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# taz.de -- Erzählband zu Sex, Macht und #metoo: Dem Tier in sich zu fressen g…
> 17 AutorInnen haben für den Hanser-Verlag über Sex und Macht geschrieben.
> Sie fragen: Wie geht es mit dem Feminismus nach #MeToo weiter?
Bild: Gefallen wollen, oder den eigenen Weg gehen, einfach ist die Entscheidung…
Der Feminismus gewinnt gerade [1][ein Zentimeterchen] Terrain. Die
Erzählungssammlung „Sagte sie“ steht exemplarisch dafür. Die
stellvertretende Verlagesleiterin bei Hanser, Lina Muzur, hat 17
Schriftstellerinnen beauftragt, Erzählungen über [2][Sex und Macht] zu
verfassen. Als Fortsetzung der #MeToo-Debatte mit literarischen Mitteln,
sozusagen.
Vor 30, 40 Jahren erschienen die ungehörten weiblichen Stimmen in kleinen
Frauenbuchverlagen, weil die Türhüter der Mainstream-Literatur männlich
waren. Dann kam eine lange Phase, da hätte man diese Literatur in die
Frauenbuchreihe gesteckt. Jetzt beginnt sich das zu ändern. Die Prognose
sei gewagt: „Sagte sie“ wird sich gut verkaufen. Feminismus ist schick. Und
als Buchkäuferinnen haben Frauen noch nie enttäuscht.
Das ist gut – und wirft gleichzeitig die Frage auf, ob man als Frau
[3][überhaupt noch den Unterdrückungsmodus] für sich beanspruchen kann, wie
das Vorwort suggeriert: „Und weil es durchaus sein könnte, dass wir schon
zu lange und zu oft seiner Version der Geschichte zugehört und Glauben
geschenkt haben, soll in dieser Anthologie ausschließlich ihre Sicht der
Dinge erzählt werden: Sagte sie“.
Die „Unhörbarkeit“ der weiblichen Stimme scheint nicht mehr zentrales
Problem zu sein. Frauen sind hörbar geworden. Inzwischen ist das Problem
eher im Bereich „Glauben schenken“ angesiedelt, es geht um Zuweisung von
Bedeutung. Die Frauen sprechen schon eine Weile öffentlich, aber allzu oft
wird es maximal wahrgenommen als ein schlecht gelauntes vor sich hin Quaken
von minderer Güte. Der Mainstream hört nicht zu. Denn der, so sehr Frauen
darin auch eine Rolle spielen mögen, ist nach wie vor Malestream und findet
weibliche Ansichten nicht so relevant wie männliche. Da können noch so
viele Frauen Verlage leiten, ohne Feminismus, ohne bewusstes Wichtignehmen
weiblicher Ansichten, hilft das wenig.
## Die zugehörigen Männer gibt es nicht
Das „Sagte sie“ ist trotzdem problematisch. Es deutet nämlich auch auf eine
merkwürdige Unschärfe im Literaturverständnis hin. Diese Geschichten haben
ja gar kein „He said“, das zum „She said“ der englischen Redewendung
gehören würde. Sie sind Fantasieprodukte von Frauen, die zugehörigen Männer
gibt es nicht, weshalb man sie praktischerweise auch gar nicht anhören
muss. Und doch wird mit Realitätsnähe gespielt, wenn es im Vorwort heißt,
diese Geschichten „könnten sich teils genauso ereignet haben“. Das klingt
nach Borderline-Journalismus, und das ist nicht gut in einer Debatte, in
der der Vorwurf der künstlichen Dramatisierung ohnehin schon im Raum steht.
Es wirkt ein bisschen wie ein Verkaufstrick: die Realität, nur krasser.
Sei’s drum. Das Buch hätte den Trick nicht nötig gehabt. Denn die
Autorinnen werden hinreichend komplex. Margarita Iov lässt kunstvoll
Geschlechtergrenzen verschwimmen. Fatma Aydemirs Hauptperson gerät in eine
Verwicklung verschiedener Sexismen, Mercedes Lauenstein erzählt, wie eine
Frau einen Mann zum Sex nötigt. Alles immer beiläufig, so wie unheimliche
Begegnungen oft abgespeichert werden: als etwas, das im Untergrund rumort,
während die Hauptsache etwas anderes zu sein scheint.
Und, geradezu auffällig: Es gibt keine Anklage, noch nicht mal eine Klage,
nur eine Menge Selbstbefragungen. Die Frauen heute sind vorsichtig, sie
wollen im System bleiben, sie haben mehr zu verlieren als ihre
feministischen Mütter in den Siebzigern, die gar nicht erst zugelassen
waren. Emblematisch dazu: Warum hat sich die kleine Pia bei den beiden
Jungs entschuldigt, obwohl die sie gepiesackt haben? Die Eltern versuchen
eine feministische Intervention – und die Tochter antwortet: „Ich wollte
aber weiter spielen.“ „Sie pustete ihrem Vater die Worte ins Gesicht. Dann
drehte sie sich weg, löste sich gewandt aus seinem Griff und lief zurück
zur Höhle, verschwand unter der Plane.“
Annika Reich und Anna Prizkau lassen Mütter wortreich an erfahrener
sexueller Gewalt vorbeisprechen. Bei Julia Wolf hat sich die kollektiv
verdrängte Gewalt niedergelassen in der Fantasie und ist dort angewachsen
zu einer permanenten Angst vor dem Übergriff durch einen Fremden, den eine
Mutter auf ihre Tochter überträgt. Die Tochter sitzt mit Baby allein im
Ferienhaus und wird von ihrem Ehemann vor ihrer eigenen Angst gerettet.
## Mit den Metaphern des Unterbewusstseins
Sexuelle Gewalt wird in unserer Gesellschaft verdrängt, Literatur kann sie
hervorholen, auf eine zarte Weise, weil ihr die gleiche Metaphernsprache
zur Verfügung steht wie dem Unbewussten. Das gelingt vielen Texten in
diesem Band. In diesem Fall wird die Literatur aber auch direkt, wie in
Annett Gröschners Text aus den Achtzigern der DDR, in dem eine Studentin im
Moskauer Schnee von einem Russen (Brudervolk!) vergewaltigt wird, oder
Margarete Stokowskis Erzählen vom Wiederaufbrechen eines verdrängten
Traumas beim Zahnarzt. Und sie wird diskursiv.
Etwa bei Antonia Baum. Ihr Text ist der erste, und der plakativste. „Grüß
Gott, hi, ich bin’s, die Frau, nämlich diese Person mit dem Loch, in das
man Sachen reinstecken kann, wenn der Mann will, und über deren Integrität
man öffentlich beraten kann (Schlampe ja/nein), während man sich zu ihr
herunterbeugt, ihre Schamlippen auseinanderzieht (ich schäme mich, schon
immer) und gleichzeitig betont, hier gäbe es kein Machtgefälle. Denn diese
Frau da unten soll endlich damit aufhören, sich zum Opfer zu machen.“
Es folgt eine Analyse des Status quo, der condition féminine 2018,
dargestellt durch ein Theater im Gehirn der Erzählerin. Die Zuschauer*innen
kommentieren, richten, analysieren, bewerten, ganz so wie die öffentliche
Debatte in der #MeToo-Diskurswolke. Die Hauptperson findet ihren Chef
ansprechend. Sie ist also geschmeichelt, als er sich für sie interessiert,
und will ihm gefallen. Doch nach einer Party wird er zudringlicher und
zudringlicher, und sie findet den Punkt nicht, an dem ein „Stopp“
angebracht wäre. Seitdem denkt sie über ihre „Schuld“ nach. Die Feministin
mit der klugen Brille in ihrem Gehirn enttarnt schon das Gefallenwollen,
die Orientierung am Blick der Männer. Aber was ist der eigene Blick? „Sie
würden mir das gleiche Kleid aussuchen wie ich“, bekennt die Erzählerin.
Der Machtwille in ihr ist allein der Wille nach Partizipation an
imaginierter männlicher Macht. Er ist ein Tier, „blitzschnell in seinen
Reaktionen. Schneller als Sie (die Frau mit der klugen Brille) und Ihr
berechtigter Einwand jedenfalls. (…) Ich mache, was man von mir will, auch
wenn ich es nicht will. Wenn ich gefalle, kriegt es zu fressen, also
gefalle ich. Das Tier aber kann man nicht einfach so aus mir
herauspräparieren, und entsorgen. Es bewohnt mein System, das heißt, man
müsste auch mich als Frau komplett entsorgen.“ So macht es wohl immer noch
eine große Zahl an Frauen heute, sonst gäbe es kein #MeToo, das diese
Kollaboration erst aufdeckt. Warum reden die erst jetzt? Deshalb. Weil es
eines Minimums an gefühlter Gegenmacht, eines kleinen Chores zur
Unterstützung bedurfte.
## Die innere Anpasserin
Das ist der Abgrund, der 2018 zwischen propagierter Emanzipation und realer
Emanzipation klafft. Die Emanzipation, wie wir sie gerne hätten, hat gar
kein Problem damit, Übeltäter in die Schranken zu weisen, der
vermeintlichen Macht ein Nein entgegenzusetzen, so wie etwa
„Philosophie“-Chefin Svena Flaßpöhler es in „Die potente Frau“ gerade…
verärgert einfordert. Die Emanzipation, wie sie ist, ist ein
selbstquälerisches Ringen mit der inneren Feministin und der inneren
Anpasserin, die genau weiß, dass die männliche Macht Feministinnen nur
goutiert, wenn die ihr nicht ernsthaft gefährlich werden können. Das Gequäl
ist nicht schön und es ist alt. Aber da ist es trotzdem. Und dass dieses
Dilemma benannt wird und wir uns alle drüber ärgern, das ist der Zentimeter
mehr, den der Feminismus gerade gewonnen hat. Mal sehen, wie lange wir ihn
halten können.
15 Aug 2018
## LINKS
[1] /Kolumne-Flimmern-und-Rauschen/!5509529
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[3] /Befreiung-des-weiblichens-Begehrens/!5514730
## AUTOREN
Heide Oestreich
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