| # taz.de -- Kampf um die solidarische Gesellschaft: Still lovin’ it! | |
| > Noch nie hatte der Feminismus die Aufgabe, alle Frauen als eine wie auch | |
| > immer definierte Gruppe zu vertreten. Dafür sind ihre Lebenslagen viel zu | |
| > verschieden. | |
| Bild: Der Internationale Frauentag muss unbedingt erhalten bleiben, findet Juli… | |
| HAMBURG taz | Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag zeichnen sich – | |
| vorsichtig formuliert – durch eine unendliche Bandbreite aus. Von Waffeln | |
| und Kuchen, Tanzveranstaltungen mit Männer-Striptease hin zu zahlreichen | |
| Möglichkeiten des stereotyp weiblichen Konsums scheint er seine Bedeutung | |
| im Alltagsleben verloren zu haben. Weichgespülte Angebote von Wellness und | |
| Farbberatung haben mit der historischen Bedeutung dieses Tages tatsächlich | |
| wenig zu tun und so scheint die in vielen Bereichen vollzogene und manifest | |
| gewordene Sinnentleerung des Frauentags einherzugehen mit einem | |
| öffentlichen Diskurs, der die Frauenbewegung insgesamt infrage stellt. | |
| Nicht nur in den Kommentarspalten feministischer Blogs tobt der Kampf um | |
| die Legitimation ebensolcher Perspektiven auf unterschiedliche Bereiche des | |
| menschlichen Zusammenlebens. Auch die mediale Aufarbeitung zeugt von einer | |
| teilweise deutlichen Ablehnung. Dabei variiert die Reaktion auf Fragen der | |
| Emanzipation von explizit antifeministischer Position zwischen | |
| „Genderfaschismus“ und „man wird ja wohl noch sagen dürfen“ bis hin zu… | |
| „guten“ Feministinnen, den „normalen“ Frauen, die proklamieren, dass es | |
| jetzt doch auch mal gut sei mit den Kämpfen, dass die Gesellschaft doch so | |
| viel erreicht habe und weitere Proteste und Maßnahmen | |
| freiheitseinschränkend seien und jedwedes Maß überschritten. | |
| Der Feminismus hat – so scheint es im öffentlichen Diskurs – seine | |
| Legitimation verloren, die Perspektive der Frauen zu vertreten und für sie | |
| zu kämpfen. Dabei unterliegen die Kritikerinnen und Kritiker hier jedoch | |
| einem grundlegenden Fehler: Es war noch niemals die Aufgabe des Feminismus, | |
| Frauen als biologische, soziale oder wie auch immer definierte Gruppe zu | |
| vertreten. Nicht einmal eine Vertretung der Mehrheit dieser Frauen ist | |
| notwendigerweise Aufgabe, was sich an zwei Punkten ablesen lässt. Erstens | |
| sind Lebenslagen von Frauen – selbst in Deutschland – sehr unterschiedlich. | |
| Sie bekleiden diverse Positionen im öffentlichen wie privaten Leben, | |
| verfügen über einen unterschiedlichen Hintergrund bezüglich Alter, Bildung, | |
| Einkommen, sexueller Orientierung, familiärem Status, Vermögen, Ethnie, | |
| Religion und vielem mehr. Sie sind vielleicht als Frau geboren, vielleicht | |
| aber auch nicht. | |
| ## Diverse Unterdrückungsmechanismen | |
| Das Konzept der Intersektionalität weist im wissenschaftlichen Umfeld | |
| darauf hin, wie unbedingt notwendig es ist, die Erfahrungen von Frauen als | |
| ein Produkt diverser Unterdrückungsmechanismen zu begreifen und fokussiert | |
| hier historisch insbesondere die spezifische Situation schwarzer Frauen | |
| unter variierenden Klassenlagen. Das Bild der Kreuzung (englisch | |
| „intersection“) wird verwendet, um zu verdeutlichen, wie das | |
| Aufeinandertreffen mehrerer ungleichheitsrelevanter Merkmale – etwa | |
| Geschlecht und sexuelle Orientierung – zu multiplen Formen der Ausgrenzung | |
| führt. Diskriminierungserfahrungen beeinflussen sich wechselseitig und | |
| werden in ihren Ausdrucksformen überlagert. | |
| Ähnliche Erfahrungen machen auch andere Gruppierungen, die sich von weißen | |
| Mittelstandsfeministinnen und -feministen in heterosexuellen Beziehungen | |
| politisch und aktivistisch ebenso wenig vertreten sehen, wie von gewählten | |
| frauenpolitischen Vertreterinnen und Vertretern der großen Parteien. | |
| Gleichberechtigung als Gleichstellung, das erscheint nicht nur für Eltern | |
| mit Vereinbarkeitsproblemen von beruflichen Anforderungen und familiären | |
| Verpflichtungen zu kurz gedacht. | |
| Das gleiche Argument gilt für die feministische Perspektive. Die | |
| wissenschaftlichen Strömungen und damit verbundenen Theorietraditionen, | |
| ihre Argumentationsweisen und aktivistischen Perspektiven unterscheiden | |
| sich seit jeher. Dies gilt selbstverständlich auch für den | |
| außerwissenschaftlichen Diskurs. Kurzum: Den einen Feminismus, der alle | |
| oder zumindest einen Großteil der Frauen vertreten kann, gibt es nicht. | |
| Debatten über Definitionsmacht und Deutungshoheit zeugen davon und werden | |
| in diversen Kontexten genutzt, um feministische Forderungen zu | |
| diskreditieren und der Lächerlichkeit preiszugeben. | |
| ## Gemeinsames Bewusstsein | |
| Anschließend an diese Debatten wird der Frauentag als symbolpolitisches | |
| Feigenblatt präsentiert, das abgeschafft werden solle. Gerade die | |
| beschriebenen Herabsetzungsmechanismen machen jedoch deutlich, wie | |
| notwendig ein gemeinsames Bewusstsein im alltäglichen, im politischen wie | |
| im wissenschaftlichen Kampf um Gleichberechtigung ist. | |
| Der Frauentag – national wie international – erinnert an eine gemeinsame | |
| Herkunft, den Kampf um politische Mitbestimmung, um Autonomie dem eigenen | |
| Körper, der eigenen Sexualität und dem eigenen Lebensentwurf gegenüber. Er | |
| verweist auf Lohnungleichheit, prekäre Arbeitsbedingungen bestimmter | |
| Berufsgruppen, auf unterschiedliche Armutsrisiken und Unterrepräsentation | |
| im öffentlichen Raum. Keinesfalls sollte dieser Tag den beschriebenen | |
| Pluralismus bedingungslos feiern und die zeitweise diametral geführten | |
| Diskussionen ignorieren. Vielmehr sollten wir ihn nutzen, um uns zu fragen, | |
| ob es ihn nicht doch gibt, den kleinsten gemeinsamen Nenner der | |
| feministischen Perspektiven. Beispielsweise in der Frage zu Solidarität und | |
| Schutz vor Alltagssexismus, wie sie durch die #aufschrei-Debatte | |
| medienwirksam und sehr kontrovers diskutiert wurde. | |
| Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Motiv- und Interessenlagen | |
| ist nicht nur aus wissenschaftlicher Perspektive relevant, sondern | |
| ermöglicht auch gegenseitiges Verständnis. Der Frauentag ist somit nicht | |
| ausschließlich Erinnerung, sondern auch Symbol der Notwendigkeit zur | |
| Weiterentwicklung neuer und bestehender Forderungen. Er ist ein Tag der | |
| Aktion, bestenfalls der gemeinsamen und gruppenüberschreitenden Aktion. | |
| ## Feministische Kämpfe | |
| Deutlich wird dies etwa am Frauen*kampftag, der in Berlin und in anderen | |
| deutschen Städten als plurales und heterogenes Bündnis organisiert wird. | |
| Unter den teilnehmenden Gruppen, die am 8. März unter dem Motto | |
| „Feministische Kämpfe verbinden!“ auf die Straße gehen, finden sich | |
| dezidiert widersprüchliche Positionen beispielsweise zur Frage Sexarbeit | |
| versus Prostitutionsverbot. | |
| Entreißen wir den Frauentag den Konsumangeboten, der ermüdenden Debatte um | |
| die Daseinsberechtigung der feministischen Diskurse und radikalisieren wir | |
| unsere Forderung nach einer gleichberechtigten und solidarischen | |
| Gesellschaft. Oder mit den Worten des Frauen*kampftags 2014: Still lovin’ | |
| feminism! | |
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| ## Julia Hahmann | |
| 34, Soziologin, arbeitet am Institut für Gerontologie an der Uni Vechta und | |
| hat derzeit eine Gastprofessor an der University of North Carolina. Sie | |
| forscht unter anderem zu den Themen Freundschaft, Gemeinschaft und | |
| Solidarität. | |
| 8 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Hahmann | |
| ## TAGS | |
| Feminismus | |
| Schwerpunkt Feministischer Kampftag | |
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