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# taz.de -- Frauenfeindlicher Literaturbetrieb: Ich mach dich fertig
> Die Repräsentanten des Literaturbetriebs betreiben eine Kultur des
> blinden Flecks. Sexismus wird ignoriert, die Männer inszenieren sich als
> Opfer.
Bild: Früh übt sich, wer später den Literaturbetrieb aufmischen will
Als man mir anbot, für die Welt einen [1][Artikel über die männlich
dominierte Longlist des Buchpreises 2014] zu schreiben, war ich überzeugt,
gegen etwaige Shitstorms gut gerüstet zu sein. Es würde ausreichen, den
Blick in den Kommentarspaltenabgrund zu vermeiden, glaubte ich. Das
tatsächliche Ausmaß der Beleidigungen und Drohungen, auch seitens Kollegen,
das dem Text folgte, hat meinen Blick auf das Feuilleton und seine
Debattenkultur dann sehr verändert.
Wichtig scheint hier vor allem, dass Texte junger Journalisten der
jeweiligen Zeitung – auch über die sozialen Medien – zu optimierten
Reichweiten verhelfen, nicht aber das Aufkommen eines tatsächlichen
Diskurses, der Menschen zum Nachdenken oder gar zum Andershandeln bewegen
könnte. So kehrt bald wieder ein Betriebsalltag der Nachrufe und
Buchkritiken ein, in denen gesetzte Kritiker sich untereinander
austauschen.
Einer jener etablierten Kritiker schrieb anlässlich meines Textes, er könne
„im Absurditätsgrad der Behauptungen: ’Im Literaturbetrieb werden Frauen
unterrepräsentiert und diskriminiert‘ und ’Die Erde ist eine Scheibe‘
keinen Unterschied erkennen“. Ein Schelm, wer die Tatsache, dass ebenjener
Kritiker für Zeit.Online 6 Werke weiblicher Autoren und 48 Werke männlicher
Autoren besprochen hat, voreilig Unterrepräsentation nennt! VIDA, die
Vereinigung der [2][„Women in Literary Arts“, bestätigt mit nachprüfbaren
Zahlen seit 2010 jährlich], dass es im amerikanischen Literaturbetrieb mehr
männliche Kritiker als weibliche gibt und signifikant mehr Bücher
männlicher Autoren besprochen werden. Für den deutschsprachigen Markt
existiert (noch) kein solches strukturiertes Angebot.
Nicht dass im Journalismus Sexismus kein Thema wäre: Bespritzt der
Rennfahrer Lewis Hamilton eine Hostess mit Champagner, vertreibt ein großes
Versandhandelsunternehmen „In Mathe bin ich Deko“-Shirts für Mädchen, ist
das Geschrei groß. Im Literaturbetrieb aber ist die Welt natürlich eine
andere, unbefleckte: Viele seiner Protagonisten sehen sich gern als
besonders tolerant und progressiv.
Um dieses Selbstbild haltbar zu machen, braucht es eine Kultur des blinden
Flecks. Dass Kritiker „Frauenliteratur“ noch immer als Gegenstück zu
regulär-anspruchsvoller, von Männern verfasster Literatur behandeln und
mutmaßen, Buchverträge gewisser Autorinnen seien nur durch Sex mit dem
Verleger zustande gekommen; dass Moderatoren gesellschaftskritischen
Schriftstellerinnen nach der Lesung erklären, sie seien zu hübsch, um sich
mit so unschönen und komplizierten Themen zu befassen; dass Veranstalter
Autorinnen betatschen und für die Gegenleistung Sex den ganz großen
Karriereschub versprechen; dass Kritiker Schriftstellerinnen mit
anzüglichen Mails bombardieren und nach der sachlichen Bitte um
Unterlassung auf Drohmails umsteigen: vertretbare Einzelfälle!
## Chefs und ihre „Mäuschen“
Dass männliche Chefs ihre weiblichen Mitarbeiter „Mäuschen“ nennen; dass
Journalisten auf Pressereisen lautstark Wetten darüber abschließen, wer die
jüngste Kollegin als Erster ins Bett kriegen wird; dass leitende Redakteure
freien Mitarbeiterinnen schon beim Versuch einer Gehaltsverhandlung über
den Mund fahren, da von Frauen ein weniger unverschämtes Auftreten
gewünscht sei und/oder sie ohnehin nie eine feste Stelle erhalten würden:
wie humorlos, so etwas zu dramatisieren!
Solche Erfahrungen, von denen junge Autorinnen, Verlagsmitarbeiterinnen und
Journalistinnen mir berichtet hatten, überzeugten mich von der
Notwendigkeit einer öffentlichen Debatte. Als Vehikel diente mir die
mehrheitlich mit männlichen Autoren besetzte Buchpreislonglist. Die
Reaktionen auf meinen Artikel waren wie aus dem Klischeebilderbuch
abgepaust. Mich erreichten zahllose Nachrichten und Erklärungen von
Männern, auch Journalistenkollegen, die behaupteten, dass mein Artikel
jeder Wahrheit entbehre und nur gedruckt worden sei, weil die armen
Verleger auf ihre Reichweite aufpassen müssten.
Oder sie gingen gleich dazu über, persönlich zu werden: Von einem Mitglied
der Buchpreisjury richtete man mir aus, dass ich mich vorsehen solle und
dass ich schon sehen werde, was bei so einem Verhalten herauskomme. Man
drohte mir, mich fertigzumachen. Man könne mich ganz leicht öffentlich
diffamieren. Mir Steine in den Weg legen. Meine Karriere beenden, ehe sie
überhaupt begonnen habe.
Ich schätze viele dieser Kollegen nach wie vor; es sind kluge, feinsinnige
Menschen. Um ihre Ausfälle nachvollziehen zu können, muss man vor allem
begreifen, dass im Literaturbetrieb Konkurrenzkampf nicht unbedingt auf der
Leistungsebene stattfindet. In der gutbürgerlichen Betriebssuppe darf im
Grunde sowieso nur schwimmen lernen, wessen Eltern oder Partner für den
eigenen Lebensunterhalt aufkommen, denn von zynisch bezahlten Volontariaten
kann sich niemand ernähren. Nach den klar weiblich dominierten
Volontariaten kehrt sich das Geschlechterverhältnis um, und es wandern
hauptsächlich Männer in Richtung fester Stellen, während Frauen sich mit
freier Mitarbeit oder Schwangerschaftsvertretungen begnügen müssen.
## Feinsinnige junge Männer
Doch selbst von freien Mitarbeiterinnen fühlen männliche Festangestellte
sich bedroht. Das hat mit der psychischen Verfasstheit der Kollegen zu tun.
Attackiert wird im Sexismusdiskurs gerne der gönnerhafte Typus des old
white man, der dem Irrglauben frönt, junge Frauen wollten lieber die Brust
als die Hand gedrückt bekommen. Aber das reicht längst nicht mehr.
Die Nachfolge des old white man hat nämlich der feinsinnige junge Mann
angetreten: ein Vielleser, der keinen Beißerstudiengang wie Jura oder BWL,
sondern lieber Literaturwissenschaft studiert hat, wo er mit erschlagenden
weiblichen Mehrheiten und bürgerlichen Trauerspielen sozialisiert wurde, in
denen Männer auf Erden das sind, was in der Hölle der Teufel ist.
Spätestens nach dem dritten Trauerspiel war der feinsinnige junge Mann
überzeugt, dass die Welt nicht nur für Lessing und Schiller, sondern für
alle Menschen aus bösartigen, zu verlachenden oder gleich umzubringenden
Männern und qua Geburt guten Engelsfrauen besteht. Engelsfrauen, die wie
Effi Briest fremdgehen oder wie das Faust’sche Gretchen ihr Kind töten,
aber trotzdem von allen gemocht werden und entspannt zum Himmel auffahren.
Seither glaubt der feinsinnige junge Mann, dass Frauen es im Leben leichter
haben. Dass sie einfach nur nett lächeln müssen und sich hochschlafen
können, während er, der feinsinnige junge Mann, sich halbtotschuften muss,
um vorm gestrengen Cheflustmolch bestehen zu können. Dass es tatsächlich
Verleger und Chefredakteure gibt, die Volontärinnen eher nach Aussehen denn
Kompetenz einstellen, macht die Sache auch nicht einfacher.
## Wem was zugutekommt
Der feinsinnige junge Mann hat selbstverständlich recht damit, dass es im
Literaturbetrieb nicht gerecht zugeht. Nur fällt ihm nicht auf, dass diese
Ungerechtigkeit hauptsächlich ihm selbst zugutekommt. Stattdessen fühlt er
sich beleidigt, wenn Förderprogramme oder Quoten zugunsten von jemandem
gefordert werden, der nicht er ist. Den feinsinnigen jungen Mann befällt
allein bei der Vorstellung, eine Frau könnte eines Tages mehr Macht haben
als er, ein akutes Gefühl der Entmännlichung. Dieses Problem lässt sich
weder mit rationalen Argumentationsversuchen noch mit Schweigen und
Abwarten lösen.
Seit ich journalistisch arbeite, wird mir vorgehalten, ich könne mir Kritik
am Literaturbetrieb nicht leisten. Auf den Weg gegeben wird mir der
Ratschlag, ich müsse erst eine festangestellte Journalistin oder eine
etablierte Autorin sein, um mir das herausnehmen zu können. Missstände
aufzeigen zu dürfen sollte man sich aber nicht erst durch jahrelanges
Schweigen verdienen müssen. Ich bin nicht zuletzt deswegen Journalistin
geworden, weil ich der festen Überzeugung bin, dass es Öffentlichkeit
braucht, um etwas verändern zu können.
Sexismus ist ein Spiel, das immer die Falschen gewinnen. Es ist an der
Zeit, dass wir aufhören, mitzuspielen.
26 Apr 2015
## LINKS
[1] http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article131350003/Auch-in-der-Lit…
[2] http://www.vidaweb.org/2014-larger-literary-landscape-vida-count/#The%20201…
## AUTOREN
Dana Buchzik
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