jetzt schlägt das Grünflächenamt zurück. | |
Bild: Gräber ausheben vor dem Reichstag: Tausende strömten am Sonntag auf das… | |
BERLIN taz | Vertikutieren, belüften, Rasen säen und düngen: Das, und | |
nichts anderes, soll zurzeit mit der Wiese vor dem Reichstagsgebäude | |
geschehen. So hat es das zuständige Grünflächenamt des Bezirks Mitte | |
bestimmt und dafür bereits Ende April den gern als „Vorgarten der Republik“ | |
titulierten Rasen eingezäunt. Doch daraus wurde nichts: Tausende | |
DemonstrantInnen stürmten am Sonntag bei einer vom „Zentrum für Politische | |
Schönheit“ initiierten Aktion die Wiese und verwandelten sie im Gedenken an | |
die Flüchtlinge, die an Europas Außengrenzen sterben, in ein veritables | |
Gräberfeld. | |
Der Zaun fiel innerhalb von Sekunden, Schaufeln und Hände gruben sich in | |
die Erde. Das ein oder andere Grasbüschel flog gar durch die Luft in | |
Richtung der Polizei, die wiederum mit ihren schweren Stiefeln die zarten | |
Halme plättete. Die Aktion sorgt bundesweit für politische Debatten – doch | |
wer denkt eigentlich an den schönen Rasen? Die Antwort darauf ist leicht: | |
Das Grünflächenamt Berlin-Mitte natürlich. | |
Dort ist die Aufregung groß: Der Baustadtrat des Bezirks Mitte, Carsten | |
Spallek (CDU), beziffert den Schaden auf 10.000 Euro und schickt ein | |
gepfeffertes Statement: Das Demonstrationsrecht sei „aufs Gröbste | |
missbraucht“ worden, die Veranstalter hätten „Randalierern ein Forum“ | |
geboten und sich damit „gleich gemacht mit Chaoten, die nur auf Krawall aus | |
sind“. Grünflächenamtsleiter Harald Büttner, berlinweit bekannter | |
Verteidiger der bezirklichen Rasenstücke, ist aus Krankheitsgründen nicht | |
zu sprechen - ihm, der sich gern wortgewaltig für seine Grünflächen | |
einsetzt, blutet angesichts der aktuellen Ereignisse vermutlich das Herz. | |
## Demonstranten sollen zahlen | |
Diese Wiese, das muss man wissen, ist ein nahezu heiliger Rasen, um dessen | |
Nutzung es seit Jahren Konflikte gibt. Zwar gibt es seit 1999 offiziell | |
keine Bannmeile mehr, „befriedeter Bezirk“ ist das Gelände aber weiterhin, | |
wodurch politische Veranstaltungen hier besonders leicht verboten werden | |
können. | |
Dazu kommt der Streit um den Rasen selbst: 2011 stellte der notorisch | |
klamme Bezirk Mitte dessen Pflege aus Geldmangel praktisch komplett ein, | |
seitdem gab es hier keinen Rasen mehr, sondern je nach Witterung eine Sand- | |
beziehungsweise Schlammwüste. Erst im letzten Jahr dann die Wende: | |
Plötzlich beschloss der Bundestag, nun doch Geld für seinen Vorgarten | |
auszugeben - die aktuellen Sanierungsmaßnahmen sind Folge dieser | |
Entscheidung. | |
Und nun? „Aktuell beräumt eine Pflegefirma den Platz“, teilt der Bezirk | |
mit, bis Ende Juli müsse dieser nun vermutlich abgesperrt bleiben. Man | |
wolle die „Verursacher finanziell zur Rechenschaft ziehen“, das sei | |
allerdings schwierig: Viele von ihnen würden „dem schwarzen Block“ | |
zugehören, dessen Mitglieder häufig „über keine eigenen finanziellen Mittel | |
verfügten“. | |
## 91 Festnahmen | |
Ob das Zentrum für Politische Schönheit, das mit Bauanleitungen dazu | |
animiert hatte, überall in Deutschland symbolische Gräber auszuheben, für | |
die Gräber belangt werden kann, ist offen. Offiziell hatten die | |
Organisatoren ihre Veranstaltung zum Zeitpunkt der Wiesenstürmung schon | |
beendet. | |
Für einige der DemonstrantInnen hat die Aktion allerdings auch ohne | |
Forderungen zur Rasenrettung ein Nachspiel: 91 Festnahmen habe es gegeben, | |
teilte die während der Aktion überwiegend überfordert wirkende Polizei am | |
Montag mit, ermittelt werden wegen Landfriedensbruch, Hausfriedensbruch und | |
Sachbeschädigung. | |
22 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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