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# taz.de -- Feministische Belletristik: Manifeste? Jetzt kommen Romane
> Der Feminismus taugt nun für massenkompatible Fiktionen. Das beweisen die
> aktuellen Bücher von Meg Wolitzer und Christina Dalcher.
Bild: Sich den Mund nicht verbieten lassen: Kundgebung für Frauenrechte in San…
Sie ist Anfang 70, trägt Wildlederstiefel und hat „natürlich“ ein
umwerfendes Lachen. Sie gründete einst das erste feministische Magazin des
Landes, schrieb einen Bestseller, der eine Frauengeneration nach der
anderen inspirierte, doziert in Univorträgen sanft, dass alle, die für
Gerechtigkeit seien, auch Feministinnen seien, den Begriff abzulehnen, sei
daher schlicht ignorant.
Sie plädiert für intersektionalen Feminismus, leitet eine
millionenschwere Stiftung, um Mentorinnenprojekte anzuschieben und
Expertinnen endlich eine Bühne zu geben. Kurz: eine Ikone. Ihr Schaffen ist
der feuchte Traum feministischer Aktivistinnen unserer Zeit. Selbst ihr
Name klingt wie eine Marke für Überzeugungstäterinnen: Faith Frank.
Bäm-bäm!
Und in der Tat, das zeitgenössische Universum um jene US-Feministin, das
Meg Wolitzer sich in ihrem Roman „Das weibliche Prinzip“ – Titel von Fran…
legendärem Bestseller – ausgedacht hat, wirkt zu fantastisch, um wahr zu
sein. Mittendrin eine Gloria-Steinem-Version, aber mit Superglanzpolitur
und der lässigen Rockstar-Aura von Patti Smith.
Erzählt wird über die Zeitspanne von 2006 bis heute aus der Perspektive der
jungen Greer, die als Erstsemesterin bei einem Frank-Besuch entflammt, sich
politisiert und später für sie arbeitet. Aus deren Memoir-Perspektive wirkt
Wolitzers Titel wie eine Feststellung: So wie die Frauen einander stützen,
sich gegenseitig ins Licht die Leiter hinaufschubsen, das ist es, „Das
weibliche Prinzip“ heute.
Schon der Titel verweist im Ton auf all die einschlägigen Lehrbücher,
Simone de Beauvoirs „Das zweite Geschlecht“, Bell Hooks’ „Feminism is f…
Everybody“, Judith Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“, Kate Millets
„Sexual Politics“ oder Alice Schwarzers „Der kleine Unterschied“.
## Die Popularisierung des Feminismus
Nun ist dieser Roman mit Manifestflair eine von zwei Neuerscheinungen, die
explizit feministische, emanzipatorische Sujets beackern und schon vorab zu
internationalen Bestsellern hochgejubelt wurden. Der andere Titel ist
Christina Dalchers „Vox“, ein Sci-Fi-Thriller über eine Gesellschaft, in
der Frauenunterdrückung Gesetz ist.
Es scheint derzeit, als flankiere zunehmend Fiktionales die Rolle von
Debattentexten. Neben [1][Laurie Pennys „Fleischmarkt“-These] oder Rebecca
Solnits Ätzschrift „Wenn Männer mir die Welt erklären“ scheint die
Wirkkraft von Romanen immens: Man denke an „Americanah“ von Chimamanda
Ngozi Adichie, „I love Dick“ von Chris Kraus, Siri Hustvedts „Die gleiße…
Welt“ oder Han Kangs „Die Vegetarierin“, vom weltweiten Ruhm der
TV-Serienadaption des Margaret-Atwood-Klassikers „Report der Magd“ ganz
zu schweigen. Die Popularisierung des Feminismus: Er taugt für
massenkompatible Fiktionen.
Angesichts der facettenreich geführten Debatte von [2][#MeToo] bis
[3][#mansplaining] dürfen diese zwei neuen Romane daher als Gradmesser
dienen. Und, nun ja, alle zwei lassen einen sitzen, mal brutal, mal nur
punktuell. Moment mal, ging es nicht gerade noch um was?
## Realitätsschock einer jungen Idealistin
Als Bestandsaufnahme des Status quo wirkt Meg Wolitzers „Das weibliche
Prinzip“ in der Summe zu schwesternschafthaft für realistischere Gemüter.
Die feministische Initiationsstory von Greer Kadetsky zu verfolgen, ist
zwar anrührend: ihr Krampf mit ihren Eltern, der Prozess, mit dem sich die
Beziehung zu ihrem Freund entlang ihrer Karriereperspektiven wandelt, ihr
dabei zuzuschauen, wie sich ihre Werte festigen.
Doch der Generationenbruch innerhalb der Story wirkt überraschend
lebensfremd: als Greer feststellt, dass Faith Frank korrumpierbar ist. Das
ist mehr als der Realitätsschock einer jungen Idealistin. Für
zeitgenössische Relevanz ist das Setting zu sehr auf Heititei ausgelegt, da
hilft auch die #MeToo-Anekdote nach einer Collegegrabscherei nicht.
Die Tragik dieser demaskierten Ikone erinnert unweigerlich an Alice
Schwarzer und ihren Einsatz als Kachelmann-Prozess-„Beobachterin“ der Bild;
wobei die einen Generationenkampf aufmacht, den Frank nicht führt – jüngere
Aktivistinnen als „Hetzfeministinnen“ diffamieren, never. Der feministische
Generationenkonflikt scheint hier wohl krasser, da die Auswahl an
Vorbildern nicht so breit ist wie in den USA. Dass in diesem Jahr gleich
zwei Hollywoodfilme (eine Doku, ein Biopic) über die
Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg anlaufen, passt dazu.
## Frauen, denen alles genommen wurde
Nimmt man Christina Dalchers „Vox“ als Maß für den Debattenstand, hat die
Megamassentauglichkeit gewonnen. Dabei hat dieses Debüt mit seiner
imposanten Marketing-Bugwelle im Kern eine geniale Idee: Dalcher,
promovierte Linguistin, dreht den Gedanken um Männerdominanz derart
konsequent zu Ende, dass einem das Gruseln kommt. Nach der offensichtlichen
Vorlage, Atwoods Dystopie „Report der Magd“, werden ihre USA der nicht
allzu fernen Zukunft von christlichen Fundamentalisten regiert.
Den Frauen ist alles genommen, was sie zu Bürgerinnen und Menschen macht,
Pass, Geld – und vor allem ihre Worte. Ihre „Vox“, ihre Stimme, ist zu
vernichten: Mädchen wie Frauen tragen Zählarmbänder, nach hundert Wörtern
am Tag ist Schluss. Dann gibt es Stromstöße bis zur Ohnmacht, ganz
rebellische werden weggesperrt. Einen Job jenseits von unbezahlter
Hausfrauenarbeit gibt es nicht. Die Macht, Kinder zu gebären, ist offenbar
bedrohlich genug.
Die Heldin des Sci-Fi-Thrillers ist Jean McClellan, eine arrivierte
Neurolinguistin, reduziert auf die Rolle als Gattin und Mutter von drei
Kindern. Dalchers Clou geht auf, indem sie zeigt, wie Jean ohnmächtig
verfolgt, dass ihre kleine Tochter stolz darauf ist, Klassenbeste im
Nichtsprechen zu sein. Und wie brutal es ist, wenn bei ganzen
Frauengenerationen aus Nichtsprechen ein Nichtdenken zu werden droht.
Als der Präsidentenbruder ein Hirntrauma erleidet, soll sie ihre Forschung
an einem Anti-Aphasie-Serum weiterentwickeln, um sein Sprachzentrum zu
retten. Und lässt sich auf einen Deal ein. Doch die geradezu aufrührerische
Idee, um die Dalcher ihren Plot strickt, ist wirkungslos gegen unsägliche
Stereotype, die ihren Dan-Brown-Lookalike-Roman prägen. Das irre
Weltuntergangskomplott mit Biowaffenkriegsszenario kann Jean selbst nicht
verhindern – sie braucht einen Ritter: ihren Lover mit dem
Groschenroman-Namen Lorenzo.
Am schlimmsten aber ist die Verklemmtheit, die Dalcher als das Normale
präsentiert: „Wir hatten es noch nie auf dem Campus getan, nicht das große
Es, nicht den heiligen Gral körperlicher Intimität“, erzählt Jean. Und:
„Einmal war er mir in den Waschraum des Instituts gefolgt und hatte mich –
ich schäme mich, das zuzugeben – nur mit einem Finger zum Orgasmus
gebracht.“ Nun ja.
## „Außenstimmen“
Dass Feminismus in der Populärliteratur angekommen ist: super, geschenkt.
Aber Dalcher verknüpft sich ausschließende Prinzipien von Selbstbestimmung.
Die Frau, das schwache, prüde Wesen – so verheerend wie die verquere
Darstellung weiblicher Lust in „Shades of Grey“.
Am Schluss steht dann doch wieder eine Streitschrift: Als der Roman „Das
weibliche Prinzip“ endet, steht Greers „Außenstimmen“ ein Jahr lang auf …
Bestsellerliste. „Das Buch, sicher nicht das erste seiner Art“, heißt es,
„war ein lebhaftes und optimistisches Manifest, das die Frauen nicht nur
ermutigte, den Mund aufzumachen, sondern dessen Titel obendrein
doppeldeutig war, weil sich Frauen im Jahr 2019 natürlich stärker denn je
als Außenseiter empfanden.“
Ein Satz, der in seiner Beliebigkeit auf jedem Umschlag jedes als
„feministisch“ gelabelten Sachbuchs stehen könnte. „Die Menschen wünsch…
sich, dass man aktiv wurde“, deklamiert Greer, in einem Akt der
„Er-Wut-igung“, drumherum trillert die Marketingmaschine.
Moment, das soll es gewesen sein? Die Rettung des Feminismus ist seine
Kommerzialisierung? Kurz der Verdacht, es könnte ein selbstironischer
Kommentar sein. Aber nein, dafür ist Wolitzers Anliegen, ihr Plädoyer für
feministische Inspirationsfiguren dann doch zu ernsthaft. Und auch bei
„Vox“: keine Spur von Persiflage. Schade eigentlich. Vielleicht kann das
ein Gradmesser sein: Ein echter, belastbarer Fortschritt ist erst erreicht,
wenn das Thema auch als liebevolle Satire funktioniert.
19 Aug 2018
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## AUTOREN
Anne Haeming
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