# taz.de -- BDSM in der Gesellschaft: Im Konsens liegt die Macht | |
> Vielen gilt sexuelles Verlangen nach Unterwerfung und Dominanz als krank. | |
> In der Szene geht es entspannt zu. Ein Besuch auf der „BoundCon“. | |
Bild: Keine Marionetten: Ob Mainstreamsex, Sadomaso oder Bondage-Seilkunst – … | |
BDSM ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Zumindest scheint es so. | |
BDSM bedeutet „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & | |
Masochism“ und steht für sexuelle Spielarten, die mit Macht, Unterwerfung, | |
Dominanz und Gewalt zu tun haben: vom allseits beliebten Rückenkratzen und | |
dem Durchkitzeln bis zu fortgeschritteneren Methoden der Folterung. | |
In Großstädten werden BDSM-Stammtische und Workshops für Bondage-Techniken | |
angeboten, der kunstvollen Fesselung, die den Gefesselten auch dazu dient, | |
in einer reizüberfluteten Welt abzuschalten, Verantwortung abzugeben und | |
derart befreit ihre Sexualität leben zu können. | |
Es ist Mai. Im Münchner Stadtteil Schwabing-Freimann scheint die Sonne auf | |
eine große Halle und die ersten Gäste der „[1][BoundCon XI European Fetish | |
Convention]“, Europas größter Messe für Fetisch- und BDSM-Freunde. | |
Unbedarfte Spaziergänger fragen, ob dort ein Kostümball stattfinde. | |
Die Besucher stammen aus verschiedenen sozialen Schichten und | |
Berufsgruppen. Sie tragen ausgefallene Outfits aus Lack, Leder und Latex. | |
Vor einem Stand mit Sexspielzeugen unterhalten sich zwei Menschen in | |
Vollkörper-Latexbekleidung, ihr biologisches Geschlecht ist nicht | |
erkennbar. Sie reden darüber, welches die beste Variante des | |
Betriebssystems Linux ist. | |
## Keine geifernden Typen auf BDSM-Events | |
Auch dass am Stand nebenan eine Frau eine Peitsche an ihrer männlichen | |
Begleitung ausprobiert, stört niemanden. Auf den Bühnen wird gefesselt. | |
Meistens Frauen, manchmal auch Männer. Anja, eines der Modelle, sagt, die | |
Stimmung sei „viel angenehmer als auf normalen Erotikmessen. Keine | |
geifernden Typen, niemand versucht, einen anzugrapschen“. Es herrscht eine | |
freundliche Jahrmarktatmosphäre. Dies ist deutlich erkennbar kein Ort, an | |
dem sich „perverse Triebtäter“ wohlfühlen würden. | |
Im BDSM wird überhaupt viel geredet. Schon beim Kennenlernen gibt man sich | |
zu erkennen: Man ist dominant, devot, „switch“ und steht auf beides oder | |
auf ganz etwas anderes. Laut der privaten Website „[2][Kink Research]“, die | |
zehn wissenschaftliche Studien miteinander verglich, kommt im Durchschnitt | |
auf jeden dominanten Mann ein devoter, auf jede dominante Frau vier devote. | |
Aber immer gilt der Grundsatz „safe, sane und consentual“, also | |
„sicherheitsbewusst, mit gesundem Menschenverstand und einvernehmlich“. | |
Ansprachen und Vertrauen haben höchste Priorität, zwischen Realität und | |
gelebter Fantasie wird strikt unterschieden. | |
In Szene-Foren wird davon ausgegangen, dass es dabei zu wesentlich weniger | |
sexuellen Straftaten kommt als in der „normalen“ Gesellschaft. Gleich zwei | |
Studien, eine der australischen [3][University of New South Wales von 2009] | |
und eine der niederländischen [4][Tilburg University von 2013], | |
beschäftigen sich mit den Zusammenhängen von psychischer Gesundheit und der | |
Neigung zu Missbrauch in der BDSM-Szene – sie zeigen, dass deren Anhänger | |
ausgeglichener sind und seltener unter psychischen Problemen leiden, die zu | |
sexuellen Straftaten führen könnten. | |
## Entspannter Umgang mit Machtverhältnissen | |
Die Wahrnehmung der Öffentlichkeit jedoch steht im starken Gegensatz zu dem | |
entspannten Umgang der Szene mit Geschlechter- und Machtrollen. Während in | |
der Verfilmung des Romans „Die Geschichte der O“ in den Siebzigern noch | |
relativ unvoreingenommen mit dem Thema umgegangen wird, [5][verbindet die | |
Trilogie „Shades of Grey“] von 2011 die sadomasochistische Praxis mit | |
traditionellen Geschlechterverhältnissen, mit Liebe, Ehe und Reproduktion. | |
BDSM rückt so in die Nähe psychischer Erkrankungen und Kriminalität – Mord, | |
Prostitution und Kindesmissbrauch. In einigen Medien wird der Roman gern | |
als Zeichen eines wiedererstarkenden Machismo interpretiert, Belege aber | |
gibt es dafür nicht. | |
Vor diesem Hintergrund beeinträchtigen private Vorlieben auch immer wieder | |
politische Karrieren: Die „schöne Landrätin“ Gabriele Pauli wurde 2007 von | |
ihren CSU-Genossen öffentlich dafür kritisiert, dass sie sich in | |
Latexbekleidung hatte ablichten lassen; Fotos eines Bondage-Workshops, an | |
dem die saarländische Piratin Jasmin Maurer teilnahm, wurden in die | |
Massenmedien gezerrt und politisch instrumentalisiert; und ebenfalls | |
pünktlich zur Bundestagswahl 2013 beleuchtete die Bild das Privatleben des | |
FDP-Politikers Hans Müller, der bei der Szene-Kontaktbörse | |
„Sklavenzentrale“ ein öffentliches Profil hatte, präsentierte ihn wie ein… | |
Gewaltverbrecher. | |
Während Kulturprodukte zum Sadomasochismus reißenden Absatz finden, wird er | |
gesellschaftlich weiter geächtet. Während sich das freie Ausleben der | |
Neigungen offenbar positiv auswirkt, wird BDSM gesellschaftlich | |
kriminalisiert. Diese Doppelmoral wird durch den Umgang des | |
nicht-sexpositiven Feminismus mit Dominanz und Unterwerfung noch | |
deutlicher: Männliche Dominanz wird als Hass gegen Frauen gewertet. Einer | |
freiwillig sexuell unterwürfigen Frau wird vorgeworfen, sie reproduziere | |
die Herrschaftsverhältnisse der Gesellschaft. „Wie kannst du deinen Körper | |
so behandeln lassen?“, werden sie immer wieder gefragt. Damit wird ihnen | |
die Fähigkeit zu einer eigenen, freien Entscheidung abgesprochen. | |
Wie fühlt sich aber eine Frau, die noch nicht selbstbewusst entdeckt hat, | |
dass ihre sexuelle Neigung zu Schmerz oder Unterwerfung ausleben kann? Sie | |
verspürt Scham und Schuld. Nicht nur sich selbst, auch Gewaltopfern | |
gegenüber, weil ihr oft mangelndes Mitgefühl unterstellt wird. Die Folge: | |
Sie und ihr Umfeld suchen sich ein psychisches Trauma als Erklärung – ein | |
Zusammenhang, den die genannten Studien ja genau umkehren. Kein Wunder | |
also, dass BDSM-Veranstaltungen Ruhe und karnevaleske Freude ausstrahlt, | |
die selbst von der aggressiven sexuellen Spannung eines normalen | |
Ausgeh-Abends weit entfernt ist. | |
## Weiblicher Masochismus als Kollaboration? | |
Alice Schwarzer sollte es bedauern, dass laut einer Psychologie | |
heute-Umfrage von 2000 nur rund ein Prozent aller Männer und Frauen SM | |
praktizieren – statt sich darüber zu freuen. Es ist ein Widerspruch, dass | |
sie sich positiv zu „Shades of Grey“ äußert, nur weil die Protagonistin | |
sich am Ende verweigert. Anscheinend hat Schwarzer weder das Buch noch BDSM | |
verstanden. „Weiblicher Masochismus ist Kollaboration!“, hat Schwarzer | |
einmal gesagt. Der sexpositive Feminismus, der die uneingeschränkte | |
sexuelle Freiheit als wesentlich für die Gleichberechtigung ansieht, setzt | |
seit den Achtzigern vor allem in den USA vor allem auf: mitmachen. Die | |
Feministinnen dort fordern, dass Frauen aktiv ihre Wünsche äußern. | |
Letztendlich ist BDSM, wie ein Besuch der Boundcon zeigt, ein aufsteigendes | |
Business. Aber Profit kann Gleichberechtigung auch schnell vergessen | |
lassen. Trotz ihrer genderkorrekten, fantasiereichen Welt sind die Events | |
und Videos für die Szene zum Großteil auf ein dominantes männliches | |
Publikum zugeschnitten. Dass eine Mehrheit der „kinky“ Frauen devot sind, | |
mag statistisch gesehen stimmen, ist aber eine billige Ausrede dafür, | |
andere Tendenzen zu ignorieren. | |
Könnte sich dieses Verhältnis unter anderen Bedingungen ändern? Auch | |
Fantasien basieren auf angelerntem Verhalten. Wie soll eine Frau, der | |
vorgelebt wird, dass eine selbstbestimmte Sexualität falsch ist, sich für | |
das Richtige entscheiden können? Erst die Möglichkeit, frei und ohne | |
falsche Scham aus dem reichhaltigen Angebot sexueller Vorlieben zu wählen, | |
ohne antrainiertes Rollenverhalten und gesellschaftliche Doppelmoral, kann | |
zu einer erfüllten Sexualität führen. Egal, ob unterwürfig oder nicht. | |
23 Jul 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.boundcon.com/ | |
[2] http://kinkresearch.blogspot.de/2009/10/sex-role-ratio.html?zx=6c4d34390e18… | |
[3] http://www.niu.edu/user/tj0bjs1/bdsm/Richters,%20de%20Visser,%20Rissel,%20G… | |
[4] http://www.andreaswismeijer.nl/wp-content/uploads/2013/05/BDSM_JSM_Wismeije… | |
[5] http://othes.univie.ac.at/28876/1/2013-06-29_0847608.pdf | |
## AUTOREN | |
Ulf Schleth | |
Seda Niğbolu | |
## TAGS | |
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