# taz.de -- Digitales Frauenarchiv startet: Gedächtnis der Frauenbewegung | |
> In der männlichen Geschichtsschreibung werden Frauen gerne ignoriert. Das | |
> Digitale Deutsche Frauenarchiv kämpft jetzt gegen diese Lücke an. | |
Bild: Feministischer Block auf der Friedensdemo in Bonn am 10. Juni 1982 | |
Ab Donnerstag wird das weibliche Gedächtnis erheblich besser. Dann [1][geht | |
das Digitale Deutsche Frauenarchiv online], ein Zusammenschluss der | |
deutschen Frauen- und Lesbenarchive. Es ist im Aufbau, aber es wird in | |
Zukunft Emma und Courage verlinken, die winzigsten Leipziger | |
Zeitschriftchen aus Wendezeiten oder Die liebenden Frauen, eine | |
Lesbenzeitschrift aus den 1920ern. | |
Es wird Partituren von Komponistinnen geben, Bilder und Filme. Man kann | |
dann durch das handgeschriebene Tagebuch der Radikalfeministin Minna Cauer | |
blättern, die für das Frauenwahlrecht kämpfte, und im Nachlass von | |
Elisabeth Selbert stöbern, die den Gleichberechtigungsartikel ins | |
Grundgesetz schrieb. Es wird kuratiert und damit leicht zugänglich: Schon | |
jetzt erklären Historikerinnen in 60 Artikeln die wichtigsten Begebenheiten | |
und stellen wichtige Protagonistinnen vor, mitsamt endlosen Quellen. | |
Das ist historisch großartig, weil die männliche Geschichtsschreibung | |
Frauen und insbesondere die unbequemen Frauen gern unter den Tisch fallen | |
lässt. Als die Geschichtswissenschaft entstand, galten Frauen noch als | |
minderbemittelt, entsprechend wurde ihr Beitrag zur Geschichte bewertet – | |
oder besser gesagt: entwertet. Alles, was Frauen seitdem veranstalteten, um | |
wahrgenommen zu werden, wurde daher gern belächelt: Da mühen sie sich ab, | |
die dämlichen Damen, wie niedlich. | |
Als die zweite Frauenbewegung in Deutschland begann, dachte sie deshalb | |
eine Weile lang, sie sei die erste. Die Werke von Hedwig Dohm etwa, einer | |
eloquenten und lustigen frühen Radikalfeministin, waren einfach nicht mehr | |
präsent. Zwei Kriege und die Tatsache, dass die Deutsche Nationalbibliothek | |
hinter einem eisernen Vorhang in Leipzig stand, trugen ebenso dazu bei wie | |
die oben erwähnte Ignoranz der Historikerzunft. | |
Als den Frauen dämmerte, dass sie doch Vorbilder finden könnten, war ihr | |
Spürsinn erwacht: „Wenn nichts da ist, machen wir es eben selbst“, war das | |
Credo der Frauen damals, erinnert sich Gilla Dölle, Historikerin, die | |
jahrzehntelang das Frauenarchiv in Kassel geleitet hat, das in den frühen | |
Achtziger Jahren entstand. | |
## Schwarzer gegen die vielen | |
Sie durchkämmten die Antiquariate, wilderten auf Flohmärkten und freuten | |
sich diebisch, wenn sie aus staubigen Kisten geklaubte Schätze für eine | |
Mark erstanden, weil die Jungs deren Wert nicht kannten. Und dann gerieten | |
sie in den prägenden Kampf der Frauenbewegung, der bis heute andauert: der | |
der Alice Schwarzer gegen die vielen. | |
Der einen mit dem Monolithen-Radikal-Feminismus, der so unverändert ist, | |
dass in der Emma zu aktuellen Themen öfter mal historische Texte von | |
Schwarzer einfach erneut abgedruckt werden. Gegen die vielen Feminismen, | |
die es auch alle gibt, die zahmer oder wilder sind, andere Strömungen | |
anerkennen und aufnehmen und Lernprozesse durchmachen. Schlagkräftiger | |
Radikalfeminismus versus endlos disputierender pluraler Feminismus. In | |
Zeitschriften ausgedrückt: die Emma gegen die Courage. | |
Alice Schwarzer ist Profijournalistin, hat Mut, eine große Klappe und | |
radikale Thesen – mit anderen Worten: Sie ist exakt das, was Medien | |
brauchen. Und das gab ihr Macht, viel mehr Macht, als all die anderen | |
Frauen, die doch die Macht gerade infrage stellten, hatten. Und sie nutzte | |
sie. Das gab böses Blut, die ganze Geschichte der zweiten deutschen | |
Frauenbewegung ist davon geprägt. | |
Auch die der Frauenarchive: Alice Schwarzer organisiert in den achtziger | |
Jahren 10 Millionen Mark von Jan Philipp Reemtsma und holt damit die | |
Sammelfrüchte der Historikerinnen zu sich in ihren Kölner Frauenmediaturm, | |
der nun das Zentralgedächtnis der Frauenbewegung ist. Zack. | |
## Spaltung der Bewegung | |
Die anderen Archive gibt’s trotzdem noch, das FFBIZ in Berlin, oder das | |
Kasseler, das sich auf die erste Frauenbewegung spezialisiert hat und auch | |
die nicht-radikalen Strömungen verwaltet, die Vereine und Verbände, oder | |
eben auch den Nachlass von Elisabeth Selbert. Oder das | |
„Spinnboden“-Lesbenarchiv, das und all die vielen kleinen, regionalen | |
Stellen in Ost und West. Seit Jahrzehnten wollen sie sich vernetzen, einen | |
gemeinsamen Katalog aufbauen. Aber die zuständigen Ministerien verhalten | |
sich exakt so wie männliche Historiker aus dem neunzehnten Jahrhundert, da | |
können Gilla Dölle und ihre Kolleginnen, die nach jedem Regierungswechsel | |
wieder hoffnungsvoll vorsprechen, sich verrenken, wie sie wollen: Es gibt | |
kein Geld. | |
Bis Alice Schwarzer kommt. Alice Schwarzer allerdings will nicht die | |
Vernetzung finanzieren, nein, sie will ihren Frauenmediaturm in Köln | |
retten, dem der Geldhahn vom Land zugedreht worden war. Sie setzt ihre | |
Medienmacht in Gang und bekommt Frauenministerin Kristina Schröder herum, | |
ihr eine gute halbe Million zuzuschießen. Ausgerechnet die CDU-Ministerin, | |
die ihre Zeit im Ministerium damit verplemperte, kundzutun, dass sie | |
jedenfalls keinen Feminismus brauche. So groß ist die Macht der Alice | |
Schwarzer. | |
Das aber ist dann auch der Punkt, an dem den anderen Archivar*innen der | |
Kragen platzt. Allesamt stehen sie nun in Berlin auf der Matte. Und wie | |
könnte der Bund rechtfertigen, dass er ein Archiv in einem Bundesland | |
finanziert, eine bundesweite Vernetzung aller Archive aber nicht? Gar | |
nicht. Kristina Schröder bewilligt noch einmal 1,2 Millionen Euro pro Jahr | |
bis 2019 – und das Digitale Deutsche Frauenarchiv geht an den Start. | |
Das Digitale Deutsche Frauenarchiv ist deshalb ein leiser, aber nicht zu | |
leugnender Triumph: Der erste ist der über das große Vergessen | |
feministischer Geschichte. Der zweite ist der über die Spaltung der zweiten | |
Frauenbewegung. Dass die vielen die große Macht der einen für sich nutzen | |
konnten, anstatt sich von ihr an die Wand drängen zu lassen, wie sonst so | |
oft. Und das Beste an der Sache: Kristina Schröder, dieser feministische | |
Totalausfall, hat das alles ermöglicht. Der wahre Name des Archivs sei | |
deshalb hier schon mal vorab verraten: „Kristina-Schröder-Archiv für | |
Geschichten, die Sie nicht für möglich hielten“. | |
13 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/start | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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