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# taz.de -- Roman „Ihr Körper und andere Teilhaber“: Die Sichtbarkeit echt…
> Carmen Maria Machado verbindet in ihrem Debüt Fantasie und Realität. Und
> schreibt selbstverständlich über queeren Sex.
Bild: „Echte Frauen haben Körper“ schreibt Carmen Maria Machado in ihrem D…
Es gebe bei vielen Leser*innen ein grundlegendes Missverständnis,
erzählte Carmen Maria Machado [1][neulich in einem Interview dem
Guardian]: Sie erwarteten bei der Lektüre eines Romans oder einer Erzählung
eine eindeutige Botschaft, das aber sei gar nicht die Aufgabe von
Literatur. Und in der Tat bietet die 32-jährige US-amerikanische Autorin in
ihrem Debüt „Ihr Körper und andere Teilhaber“ derlei nicht an.
Im Gegenteil: Ihre acht Erzählungen zeichnet gerade das Uneindeutige aus.
Die Kritik feierte sie dafür, der im Original Ende 2017 erschienene Band
war für den National Book Award nominiert und hat zehn Literaturpreise
erhalten. Doch gibt es eine klare Themensetzung, denn es geht Machado um
die Lebensrealitäten von Frauen. Um ihre Körper, ihre Sexualität. Um
Übergriffe und Gefährdungen, um Machtgefälle.
Das Buch erschien wenige Tage, bevor die Vergewaltigungsvorwürfe [2][gegen
den bis dahin allmächtigen Filmproduzenten Harvey Weinstein] publik wurden,
danach kam die MeToo-Bewegung in Gang. So war es in gewisser Weise ein Buch
der Stunde. Und vielleicht hat das die Aufmerksamkeit und Offenheit für
diese eigenwillige Erzählerin und ihre überbordende Literatur befördert –
was ein Glücksfall wäre. Denn Machado erweist sich als eine überaus
scharfsichtige Beobachterin, der eine feministische Weltsicht ganz
selbstverständlich zu eigen und die mit einer betörenden Fantasie
ausgestattet ist.
Carmen Maria Machado erzählt nicht nur von Gefährdungen und Zurichtungen,
sondern zugleich sehr explizit von Begehren und Lust, und dies aus einer
queeren Perspektive. Ihre Frauenfiguren – bis auf eine Ausnahme sind es
Ich-Erzählerinnen – sind meist lesbisch oder bisexuell. Machado selbst hat
ihre Freundin geheiratet. Im erwähnten Interview betont sie, wie wichtig es
ihr sei, andere Sexualitäten literarisch sichtbar zu machen. Denn die
meisten Sexszenen würden offenbar von heterosexuellen weißen Männern
geschrieben, das finde sie langweilig.
## Machado schert sich wenig um Grenzziehungen
Originell sind ihre Geschichten auch aufgrund der vielfältigen Genres, die
sich Machado souverän aneignet: Horror- und Schauergeschichte, Fantasy und
Dystopie treffen aufeinander, Machado schert sich wenig um die
Grenzziehungen dazwischen. Das Alltägliche, Reale und das Fantastische
stehen selbstverständlich nebeneinander, ein magischer Realismus, der nicht
zuletzt auf [3][eines ihrer literarischen Vorbilder, Gabriel García
Márquez], verweist.
So in der Erzählung „Echte Frauen haben Körper“, in der die Ich-Erzähler…
in einer Boutique arbeitet, deren Kleider bei jungen Frauen heiß begehrt
sind. Sie verliebt sich in Petra, Tochter der Schneiderin. Beide verfolgen
in den Medien das Phänomen der verblassenden und schließlich
verschwindenden Frauen. Sie entdecken, dass sich einige von ihnen, nur noch
Schemen, in die Säume der beliebten Kleider einnähen lassen. Und dann
trifft es auch Petra: „ ,Ich verblasse', sagt sie, und noch während sie es
ausspricht, sehe ich, dass ihre Haut mehr Magermilch als Vollmilch ist, es
wirkt, als wäre sie weniger da. Sie atmet tief durch, und das Bild
flimmert, als würde sie dagegen ankämpfen.“
In einer einfachen Allegorie der Normierung weiblicher Körper, der
Nichtakzeptanz ihrer tatsächlichen Vielfalt oder des Mangels an
Sichtbarkeit von Frauen geht diese Geschichte nicht auf: Diese Aspekte sind
darin enthalten, so wie es bei Machado immer einen ganz deutlichen Bezug
zur Realität gibt. Trifft es Petra gerade, weil sie so frei von
konventionellen Zuschreibungen und so lebenshungrig ist? Was bedeutet es,
dass die verblassten Frauen sich nicht vom Fleck rühren, so unerträglich
passiv sind, als die Erzählerin sie aus den Säumen befreit?
## Momente der Orientierungslosigkeit
Diese Rätselhaftigkeit zeichnet alle Erzählungen aus. Es gibt keine
einfachen Antworten oder Erklärungen. Und Machados Frauen sind oft beides
zugleich: fremd- und selbstbestimmt, sie schwanken dazwischen. Wie die
Protagonistin in „Der Extrastich“. Gleich einem Körperteil ist ihr ein
grünes Band um den Hals zu eigen. Niemand darf es berühren oder gar
aufschnüren. Sie begreift sich als sexuell emanzipierte Frau – und ist dies
einerseits auch; zugleich aber erfüllt sie gegen innere Widerstände alle
Wünsche ihres Mannes, der „kein schlechter Mann“ ist. Und schließlich, da
es „das Alpha und Omega seiner Begierden“ ist, lässt sie ihn das Band doch
lösen. Mit fatalen Folgen.
Wiederkehrend ist auch das Nebeneinander düsterer Bilder, von Sterben und
Tod und der Feier von Schönheit und Lebenslust. In „Inventur“ dominiert
zwar Ersteres, die Erzählerin flieht vor einer tödlichen Seuche, während
sie sich aller erotischen Begegnungen und Lieben erinnert.
In der Geschichte „Mütter“ – die von einer erst glückstaumeligen, dann
durch die manipulative Macht der Geliebten über die Ich-Erzählerin
zerrütteten Liebe handelt – trifft beides in einem Satz zusammen: „Es gibt
seltsame Abende, an denen die Sonne untergeht und es gleichzeitig regnet,
dann färbt sich der Himmel gold- und pfirsichfarben, aber ebenso grau und
lila wie ein Bluterguss.“
Diese bildreiche und sinnliche Sprache zieht die Leser*innen in die
Geschichten hinein und leitet sie durch Momente von Verwirrung, ja
Orientierungslosigkeit fast mühelos hindurch. Dieser Autorin zu folgen ist
ein entdeckungsreicher Genuss, ein staunend machendes, abgründiges
Vergnügen.
19 Mar 2019
## LINKS
[1] https://www.theguardian.com/books/2018/jan/07/carmen-maria-machado-meet-the…
[2] /US-Filmproduzent-Weinstein-vor-Gericht/!5542574
[3] /Gabriel-Garcia-Marquez-und-Berlin/!5486225
## AUTOREN
Carola Ebeling
## TAGS
US-Literatur
Frauenrolle
Queerfeminismus
Sexualität
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Literatur
Lesestück Recherche und Reportage
Gabriel García Márquez
Sexismus
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