# taz.de -- HSV-Parkplatz und Flüchtlinge: Das Schweigen am Zaun | |
> Der Hamburger Senat streitet mit dem Hamburger Sportverein um einen | |
> Parkplatz. Es geht darum, wo Flüchtlinge leben dürfen. | |
Bild: Vor dem HSV-Stadion: Zelte und Container, die als Unterbringungsmöglichk… | |
HAMBURG taz | Man könnte sagen, dass ein Parkplatz wenig Potenzial für | |
Ungewissheit hat, aber das ist natürlich Unsinn, man kann auch über | |
Parkplätze streiten und die Frage, wer im Recht ist: die Stadt Hamburg, die | |
hier Flüchtlinge unterbringen will, oder der Hamburger Sportverein, der | |
sagt: Hier nicht, hier müssen unsere Fans parken. | |
Niemand hat so richtig Lust, über diese Geschichte zu reden, dabei haben | |
sowohl die Stadt, genauer die Innenbehörde, als auch der HSV einen ganzen | |
Apparat, um solche Fragen zu beantworten. Aber dem Verein, dessen | |
Männerfußballclub als einziger von Anfang an in der Bundesliga dabei ist | |
und dabei nie abgestiegen, fällt nach zwei Tagen Bedenkzeit lediglich ein, | |
dass er „aktuell nicht mehr sagen“ kann, und die Innenbehörde ist das Thema | |
ohnehin leid. Flüchtlingsunterkünfte sind ein schwieriges Thema. Da kann | |
der Streit um einen Parkplatz sehr grundsätzlich werden. | |
Das Parkplatzareal „Braun“, um das Stadt und HSV streiten, liegt etwa einen | |
Kilometer vom Stadion des Vereins entfernt – Müllverbrennungsanlage | |
gegenüber, Autobahn links, weiter hinten Kleingärten. Ein petrolfarbener | |
Golf mit zerschlagenen Fenstern steht dort und ein weißer Imbisswagen, auf | |
den jemand mit gelber Farbe „Kosovo“ geschrieben hat und dann hat noch | |
einmal jemand „Kosova“ dazugepinselt, weiß auf weiß. | |
Der Parkplatz gehört der Stadt, die ihn an den HSV verpachtet hat. Er | |
schließt an eine der größten Flüchtlingsunterkünfte in Hamburg an, die | |
zentrale Erstaufnahmestelle Schnackenburgallee, in der 1.300 Flüchtlinge | |
leben. „Durchreiseplatz“ steht auf einem blauen Schild, und genau das ist | |
er auch, ein Provisorium, mit den weißen Containern auf der linken Seite | |
und den genauso weißen Zelten auf der rechten, die man aufgestellt hat, als | |
man sich nicht mehr anders zu helfen wusste. | |
## Ein Zaun, zwei Meter hoch | |
Hamburg hat in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 5.725 Flüchtlinge | |
untergebracht, das sind so viele wie im gesamten Vorjahr. Vor einem Jahr | |
waren es monatlich 400, die kamen, nun sind es 300 pro Tag. Gerade haben | |
die Nachbarländer Schleswig-Holstein und Niedersachsen abgewunken, denen | |
die Stadt vorgeschlagen hatte, ihr gegen Bezahlung Flüchtlinge abzunehmen. | |
Um die Zelte und die Container herum steht ein Zaun, zwei Meter hoch, | |
dahinter ein paar Kinder auf Fahrrädern, zwei junge Männer fahren gemeinsam | |
auf einem davon, ein Kind klettert den Zaun hoch und ein Mann hat sich | |
daran angelehnt und liest. Der Zaun ist zu klapprig, um zu verhindern, dass | |
jemand das Gelände betritt oder verlässt, vermutlich geht es mehr um das | |
Symbolische. | |
Der Flüchtling, der am Zaun lehnt, liest „English for Travel“. Es ist noch | |
nicht so einfach mit dem Englisch, aber so viel wird doch klar, dass er | |
nicht einfach so mit einem reden kann, sondern dass er eine Erlaubnis, eine | |
„Karte“, bräuchte, um dann draußen mit einem zu sprechen – aber die hat… | |
nicht. | |
Ein anderer, vor dem Zaun, erzählt, dass er seit zwei Wochen hier sei, | |
geflohen aus Benin, Westafrika, dass es im Zelt nachts kalt werde und es | |
hier Rassismus gebe: Kürzlich hätten Albaner einen kleinen Jungen | |
gepiesackt, weil er nicht sagen wollte, woher er geflüchtet ist. Es gibt | |
Stimmen, die es ohnehin für keine gute Idee halten, das Heim an der | |
Schnackenburgallee zu erweitern. Es sind solche, von denen man annehmen | |
kann, dass sie tatsächlich das Wohl der Flüchtlinge im Auge haben, solche, | |
die sagen, dass, je größer die Unterkünfte werden, desto wahrscheinlicher | |
die Konflikte darin sind. | |
## Revier markiert | |
Rund um den Parkplatz Braun steht seit Kurzem ebenfalls ein klappriger | |
Absperrzaun. Vielleicht hat die Innenbehörde hier Fakten schaffen wollen, | |
vielleicht hat der HSV das, was er für sein Revier hält, markiert. Die | |
Innenbehörde weiß von nichts. Zwischenzeitlich war der Ton zwischen den | |
beiden eher rau geworden: Der Mediendirektor des Vereins sprach von einer | |
„Enteignung“, auf die der HSV mit einer Unterlassungserklärung reagierte. | |
Die Innenbehörde hingegen sagt, der Sportverein habe vorab zugestimmt, dass | |
Zelte auf dem Parkplatz aufgebaut wurden. | |
Es gibt noch ein paar mehr Zutaten aus dem „So war es“- „So war es aber | |
nicht“-Bereich, zu dem jetzt niemand mehr etwas sagen möchte. Der HSV | |
erklärt, den Platz mit seinen 400 Parkplätzen bei Heimspielen dringend zu | |
brauchen, die Behörde findet, er sei wenig genutzt und das Argument schwer | |
vermittelbar. Der HSV sagt außerdem, er sei um Lösungen bemüht und habe als | |
Alternative einen Parkplatz zwei Kilometer weiter an der Luruper Chaussee | |
angeboten. Ungeeignet soll den die Behörde gefunden haben, da man dort | |
keine sanitären Anlagen aufstellen könne. | |
Jetzt schweigen sie bei der Stadt und im Fußballverein, der Sprecher der | |
Innenbehörde sagt nur noch, man befinde sich in „konstruktiven Gesprächen�… | |
Man braucht sich noch: die Innenbehörde die Flächen des HSV und der | |
Hamburger Sportverein die Stadt. Die möchte sich nicht mehr zu möglichen | |
Alternativ-Plätzen äußern. „Spekulationen“ nennt sie das. | |
Es ist das Schweigen, das in dieser Geschichte interessant ist: das | |
Schweigen des Englisch lernenden Flüchtlings, das Schweigen der Behörde | |
über mögliche Flüchtlingsunterkünfte. | |
## Notfalls per Polizeirecht durchsetzen | |
Die Stadt weiß, dass solche Pläne für Unruhe sorgen unter den Anwohnern. Im | |
Hamburger Stadteil Jenfeld etwa: Dort haben Anwohner kürzlich den Weg für | |
die Wagen des Roten Kreuzes blockiert, die dort Zelte für eine neue | |
Flüchtlingsunterkunft aufbauen wollten. „Sie nehmen uns die letzte | |
Grünfläche“, riefen die Leute. Und dass niemand ihnen vorher Bescheid | |
gegeben habe. Die Mitarbeiter des Roten Kreuzes sind unverrichteter Dinge | |
wieder abgezogen. Ein paar Tage kamen sie wieder und trafen auf über 100 | |
linke Demonstranten, die beim Aufbau helfen und mit den Anwohnern | |
diskutieren wollten. | |
Im feinen Harvestehude wehrt man sich anders: da klagen die Anwohner gegen | |
die geplante Flüchtlingsunterkunft. Es gibt auch welche, die sich für die | |
Flüchtlinge einsetzen, auch in Harvestehude, sie haben einen | |
Willkommens-Verein gegründet. Schwer zu sagen, was überwiegt. | |
Der Hamburger Sozialsenator will notfalls mit Polizeirecht Unterkünfte | |
durchsetzen, der Innensenator, der nebenbei auch Sportsenator ist, hat den | |
Harvestehudern angekündigt, und der Zorn war ihm anzumerken, dass künftig | |
jeder Hamburger, egal, in welchem Stadtteil er lebt, in einem Radius von | |
einem Kilometer ab seiner Haustür auf ein Flüchtlingsheim treffen werde. | |
Es geht in der öffentlichen Debatte jetzt häufiger um Gerechtigkeit. | |
Politiker aus sozial schwierigen Bezirken, wo viele Flüchtlinge | |
untergekommen sind, fragen laut, ob der Senat bei ihnen eher Fakten schafft | |
als anderswo. Dann kommen sehr schnell Leute, die darauf hinweisen, dass es | |
in den Bezirken unterschiedlich viel geeignete Flächen gebe, und die | |
Angelegenheit wird erneut sehr vage. | |
Man kann sich fragen, wozu ein Fußballverein verpflichtet ist. Natürlich | |
kann und muss er nicht die Probleme eines überforderten Landes lösen. Der | |
HSV muss auch nicht der FC St. Pauli sein, der schon lange Projekte | |
betreibt, wo sehr grundsätzlich und praktisch gegen Rechtsextremismus | |
gearbeitet wird, eine Willkommenskultur, die tatsächlich nachhaltig ist. | |
## Zeitungen schreiben von einem Shitstorm | |
Was der HSV tut: Er will im Rahmen seines neuen Sozialprojekts „Hamburger | |
Weg“, das schon vor dem Ärger um den Parkplatz geplant war, ein Café für | |
Flüchtlinge in der Schnackenburgallee einrichten. Der Vorstandsvorsitzende | |
hat auf die 40 bis 100 Flüchtlinge verwiesen, die bei jedem HSV-Heimspiel | |
dabei gewesen seien. Der Mann aus Benin hat noch nie von den Freikarten des | |
HSV gehört, aber er ist auch erst seit zwei Wochen hier. | |
Zeitungen schreiben von einem Shitstorm, der sich über den Club ergossen | |
habe; in den Kommentaren auf den Internetseiten dieser Zeitungen ist wenig | |
davon zu finden. Ein Leser schämt sich fremd für den HSV, aber den meisten | |
scheint legitim, was er tut: Der HSV brauche nun mal seinen Parkplatz. Und | |
dann kommen auch schon diejenigen, die „den Westen voll finden“, manchen | |
genügt „Asylantenpack“, und vielen gehen die „Gutmenschen und Zecken“,… | |
selbst nichts täten, auf den Geist. | |
Auf den Parkplatz Braun kommt ein fülliger, braun gebrannter Mann in gelbem | |
T-Shirt mit einer Liege in der Hand. „Das ist mein Sonnenplatz“, sagt er | |
und klappt die Liege neben einem Gebüsch aus. „Ich bin kein HSV-Fan“, sagt | |
er, aber was die Stadt gemacht habe, sei Enteignung gewesen. Woanders sei | |
doch auch Platz, „zum Beispiel in Richtung Industriegebiet“. | |
Der Mann sonnt sich seit Jahren hier, er kam vor den Flüchtlingen. Mit | |
denen habe er kein Problem. „Solange sie mich in Ruhe lassen, lasse ich sie | |
auch in Ruhe“, sagt er. „Sie dürfen bloß nicht zu nahe an mich | |
herankommen.“ | |
An den Zaun kommen jetzt drei Security-Männer, ein Flüchtlingsjunge | |
umradelt sie. Die Unterkunft reiche bis zum Gebüsch, sagen die | |
Security-Männer und damit auch das Hausrecht und damit auch das Verbot | |
unangemeldeter Interviews. Der braun gebrannte Mann will ohnehin nichts | |
mehr sagen, er will sich auf seine Liege legen. | |
26 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
HSV | |
Unterkunft | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
Konversion | |
Hamburg | |
Leerstand | |
Deutschland | |
Schwerpunkt Flucht | |
Flüchtlinge | |
Hamburg | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Flüchtlingsunterbringung: Der Flüchtling, dein Untermieter | |
Bei der Unterbringung von Flüchtlingen sprechen viele von einer Art | |
Notstand, aber kaum jemand will daraus ganz persönlich die Konsequenzen | |
ziehen. | |
Vorschlag der Opposition: Die Saga soll Flüchtlinge unterbringen | |
Hamburgs Linke fordert eine Ende der „Notlösungen“ bei der | |
Flüchtlingsunterbringung und die CDU will, dass der Bürgermeister das Thema | |
zur Chefsache macht. | |
Flüchtlinge in Messehallen: Angekommen unter Tausenden | |
In der Messehalle B6 warten Flüchtlinge darauf, „umverteilt“ zu werden. Bis | |
dahin wohnen sie mit 1.030 anderen unter einem Dach. | |
Unterkünfte für Flüchtlinge: Leerstand zu Wohnraum | |
Salzgitters Oberbürgermeister will Flüchtlinge in leer stehenden Wohnungen | |
unterbringen – auch gegen den Willen der Eigentümer. | |
Wohin mit den Flüchtlingen?: Asyl in Kolonial-Kaserne | |
Stadtentwicklung Die Wohnsiedlung in der Lettow-Vorbeck-Kaserne, kommt | |
nicht so recht voran. FDP und Linke schlagen Flüchtlingsdorf vor | |
Forscher über Massenunterkunft: „Ein Leben im Provisorium“ | |
Hamburg will 1.200 Flüchtlinge in einer Messehalle unterbringen. Was das | |
mit ihnen und den Anwohnern macht, erklärt Migrationsforscher Oltmer. | |
Leerstand zu Wohnraum: Leerstand bei Bundesgebäuden | |
Flüchtlinge könnten in leerstehende Bundes-Immobilien einziehen. Doch | |
Hamburg setzt auf weitere Container-Unterkünfte. | |
Flüchtlingspolitik in Deutschland: Wankelmütige Gastfreundlichkeit | |
Die Mehrheit der Deutschen lehnt grenznahe Aufnahmeeinrichtungen für | |
Flüchtlinge ab. 52 Prozent sind gegen Leistungskürzungen für Flüchtlinge. | |
Kommentar Migration und Flucht: „Spurwechsel“ muss möglich sein | |
Es braucht mehr Flexibilität bei den Zugängen nach Deutschland. Flüchtlinge | |
sollten nach Qualifikation in Deutschland auch arbeiten können. | |
Diskriminierung: Ankunft mit Nebenwirkungen | |
Die Hamburger Linke macht auf die Diskriminierung queerer Flüchtlinge in | |
den Unterkünften aufmerksam und fordert sicheren Wohnraum. | |
HSV und Flüchtlinge in Hamburg: Nicht auf meinem Parkplatz | |
In Hamburg wird über eine neue Erstaufnahmestelle am HSV-Stadion | |
diskutiert. Doch der Fußballverein lehnt das ab. | |
Drohende Abschiebung nach Mazedonien: Der Traum vom Bleiben | |
Gamze B. hat ihren Schulabschluss an einer Hamburger Schule gemacht, eine | |
Lehrstelle hat sie auch. Doch die Familie ist von Abschiebung bedroht. | |
Roma protestieren in Hamburg: Keinen Schritt zurück | |
In Hamburg demonstrieren Roma für ein Bleiberecht – selbstorganisiert und | |
jedem Trend deutscher Abschiebepolitik zum Trotz. |