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# taz.de -- Asyl für Frauen: Besonders schutzlos
> Flüchtlingsfrauen waren oft in ihrer Heimat besonders bedroht. Auch in
> deutschen Unterkünften sind sie in Gefahr. In Schleswig-Holstein fordern
> nun Experten ein Schutz-Konzept.
Bild: Opfer der Terrormiliz Boko Haram: Frauen warten nach ihrer Rettung in ein…
HAMBURG taz | Wenn Frauen ihre Heimat verlassen, fliehen sie oft vor einer
anderen Art von Leid als Männer. Sie haben nicht selten Vergewaltigungen
oder Verstümmelungen ertragen müssen. Eine Frau zu sein kann in einigen
Gesellschaften bedeuten, bedroht zu sein.
Seit zwölf Jahren kann diese sogenannte geschlechtsspezifische Verfolgung
in Deutschland zu einem anerkannten Schutzanspruch führen. Zumindest
theoretisch können etwa Misshandlungen in der Familie unter das Asylrecht
fallen. Doch in der Praxis machen nur verhältnismäßig wenige Frauen von
diesem Recht Gebrauch.
Nach Angaben der Bundesregierung wurden im Jahr 2015 von mehr als 135.000
Menschen, die Flüchtlingsschutz erhielten, weniger als ein Prozent aufgrund
ihres Geschlechts geschützt. Zwar sind in dieser Auswertung nur ein Teil
der Asylsuchenden erfasst, sie gibt aber einen Hinweis auf ein größeres
Problem: Der Flüchtlingsbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, das
Diakonische Werk, die Kieler Frauenberatung Contra und die
schleswig-holsteinische Heinrich-Böll-Stiftung wollen nun auf einer
Fachtagung der Frage nachgehen, wie Flüchtlinge besser vor
geschlechtsspezifischer Verfolgung geschützt werden können.
Für den Vertreter des Flüchtlingsbeauftragten, Torsten Döhring, liegt die
Ursache für die wenigen offiziell Schutzbedürftigen mit
geschlechtsspezifischen Gründen vor allem an mangelnder Information. Frauen
wüssten oft nicht, „welche Gründe zu einer eigenständigen Anerkennung als
Flüchtling“ führen könnten. Vielen sei nicht bewusst, dass
Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung oder häusliche Gewalt ein
Schutzgrund sein können.
Er fordert eine bessere Beratung der Geflüchteten, etwa durch
„psychotherapeutisch geschultes Personal“. Auch das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge (Bamf), welches die Asylsuchenden anhört, müsse Frauen
besser unterstützen, sagt Döhring. So sei es etwa erforderlich, dass Frauen
ihre Anhörungsprotokolle vor ihrem Ehemann geheim halten können – zum
Beispiel, indem sie das Papier zeitlich versetzt geschickt bekommen.
Auch die Leiterin der Hamburger Rechtsberatung Fluchtpunkt, Anne Harms,
sieht in den Bamf-Gesprächen eine Ursache für die geringe Schutzquote.
„Sexualisierte Gewalt ist ein Massenphänomen, dem zumindest durch
subsidiären Schutz nicht genügend Rechnung getragen wird“, sagt sie. Dies
bedeutet zwar kein Recht auf Asyl, aber einen behelfsmäßigen Anspruch, in
Deutschland bleiben zu dürfen.
Denn nicht jede Vergewaltigung, die während eines Krieges geschehe, werde
als geschlechtsspezifische Diskriminierung gewertet. Doch ein subsidiärer
Schutz könne aus einer solchen Bedrohung sehr wohl erwachsen. Auch sie
sieht das Bamf in der Pflicht, behutsamer mit den Frauen zu reden.
Eine Sprecherin des Bundesamtes weist die Kritik an den Verfahren zurück.
„Bei jedem Asylverfahren handelt es sich um eine Einzelfallprüfung“, sagt
sie. Sobald im Gespräch ein solches Problem ersichtlich werde, würden
„speziell ausgebildete Entscheider“ hinzugezogen: „Wird in der Anhörung
deutlich, dass weiblichen Antragstellerinnen die Situation unangenehm ist“,
würden ihnen weibliche Beamte und Dolmetscherinnen angeboten.
Bereits im November hatte allerdings ein Fachgremium aus
Wohlfahrtsverbänden von der schleswig-holsteinischen Landesregierung
gefordert, Frauen schon in den Flüchtlingsunterkünften besser aufzuklären.
Schon vor dem Antrag beim Bamf müssten die Frauen über ihre Rechte
informiert werden, heißt es in dem gemeinsamen Papier. Ohnehin fehle es an
einem übergreifenden Gewaltschutzkonzept für Frauen und Kinder in
staatlichen Unterkünften. „Lediglich in den Städten Pinneberg, Flensburg
und Kiel“ gäbe es Pläne, wie man Flüchtlingsfrauen vor Übergriffen in der
Einrichtung schützt.
Zugleich sind Beratungsstellen spätestens seit dem vergangenen Jahr immer
häufiger mit geflüchteten Frauen konfrontiert. „Wir begegnen dem Thema
täglich“, sagt die Sprecherin des Landesverbandes Frauenberatung
Schleswig-Holstein, Maeve Reichel. Gerade in den ländlichen Gebieten seien
Beraterinnen mit den massiven Erfahrungen geflüchteter Frauen überfordert.
Es fehle an Schulungen und Fachpersonal, sagt Reichel.
Auch die Frauenhäuser im Land seien vom Andrang der geflohenen Frauen
überlastet. Jüngst habe sie bereits nach Plätzen in Mecklenburg-Vorpommern
gesucht. Wenn eine Frau ihren Mann verlassen wolle, gebe es oft wenig
Perspektiven für sie. Auch Männer, sagt Reichel, müssten besser über die
Rechte und Regeln in Deutschland aufgeklärt werden.
In anderen Bundesländern wurden vergangenes Jahr bereits erste
Gewaltschutzkonzepte für Flüchtlinge entwickelt. Ein bundesweites Gesetz,
das besonders schutzbedürftige Flüchtlinge gesondert behandelt – und damit
EU-Vorgaben entspricht –, fehlt dagegen bis heute.
5 Jan 2017
## AUTOREN
Kristiana Ludwig
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Geflüchtete Frauen
Asylverfahren
Genitalverstümmelung
Subsidiärer Schutz
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Nigeria
Fluchtrouten
Flüchtlinge
Sexuelle Übergriffe
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Rassismus
Frauen
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