# taz.de -- „Franziska Linkerhand“ auf der Bühne: Eine Frau, die leuchtet | |
> Als die DDR noch jung war: In Berlin inszeniert Daniela Löffner | |
> „Franziska Linkerhand“ nach dem legendären Roman von Brigitte Reimann. | |
Bild: Sie könnte gerade ein Luftschloss bauen: Franziska (Kathleen Morgeneyer)… | |
Brigitte Reimann schrieb fast zwei Jahrzehnte lang an ihrem Hauptwerk, dem | |
Roman „Franziska Linkerhand“, und konnte es doch nicht ganz vollenden. 1973 | |
starb sie im Alter von 39 Jahren an Krebs. „Franziska Linkerhand“ erschien | |
1974 posthum mit gewissen, der Zensur geschuldeten Kürzungen, die nicht nur | |
politische Themen betrafen, sondern zum Beispiel auch die ungewohnt | |
explizite Darstellung von Sexualität. (Eine erste vollständige Ausgabe | |
erschien erst 1998.) | |
Dennoch wurde der Roman in der DDR zum Kultbuch. Noch in den siebziger | |
Jahren entstand eine Bühnenfassung, und 1981 wurde die Geschichte von der | |
jungen Architektin, deren Ideale in Konflikt zur gesellschaftspolitischen | |
Wirklichkeit stehen, von der Defa verfilmt. | |
Wie sehr die Franziska-Figur zur Ikone taugt, ist auch daran abzulesen, | |
dass sie gern vor allem dann neu belebt wird, wenn es Jahrestage zu begehen | |
gilt. Vor zehn Jahren, zum zwanzigjährigen Mauerfall-Jubiläum, gab es in | |
Hoyerswerda, dem fiktionalisierten Handlungsort von Reimanns Roman, gar | |
eine „Linkerhand“-Oper, komponiert von Moritz Eggert. Inzwischen, schwupps, | |
ist der Mauerfall sogar schon dreißig Jahre her. Und wieder kommt eine | |
Franziska auf die Bühne, diesmal im Deutschen Theater in Berlin, | |
dramatisiert und inszeniert von Daniela Löffner. | |
## Eine ungebrochene Kraft, allem zum Trotz | |
Kathleen Morgeneyer ist Franziska. Vier Stunden lang ist sie auf der Bühne, | |
ist Franziska als kleines Mädchen, als junge Frau in unglücklicher Ehe, als | |
ambitionierte Architektin mit gesellschaftlichem Auftrag, deren kreative | |
Energie stets an der nächsten Plattenbauwand gestoppt wird. Die trotz allem | |
ungebrochene Kraft dieser Frau – die im übrigen viel autobiografisches | |
Gepäck der Autorin auf ihren Schultern trägt – ist dabei in praktisch jeder | |
Szene zu spüren; Morgeneyer leuchtet regelrecht. | |
Dass dieses Strahlen mitunter recht angestrengte, fast künstliche Züge | |
trägt, einen unbedingten, trotzigen Willen zu lebensbejahendem Optimismus | |
erkennen lässt, trifft mitten ins dunkle Zentrum von Franziskas immer | |
wieder vom Scheitern bedrohten Lebensentwurf. Auch um Morgeneyer herum ist | |
das Ensemble gut beschäftigt, denn die wandelbaren KollegInnen spielen | |
sämtlich mehrere Rollen. | |
Dies und die Tatsache, dass Daniela Löffner sehr darum bemüht ist, den | |
verschiedenen Erzählebenen von Reimanns Prosa in der Bühnenfassung Rechnung | |
zu tragen, sorgt für eine gute Portion Verfremdung. | |
Zu Beginn sehen wir, eingefangen von der Bühnenkamera und auf die große | |
papierene Leinwand projiziert, die Morgeneyer mit Betreten der Bühne dort | |
aufgezogen hat, die Schauspielerin in Reimann-Pose, derweil ihre Stimme aus | |
dem Off die ersten Sätze des Romans spricht. Allmählich wird die Off-Stimme | |
von ihrer Bühnenstimme abgelöst, die geisterhafte Präsenz der Autorin | |
schwindet, sie geht auf die Figur über. | |
## Verschiebungen zwischen Autorin und Figur | |
Es ist eine Stärke von Löffners Bühnenfassung, immer wieder mit einfachen | |
Mitteln und in klaren Bildern solche Verschiebungen oder Doppelungen der | |
Perspektive zu zeigen. In Franziskas Angewohnheit etwa, Szenen zu erzählen, | |
während sie sie gleichzeitig erlebt, und ihren jungen proletarischen | |
Ehemann damit zunehmend zu irritieren. | |
Während der Transfer solcher literarischen Spezifika vom Papier auf die | |
Bühne ausnehmend gut gelingt, scheint sich andererseits der Roman mit | |
seiner schieren Masse immer wieder vor eine stringentere Dramatisierung zu | |
schieben. Als nach über zwei Stunden das Theaterglöckchen zur Pause läutet, | |
ist noch nicht einmal ein Drittel der Romanhandlung geschafft. Franziskas | |
Jugend und unglückliche frühe Ehe erfahren überproportional große | |
Aufmerksamkeit (inklusive einer zwar in dezenter Bühnenabstraktion, aber | |
doch sehr explizit gemachten Vergewaltigung, die im Buch nur angedeutet | |
wird). | |
Das geht zuungunsten des ganzen großen Rests des Romans, in dem sowohl die | |
zentralen gesellschaftspolitischen und ästhetischen Fragen gestellt werden | |
als auch die komplizierte Liebesgeschichte Franziskas mit dem „Ben“ | |
genannten Adressaten des Romans sich entfaltet. | |
Erst fast ganz zum Schluss spricht Felix Goeser als Ben in einem sehr, sehr | |
langen Monolog das Protokoll der Vorgeschichte seiner Figur. Auch in dieser | |
eigenwilligen Dramaturgie folgt die Regisseurin dem Roman. Man kann das | |
natürlich so machen und dabei auf Werktreue pochen. Aber am Ende eines | |
vierstündigen Theaterabends ist auch das aufnahmewilligste Publikum | |
schlicht müde. | |
Etwas mehr Mut zur Lücke – und zur Kürze – hätte insgesamt sicher nicht | |
geschadet. Gleichzeitig zeugt Löffners Lesart von Respekt und Sensibilität | |
gegenüber dem dramatisierten Werk. Das Ergebnis ist ein solider | |
Theaterabend mit Längen, der Lust macht auf eigene Reimann-Lektüre. | |
6 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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