# taz.de -- Erzählungen von Mary Gaitskill: Amouröse Abhängigkeiten | |
> In den Achtzigern waren Mary Gaitskills Erzählungen „Bad Behavior“ über | |
> Masochismus ein Skandal – nun liegen sie wieder auf Deutsch vor. | |
Bild: Prostitution ist eines der Themen der Erzählungen von Mary Gaitskill | |
BERLIN taz | Endlich also ist es wieder auf Deutsch erhältlich, Mary | |
Gaitskills „Bad Behavior“, das unter dem deutschen Titel „Schlechter | |
Umgang“ 1988 erstmals erschien. Nun liegt es in der Übersetzung von | |
Nikolaus Hansen bei Blumenbar vor. | |
Damals war es eine Sensation, ein angenehm schlüpfriger literarischer | |
Erstling, in dem Gaitskill Tabuthemen wie [1][sexuellen Masochismus] oder | |
Prostitution aufgreift – dass eine junge Frau über diese Themen schreibt, | |
war alles andere als selbstverständlich. Skandalös wirken die neun | |
Erzählungen heute nicht mehr, allenfalls die Erzählhaltung, die zwischen | |
lapidarem Feststellen und genüsslichem Ausbuchstabieren der Fantasien der | |
Handelnden changiert, mag noch provozieren. | |
Orte der ersten Begegnungen der Akteure sind Büros oder Pizzaläden. Was | |
sich dann entfaltet, sind Beziehungen, nein, Konstellationen, deren | |
minimale Verschiebungen Räume für neue Machtspiele öffnen. | |
Nie geht es um Intimität; immer wieder besteht das größte Interesse der | |
Charaktere darin, die Oberhand im Spiel mit dem anderen zu gewinnen, | |
seltsam infantil wirken sie dabei. Beiläufig erzählt Gaitskill von der Lust | |
am emotionalen oder körperlichen Leiden des anderen. | |
Manches Mal kommt einem da Kristen Roupenians Kurzgeschichtensammlung „Cat | |
Person“ in den Sinn, und Roupenian liefert auch das Nachwort zum Buch. Wo | |
jene aber zu oft ausbuchstabiert, beherrscht Gaitskill die Kunst der | |
Auslassung. Immer wieder tut sich zwischen dem, was die Charaktere zu sagen | |
glauben und dem Erzählerkommentar „aus dem Off“ eine Kluft auf, die die | |
Handelnden in ihrer Einfalt oder Niedertracht ausleuchten. | |
## Wertungsfreie Texte | |
„Er war ein schmächtiger, schlanker Junge mit einem blassen, schmalen | |
Gesicht und blondem Haar, das ihm über eine Braue fiel. In seinem weiten | |
Mantel sah er aus wie das Schoßkind einer angehenden Geheimpolizeitruppe. | |
Sie fand ihn schön“, heißt es in der zweiten Geschichte „Ein romantisches | |
Wochenende“, in der viel passiert, nur keine Romantik. | |
Vielmehr malt sich die Protagonistin Beth die masochistische Unterwerfung | |
unter den Willen eines Mannes aus. Gaitskill beschreibt meisterhaft, wie | |
die Fantasien der beiden Handelnden aneinander abprallen, wie sich | |
Wunschträume über die Wirklichkeit schieben, die nie so erfüllend zu sein | |
vermag wie die Fantasie. | |
Die vermeintlich natürliche Geschlechterordnung wird in dem Spiel um | |
Dominanz auf den Kopf gestellt. „Er fühlte sich vergewaltigt und | |
überrumpelt. Dies war nicht das, was er sich vorgestellt hatte, aber wenn | |
er sich wehrte, könnte der Eindruck entstehen, er sei weniger viril als | |
sie.“ Nie scheinen die Akteure für sich selbst zu handeln, sondern mit | |
Blick auf eine geheime Ordnung. | |
Tatsächlich buchstabiert Gaitskill Formen der amourösen Abhängigkeit durch, | |
ohne erkennbar Sympathie für die ein oder anderen Handelnden zu bekennen. | |
So bleiben die Texte wertungsfrei, der Lesende darf selbst werten. In ihrer | |
oft narzisstischen, eitlen oder drogengetrübten Einfalt eignen sich nur | |
wenige Charaktere der Geschichten für positive Identifikation, zeigen aber, | |
dass der Topos vom Mann, der sich entzieht und die Frauen damit nur umso | |
begieriger macht, nicht erst in den Romcoms der Zweitausender geboren | |
wurde. | |
Woher die Wunden der Akteure rühren, bleibt dabei weitestgehend im | |
Verborgenen, es wird nur angedeutet. So zum Beispiel in der wohl | |
bekanntesten Geschichte Gaitskills, „Sekretärin“, die mit Maggie Gyllenhaal | |
in der Hauptrolle verfilmt wurde. | |
Darin angelt sich die junge Debby einen ersten Job als Sekretärin eines | |
Anwalts, der zunächst zufrieden mit ihrer Arbeit erscheint, sie dann aber | |
wegen eines Tippfehlers in einem Dokument bestraft. Debby muss, mit | |
entblößtem Hintern über den Tisch gebeugt, den fehlerhaften Brief vorlesen, | |
bis ihre Tränen das Dokument unleserlich machen. | |
In Zeiten von MeToo wäre diese Geschichte eine von Machtmissbrauch und | |
männlicher Dominanz. Gaitskill aber wirft die Frage auf, warum Debby | |
gleichermaßen verstört wie erregt ist von den Handlungen. „Ich wandte den | |
Kopf von ihm fort. Ich dachte, ich muss das nicht tun. Ich kann auf der | |
Stelle Schluss machen. Ich kann mich hinstellen und hinausgehen. Aber ich | |
tat es nicht. Ich zog meinen Rock hoch.“ | |
Nur entfernt deutet Debbys Familienkonstellation mit zwei erwachsenen | |
Töchtern, die zu Hause leben, und einem schweigsamen Vater, der körperlich | |
das Geschehen in der Familie dominiert, eine mögliche Antwort auf die Frage | |
an. | |
Sie lautet jedenfalls nicht: Frauen neigen eben zu Unterwürfigkeit. | |
11 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Marlen Hobrack | |
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