| # taz.de -- 25 Jahre SM-Magazin „Schlagzeilen“: Abonnier! Mich! Jetzt! | |
| > Das führende Magazin der Sado-Maso-Szene in Deutschland, wird 25 Jahre | |
| > alt. Der Kampf für das Recht auf Erniedrigung geht weiter. | |
| Bild: Ein fesselndes Thema: Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadis… | |
| Die erste Ausgabe war noch unauffällig: weiße Schrift auf schwarzem Grund, | |
| eine Kette, die sich schräg über das Cover zieht, daneben ein | |
| kleingedruckter Warnhinweis: „Vorsicht! Vor Kindern sichern!!!“ Heute sind | |
| die Seiten bunt. Sie zeigen Körper in Korsetts, in Ketten und Strapsen, | |
| Körper eingeschnürt in Fesseln. Ende Oktober kommt die 132. Ausgabe heraus, | |
| es ist ein Jubiläumsband: Seit 25 Jahren gibt es die Schlagzeilen nun. | |
| Eine Zeitschrift, die vom Wehtun handelt, von Macht und Ohnmacht, von | |
| Schlägen und Erniedrigung, aber auch von Hingabe und Loslassen und davon, | |
| wie schwer Fantasie und Alltag oft zu vereinbaren sind. Ein Magazin von und | |
| für Sadomasochisten, erst ein eher privates Lesevergnügen, dann das | |
| wichtigste deutschsprachige Medium der Szene. | |
| Alle zwei Monate erscheint ein Heft, knapp 100 Seiten dick, vollgepackt mit | |
| großformatigen Fotos, detaillierten Fantasien – und Schwerpunktthemen, wie: | |
| „Kinder – und trotzdem SM?“ Die Schlagzeilen sind ein Mix aus Erotik und | |
| Ratgeberliteratur. | |
| Matthias Grimme ist der Chefredakteur. Ein ganz in Schwarz gekleideter Mann | |
| mit Glatze und freundlichem Handschlag, der von sich und seinesgleichen | |
| heiter als „Wir Perversen“ spricht. Früher einmal war er Sozialpädagoge. | |
| Heute ist er Deutschlands wohl berühmtester Sadomasochist. Als das Thema in | |
| den 90er Jahren öffentlichkeitsfähig wurde, saß er bei Hans Meiser und | |
| brachte Boulevardreportern das Fesseln bei. Er kennt die Klischees, sie | |
| ärgern ihn nicht. Was ihn ärgert, ist die Romanreihe „50 Shades of Grey“, | |
| diese Möchtegern-SM-Geschichte, wie er sagt, die falsche Techniken | |
| vermittle, zum Nachmachen keineswegs zu empfehlen. | |
| ## Zuerst nur für einen privaten Kreis | |
| Dass Sadomasochismus in der Realität eine etwas kompliziertere Sache ist, | |
| zeigt schon das sperrige Akronym BDSM, das mit Bondage & Discipline, | |
| Dominance & Submission, Sadism & Masochism ein recht vielfältiges Spektrum | |
| an Disziplinen umfasst. Die Neigungen sind oft speziell. Den passenden | |
| Partner zu finden, ist schwierig. Als im November 1988 die Mitglieder einer | |
| Hamburger SM-Gruppe zum ersten Mal ein dünnes Heftchen mit Geschichten und | |
| kopierten Bildern veröffentlichten, war es noch mühsam, an Informationen | |
| oder Kontakte zu kommen. Die erste Ausgabe der Schlagzeilen richtete sich | |
| an einen privaten Kreis. | |
| Heute werden die Hefte von Hamburg aus in alle Ecken Deutschlands, nach | |
| Österreich und in die Schweiz versandt. Die Redaktion sitzt im Windschatten | |
| der Reeperbahn, hinter einer schwarzen Tür in einem unauffälligen Hinterhof | |
| auf St. Pauli. Vier Büros, ein Gang, Bilder von Gefesselten. Der schmale | |
| Grat zwischen Kunst und Pornografie. Im Eingangsbereich gibt es Souvenirs | |
| zu kaufen, Masken, Stricke, Peniskäfige, an der Wand hängt die neueste | |
| Kollektion an Peitschen. In großen Pappkartons lagern alte Hefte. Immer | |
| wieder kommen Anfragen zu bestimmten Themen: SM und Gewalt, SM und | |
| Partnerschaft, SM und Einsamkeit, SM und Moral. Grimme sucht dann alle | |
| Ausgaben, die es dazu gab, zusammen. | |
| Er arbeitet gegen das Bild an, das Filme und Bücher oft vermitteln. | |
| Ausgerechnet der brutale Roman „Die 120 Tage von Sodom“ des Marquis de Sade | |
| ist das wohl bekannteste Werk der SM-Literatur. Eine sexuelle Gewaltorgie, | |
| die im Gegensatz zum heutigen Selbstverständnis bekennender Sadomasochisten | |
| steht. Immer wieder betonen die das Prinzip der Freiwilligkeit, die | |
| Notwendigkeit klarer Absprachen, das Spielerische von BDSM. Seit Jahren | |
| kämpfen sie um ihr Recht auf Schmerzen, solange alles einvernehmlich | |
| bleibt. | |
| Sie fordern, dass Sadomasochismus von der WHO-Diagnoseliste ICD | |
| (International Classification of Diseases) gestrichen wird wie vor Jahren | |
| schon die Homosexualität. Sie sind es gewohnt, sich zu rechtfertigen: vor | |
| der Familie, vor dem Gericht, wenn der Expartner die sexuelle Neigung des | |
| Anderen als Argumentationspunkt nutzt, um das Sorgerecht für die | |
| gemeinsamen Kinder zu erstreiten. | |
| ## Vereinbarkeit von BDSM und Feminismus | |
| Neben den Erfahrungsberichten im Heft drehen sich viele Texte ums | |
| Coming-out und um die Vereinbarkeit von BDSM mit Familie oder Feminismus. | |
| Das Zusammengehen von Liebe und Schmerzen, von Selbstachtung und | |
| Erniedrigung wirft Fragen auf: Kann eine Frau sexuell unterwürfig sein und | |
| trotzdem emanzipiert? | |
| Um die redaktionelle Linie der Zeitschrift wurde lange gerungen. Die | |
| Schlagzeilen sind das größte und auflagenstärkste unter den einschlägigen | |
| Magazinen, und sie gelten als das seriöseste: mehr Text, mehr Raum für | |
| Diskussion. Und es ist ein Magazin, das Grenzen kennt. | |
| Es wird keine Sexpraktik gezeigt, die potenziell lebensgefährlich sein | |
| könnte – keineswegs selbstverständlich und anfangs auch intern umstritten. | |
| Das Heft wird auf Bestellung mit der Post versandt. Grimme ist das wichtig: | |
| „Auch das Landeskriminalamt ordnet die untere Altersgrenze für unsere Leser | |
| bei 16 Jahren ein“, sagt er. „Bei einer Grenze ab 18 Jahren gäbe es für d… | |
| Postversand ein Verfahren, um das Alter des Empfängers zu prüfen.“ | |
| Um die Zeitschrift herum ist der Charon-Verlag entstanden, der inzwischen | |
| auch andere Bücher und Hefte zum Thema publiziert und ein Beratungstelefon | |
| geschaltet hat. Gemeinsam mit Mitherausgeberin Geli Maass bildet Grimme das | |
| Herzstück der Redaktion, viele Texte kommen von Lesern. In manchen Ausgaben | |
| stammen mehr als 50 Prozent der Artikel von Frauen. | |
| ## Onlineshop für Erwachsenenspielzeug | |
| Zu schaffen macht dem Magazin, wie dem gesamten Printmarkt, das Internet. | |
| Ende der 90er Jahre lag die Auflage der Schlagzeilen bei über 7.000, | |
| inzwischen ist sie um mehr als die Hälfte gesunken. Bilder gibt es | |
| billiger, anonymer, schmutziger im Netz. Die Kontaktanzeigen, früher eine | |
| ausgiebige Strecke im Magazin, machen in gut gehenden Ausgaben gerade mal | |
| noch drei oder vier Seiten aus. Die wenige Werbung führt meist zu | |
| befreundeten Sexshops oder zu eigenen Produkten: der Verlag hat einen | |
| Onlineshop für Erwachsenenspielzeug gegründet, um die Zeitschrift weiter | |
| finanzieren zu können. | |
| Was die Zukunft für die Schlagzeilen bringt, ist nicht ganz klar. Der | |
| Austausch mit den Lesern hat sich von Print nach Online verlagert. | |
| Chefredakteur Grimme verbringt inzwischen einen großen Teil seiner | |
| Arbeitszeit in sozialen Medien. Er spricht von einer „Entpolitisierung“ der | |
| Szene, von einem Rückzug ins Private. | |
| Wer beruflich mit Kindern zu tun hat, fürchte besonders große Probleme. | |
| Sadomasochismus, sagt Grimme, finde oft wieder hinter ganz fest | |
| verschlossenen Türen statt. Er wünscht sich mehr Akzeptanz, mehr | |
| Öffentlichkeit. Die Homosexuellenbewegung, sagt er, hätte es immerhin | |
| vorgemacht: „Aber der hinken wir immer um zehn Jahre hinterher.“ | |
| 26 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Carina Braun | |
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