# taz.de -- Debatte Flüchtlinge: Das Frauenbild mancher Rassisten | |
> Wenn Frauenrechte zur Flüchtlingsabwehr herhalten, mischen sich Sexismus | |
> und Rassismus. Gefahren für Flüchtlingsfrauen werden nicht beachtet. | |
Bild: Nicht nur Männer, sondern auch Frauen und ganze Familien sind auf der Fl… | |
Es war nur eine Frage der Zeit, wann der Sex ins Spiel gebracht würde, und | |
jetzt ist es so weit. Viel verdiente Empörung hat der Philologenverband | |
Sachsen-Anhalt vergangene Woche geerntet, als er warnte, junge (deutsche) | |
Mädchen könnten sich mit Flüchtlingen einlassen. Im Editorial der | |
Verbandszeitschrift war von einer „überschwappenden“ „Immigranteninvasio… | |
die Rede, es wurden Klischees von potenten Südländern und dem sexuellen | |
Appetit „ungebildeter“ Männer reaktiviert. | |
Was unterging: In diesen und ähnlichen Auslassungen zum Thema „Flüchtlinge | |
& Sex“ offenbart sich nicht nur der Rassismus zahlreicher | |
Besorgt-Bürger*innen, sondern auch deren Sexismus. Ich zitiere das | |
Philologen-Magazin: „Schon jetzt hört man aus vielen Orten in Gesprächen | |
mit Bekannten, das [Schreibfehler im Philologen-Original] es zu sexuellen | |
Belästigungen im täglichen Leben, vor allem in öffentlichen Verkehrsmitteln | |
und Supermärkten, kommt. Auch als verantwortungsbewusste Pädagogen stellen | |
wir uns die Frage: Wie können wir unsere jungen Mädchen im Alter ab 12 | |
Jahren so aufklären, dass sie sich nicht auf ein oberflächliches sexuelles | |
Abenteuer mit sicher oft attraktiven muslimischen Männern einlassen?“ | |
Lediglich ein Absatz trennt den ersten von dem zweiten Satz. Und nichts | |
deutet darauf hin, dass die beiden Verfasser*innen selbst bemerkt hätten, | |
dass das zwei völlig unterschiedliche Dinge sind: erstens die sexuellen | |
Belästigungen im Supermarkt (die theoretisch denkbar, in diesem Fall aber | |
vermutlich erfunden sind), und zweitens das freiwillige Anbändeln von | |
Mädchen mit jungen Männern. | |
Ich traue mich kaum, das Offensichtliche auszusprechen, aber: Nicht erst | |
bei der sexuellen Gewalt, sondern auch bei der Belästigung ist das | |
entscheidende Kriterium die fehlende Einvernehmlichkeit. Auch eine Avance | |
zum Beispiel kann je nach Kontext Belästigung sein, ist dies aber nicht | |
automatisch, auch dann nicht, wenn sie abgelehnt wird. Entscheidend ist | |
vielmehr, ob die Ablehnung hingenommen wird oder ob der Initiator | |
beharrlich, bedrängend, grenzverletzend agiert. | |
Etwas ganz anderes sind gemeinsam genossene sexuelle Abenteuer, deren | |
„Oberflächlichkeit“ den Vertreter*innen des Philologenverbands in guter | |
1950er-Jahre-Manier zuwider ist. Was also befürchten sie: dass jugendliche | |
Mädchen ihre Sexualität leben? Oder dass sie sich in Situationen erhöhter | |
Verletzlichkeit begeben (wie bei, sorry to bring it to you, guys, jeder | |
intimen heterosexuellen Begegnung)? Dass sie ungewollt schwanger werden? | |
Oder schlicht und einfach „Rassenschande“? | |
## Es flüchten nicht nur Männer | |
Es gäbe so viel zu dem Frauenbild und zu dieser Geringschätzung weiblicher | |
Sexualität und Selbstbestimmung zu schreiben, die hinter solchen Warnungen | |
stecken . . . | |
Doch auch die Emma – fälschlicherweise oft mit radikalem Feminismus | |
gleichgesetzt – trägt ihr Scherflein dazu bei, Frauen und ihre | |
Handlungsfähigkeit herunterzuspielen. Ironischerweise genau dort, wo es | |
vermeintlich um Frauen geht, ich zitiere vom aktuellen Titelblatt: „Wir | |
helfen Flüchtlingen. Aber die Frauenrechte dürfen nicht auf der Strecke | |
bleiben.“ Wenn ich als Redakteurin solche Zeilen in der Titelkonferenz | |
vorgelegt bekäme, würde ich sofort feministisch intervenieren: „Das können | |
wir so einfach nicht schreiben!“ Denn Flüchtlinge (sprich: geflüchtete | |
Menschen) sind nicht nur Männer, was ja der Gegensatz zu „Frauenrechten“ | |
hier suggeriert. | |
Ich meine diesen Hinweis nicht nur korinthenkackerisch oder sozusagen | |
philologisch. Leider sind im gesamten öffentlichen Diskurs über | |
Flüchtlinge, „Migranten“ und „Muslime“ das generische Maskulinum und d… | |
Unsichtbarkeit von Frauen in Gruppenzuschreibungen völlig üblich. | |
Unbekümmert wird seit Jahren darüber diskutiert, ob „Muslime“ Machos seien | |
und „ihre“ Frauen misshandeln – als ob es keine Musliminnen gäbe. | |
Oder bei dem Emma-Kontrast zwischen Flüchtlingen und Frauenrechten: Was ist | |
denn mit den Frauenrechten der (weiblichen) Flüchtlinge? Immerhin im | |
Heftinnern erinnert sich Alice Schwarzer der geflüchteten Frauen und | |
schreibt, dass diese „manchmal auch gegen die eigenen Männer“ geschützt | |
werden müssten. Ja, allerdings nicht nur gegen die „eigenen“. Frauen ohne | |
eigene vier Wände, ökonomische Sicherheit und festen Aufenthaltsstatus sind | |
sexueller Gewalt aus dem Nahbereich, aber auch seitens der Entscheider, | |
Polizisten, Aufseher, Schlepper und Mittelsmänner aller Art ausgesetzt. Das | |
reicht von der sexuellen Belästigung bis hin zur Zwangsprostitution (die | |
für geflüchtete Frauen und junge Männer in Deutschland belegt ist). | |
## Und die Familien? | |
Frauen auf der Flucht sind besonders verwundbar, bedürftig und erpressbar. | |
Dennoch sind sie keine passive Manövriermasse. Bekannterweise fliehen viele | |
Familienväter über die gefahrvolle Mittelmeerpassage „voraus“, während | |
Mütter mit Kindern an früheren Fluchtstationen wie in der Türkei in | |
Wartestellung bleiben. | |
So zu tun, als wäre dies nicht gemeinsame Entscheidung der Eltern, sondern | |
nur der betreffenden Männer, heißt wiederum, die flüchtenden Frauen | |
unsichtbar zumachen. | |
Hierzu ein weiterer Satz der Philologen, die wiederum mit der Terminologie | |
vergangener Jahrzehnte argwöhnen: „Viele der Männer kommen ohne ihre | |
Familien oder Frauen und sicher nicht immer mit den ehrlichsten Absichten.“ | |
Nun weiß ich wenig über die Absichten von Menschen, die ich nicht kenne, | |
aber eins ist sicher: Die beabsichtigte Rettung der gesamten Familie baut | |
auf dem Prinzip des Familiennachzugs. Es ist eine vitale Frage, dass wir | |
bei „Flüchtlingen“ in gleichem Maße und im selben Atemzug daran denken, | |
dass Männer und Frauen flüchten. Dass wir dabei nicht nur an die Rechte | |
derjenigen Frauen denken, die bereits hier sind, sondern auch die Rechte | |
derer, die noch warten. | |
Und natürlich, dass wir Thomas de Maizière und Freunde loswerden, deren | |
anvisierte Abschaffung des Familiennachzugs für Syrer*innen unzählige | |
weitere Menschen in den Tod locken würde. | |
11 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Hilal Sezgin | |
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