| # taz.de -- Sara Ahmed über Feminismus: „Es geht darum, was wir tun“ | |
| > Die Wissenschaftlerin über die feministische Spaßverderberin als Figur, | |
| > sexistische Strukturen und den befreienden „Snap“. | |
| Bild: Feminismus betrifft alles, was du tust, meint Sarah Ahmed | |
| taz: Frau Ahmed, wann waren Sie zuletzt eine feministische Spaßverderberin? | |
| Sara Ahmed: Während meiner letzten Recherche, kein Zweifel. Viele | |
| Universitäten in Großbritannien investieren gerade in neue | |
| Beschwerderichtlinien, um mit dem Problem von sexueller Belästigung und | |
| sexuellen Übergriffen umzugehen. Ich habe dazu geforscht und komme zu dem | |
| Schluss, dass diese Richtlinien nicht funktionieren: Neue Richtlinien | |
| werden das Problem nicht lösen, sondern könnten es sogar verstärken. Sie | |
| erwecken den Eindruck, das Problem werde durch die Richtlinien gelöst. | |
| Da werden Sie wohl schlechte Laune verbreiten, weil solche Richtlinien als | |
| Errungenschaft gelten. Macht das eine feministische Spaßbremse, eine | |
| feminist killjoy, aus? | |
| Die feministische Spaßverderberin ist eine Figur. Sie begann als ein | |
| antifeministisches Stereotyp, das unterstellt, Feminist*innen seien | |
| unglücklich und ihre Intention sei es vor allem, das Glücklichsein anderer | |
| zu zerstören. Leute benutzen das Wort abwertend. Du willst doch wohl keine | |
| Spaßverderberin sein! Ich nehme diese Figur, fordere sie zurück und sage: | |
| Okay, wenn das Infragestellen von Sexismus und Rassismus in der Welt, das | |
| Herausfordern von Normen und Machtverhältnissen dir den Spaß verdirbt, dann | |
| bin ich bereit, dir den Spaß zu verderben. Die Beurteilung wird so zu einem | |
| Projekt. | |
| Funktioniert das? | |
| Wenn ich die feministische Spaßverderberin als einen affirmativen Begriff | |
| beschreibe, sagen viele: Ja, ich bin diese Person am Familientisch gewesen, | |
| die das Abendessen ruiniert hat. Ich bin diese Person, die die Stimmung | |
| kaputt gemacht hat. Das sind Situationen, die entfremdend sein können, die | |
| aber eine politische Dimension haben. | |
| Als die Person, die ein Problem adressiert, wird man selbst zum Problem. | |
| Das zehrt an einer. Wie können feministische Spaßverderber*innen denn | |
| glücklich sein? | |
| Wenn man Machtbeziehungen infrage stellt, Sexismus und Rassismus | |
| herausstellt, erfährt man mitunter eine Intensivierung genau der Probleme, | |
| mit denen man sich beschäftigt. Ein*e feministische Spaßverderber*in zu | |
| sein, kann also bedeuten, die eigene Wahrnehmung zu schärfen und noch mehr | |
| zu sehen, wie viel es eigentlich gibt, um darüber unglücklich zu sein. Das | |
| muss nicht automatisch heißen, selbst unglücklich zu werden. Aber das kann | |
| auch passieren. Ich denke, wenn man politisch aktiv ist, ist es wichtig, | |
| Raum für viele verschiedene Gefühle zu lassen. Feminismus sind alle | |
| Emotionen, die wir als Reaktion auf die Welt spüren. Man kann eine | |
| feministische Spaßverderber*in sein und in genau demselben Moment Freude | |
| erfahren – oder eben nicht. Dass Feminismus Menschen glücklich macht, mag | |
| eine Konsequenz sein, aber es war nie der Punkt. | |
| Sie beschreiben Feminismus als sensuell. Er beginne mit einem Gefühl von | |
| Ungerechtigkeit. Haben die Frauen, die sich nicht als Feministinnen sehen, | |
| nie Ungerechtigkeit erfahren? | |
| Natürlich nehmen nicht alle Frauen Sexismus und Rassismus als Formen von | |
| Macht wahr. Sie sagen: Das ist doch nicht so schlimm. Sie sagen: Mach | |
| einfach dein Leben weiter. All diese Refrains sollen sagen, dass es unsere | |
| Aufgabe ist, sich daran zu gewöhnen. Ich verstehe das. Es ist eine | |
| Anpassung an eine unpassende, eine ungerechte Welt. Eine Form zu leben, zu | |
| überleben, mit Sexismus und Rassismus umzugehen, ist es, bestimmte | |
| Bewertungen nicht zu sehen – Bewertungen, was Frauen nicht können, wer | |
| wichtig ist und wer nicht, wer in Verantwortung ist und wer nicht. Ich | |
| denke, wenn wir über Feminismus sprechen, sollten wir auf dem Boden der | |
| Tatsachen bleiben. Es geht darum, wie du in der Welt bist, wie du darin | |
| lebst, wie du überlebst. Und an manchen Punkten wird Feministin sein Teil | |
| des Überlebens. Das hängt aber stark davon ab, was du hörst, wenn du das | |
| Wort hörst, ob du dich damit identifizierst. | |
| Es gibt immer wieder Feminist*innen, die andere als Spaßbremsen bezeichnen, | |
| etwa die 100 französischen Frauen um Catherine Deneuve, die einen offenen | |
| Anti-#MeToo-Brief schrieben. Die Lust würde verloren gehen, würden Männer | |
| beim Flirten nicht Grenzübertritte in Kauf nehmen. Gibt es eine Wahrnehmung | |
| von Sexismus, die nicht „richtig“ ist? | |
| Meine Erfahrung ist, dass eine der Schwierigkeiten, Feministin zu sein, die | |
| Auseinandersetzung mit anderen Feministinnen ist, die sich weigern, | |
| bestimmte Machtverhältnisse anzuerkennen, von denen sie selbst auch | |
| profitiert haben. Es gibt dieses liberale Bild – ah, da gibt es diesen | |
| Blick auf die Dinge und da gibt es jenen. Dieses liberale Modell hilft | |
| dabei, Sexismus und Rassismus einfach als einen anderen Blickwinkel zu | |
| unterscheiden. Da bin ich strikt dagegen. Ich bin von meinem Blick auf die | |
| Welt überzeugt – und das können auch alle anderen sein. Als Pädagogin | |
| möchte ich, dass junge Leute Zugang zu feministischen Ideen haben und | |
| sagen: Da läuft etwas falsch. Wir haben vielleicht unterschiedliche | |
| Theorien dazu, unterschiedliche Namen dafür, unterschiedliche | |
| Interpretationen, aber wir müssen dieses hier als etwas Falsches | |
| identifizieren und es als Muster erkennen. | |
| Warum aber erkennen Menschen diese Muster nicht? | |
| Es gibt immer die Einladung, sich mit den Machtvolleren zu identifizieren. | |
| Ich denke, es ist Teil antirassistischer oder feministischer Politik, diese | |
| Einladung auszuschlagen, sie abzulehnen und nicht von dem System zu | |
| profitieren. Es werden immer Leute in ein System geholt, um Gerechtigkeit | |
| in einem ungerechten System zu zeigen. Viel des konservativen Feminismus | |
| kommt aus dieser Richtung, einer Überidentifizierung mit der patriarchalen | |
| Position. Das ist natürlich traurig. Es geht nicht nur darum, was Leute | |
| sagen, sondern was sie tun. Ich kann nicht über Feminismus sprechen und in | |
| der Praxis dann nicht Räume dafür schaffen. Feminismus betrifft alles, was | |
| du tust, wie du deine Zeit verbringst. | |
| Dieser Gedanke zieht sich durch das gesamte Buch: dass man immer Feministin | |
| ist, nicht nur manchmal. Sie wenden den Gedanken, dass das Private | |
| politisch ist in die Richtung, dass das „Persönliche strukturell“ sei. | |
| Worin unterscheidet sich dieser Ansatz zu dem früheren? | |
| Ich spiele viel mit der Formulierung, dass das Private politisch ist. Sie | |
| sagt: Macht ist auch zu Hause. Macht ist in der Schule und auf der Straße. | |
| Man kann das politische Leben nicht vom Rest trennen. Man kann abstrakt | |
| über makropolitische Fragen nachdenken, aber wie sie einen selbst | |
| betreffen, ist auch wichtig. Man kann verletzt werden von der Struktur. | |
| Struktur ist ein sehr unpersönliches, abstraktes Wort, man kann sie nicht | |
| fassen. Trotzdem kann sie dich treffen. Menschen, die ausgefragt werden, ob | |
| sie Mädchen oder Junge sind. Und wenn du immer wieder zum Objekt von | |
| Befragungen wirst, formt diese Struktur dein Leben. | |
| Sie beschreiben Struktur auch als eine Wand, gegen die man läuft. | |
| Das kommt aus meiner Befragung von Diversity-Fachkräften. Sie beschrieben | |
| oftmals, dass ihre Arbeit sich anfühlt, als würden sie mit ihrem Kopf gegen | |
| Wände schlagen. Und das Harte daran ist, dass man sie nicht sehen kann, | |
| wenn man sie nicht selbst gespürt hat. Leute können sagen, dass sie gar | |
| nicht existiert: „Nein, das ist kein Rassismus.“ Du versuchst zu sagen, es | |
| gibt hier eine Struktur und andere sagen, nein, da ist keine – denn es ist | |
| eine Struktur, die dich nicht betrifft wenn du keine Person of Colour bist. | |
| Die härtesten Situationen, die wir erleben, sind zum Teil so hart, weil sie | |
| schwierig zu übersetzen sind für diejenigen, die sich nicht kennen. Das ist | |
| Teil eines feministischen Lebens, die Übersetzung, die Erklärung: Ja, das | |
| ist passiert und nein, es ist nicht nur in meinem Kopf, sondern es ist eine | |
| Struktur. | |
| Den Moment, wenn Menschen diese Struktur nicht mehr ertragen und sich | |
| dagegen auflehnen, beschreiben Sie als „snap“, als ausrasten, als Knall. | |
| Wie kann so ein Moment aussehen? | |
| Ich habe neulich ein Interview von Silvia Riveira gehört. Sie beschreibt | |
| den Beginn der Stonewall-Proteste in der Christopher Street: Wir hatten | |
| genug. Und dieser Moment des Snap wanderte durch die ganze Bar. Das brachte | |
| die Menschen auf die Straße. Es gibt uns Energie mit anderen „Nein“ zu | |
| sagen. | |
| Kann so ein Snap nachhaltig sein? | |
| Nein, weil es das spontane Freilassen von etwas ist, ein Moment voller | |
| Energie. Nachhaltigkeit entsteht durch Selbstfürsorge. Ich muss auf mich | |
| achten, um weiter kämpfen zu können. Das heißt vielleicht, nicht zur Demo | |
| zu gehen, wenn du dich scheiße fühlst. Du musst nicht immer alles tun. | |
| Audre Lorde sagt: Tu, was du tust, solange du es kannst. Feminismus fordert | |
| Formen von Macht da draußen und hier drinnen heraus. Feministisch leben | |
| heißt aber auch, ein Leben zu haben. | |
| Wie geht die Revolution – als Marsch durch die Institutionen, oder indem | |
| wir die Wände eben dieser Institutionen von außen einreißen? | |
| Wir brauchen verschiedene Wege und wir brauchen verschiedene Menschen, um | |
| diese zu gehen. Ich habe viel von meinen Gesprächen mit | |
| Diversity-Fachkräften gelernt. Sie arbeiten in einer paradoxen Situation: | |
| in einem Umfeld, in dem sie angestellt sind, um ihre*n Arbeitgeber*in zu | |
| verändern. Sie können nicht alles sagen, was sie sagen wollen, weil sie | |
| unter Beobachtung stehen. Das sind keine radikalen Orte innerhalb von | |
| Institutionen, aber die Arbeit, die sie tun, wie sie ihre Politik | |
| verhandeln müssen, scheint mir interessanter, als einfach in die Opposition | |
| zu gehen. Das Wissen dieser Fachkräfte entsteht durch die Hürden, die ihrer | |
| Arbeit im Weg stehen. Du lernst von der Welt durch deinen Versuch, sie zu | |
| verändern. | |
| 1 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Gottschalk | |
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