# taz.de -- Christa Wolfs Briefwechsel mit Reimann: Analog ist besser | |
> Der Briefwechsel der Autorin mit Brigitte Reimann ist ein Dokument | |
> intensiver Zugewandtheit in vollendeter sprachlicher und gedanklicher | |
> Form. | |
Bild: Christa Wolf in der Ost-Berliner Erlöserkirche 1989. | |
Unvorstellbar, dass Brigitte Reimann und Christa Wolf sich gegenseitig | |
E-Mails geschrieben hätten. Zumindest nicht in der Form und | |
Ausführlichkeit, in der ihr Briefwechsel vor sich ging, der bereits in den | |
neunziger Jahren in Auszügen veröffentlicht wurde. Jetzt erscheint er in | |
erweiterter Form neu. Dahinter steht Christa Wolfs Witwer Gerhard Wolf, der | |
im Vorwort zu „Sei gegrüßt und lebe“ bekennt, er selbst könne sich rühm… | |
den Anstoß gegeben zu haben zu der umfangreichen Korrespondenz, die die | |
beiden Autorinnen in den letzten Lebensjahren Brigitte Reimanns führten. | |
Reimann starb 1973, im Alter von 39 Jahren, an Krebs. Christa Wolf kannte | |
sie persönlich seit einer gemeinsamen Moskaureise einer | |
Schriftstellerdelegation im Jahr 1963. Damals notierte Reimann in ihr | |
Tagebuch: „Christa ist so ein Mensch, dem man alles sagen kann, und man | |
weiß es bewahrt.“ | |
Sporadisch gingen seitdem schriftliche Grüße, meist in Form von Postkarten, | |
zwischen den Autorinnen hin und her. Doch erst nachdem Gerhard Wolf 1968 zu | |
einer Lesung in Hoyerswerda war, wo Reimann damals lebte, und nach seiner | |
Rückkehr von dem positiven Eindruck sprach, den die Kollegin bei ihm | |
hinterlassen habe, korrespondierten die beiden Frauen in einer | |
Ausführlichkeit und mit einer intensiven Zugewandtheit, die aus heutiger | |
Sicht anachronistisch erscheint – jedenfalls was die schriftliche | |
Kommunikation betrifft. Welch Kulturverlust es doch ist, dass man keine | |
Briefe mehr schreibt. | |
Allerdings ist diese Korrespondenz natürlich auch für damalige Verhältnisse | |
kein Maßstab für durchschnittliche Briefeschreiber. Auch auf der | |
persönlichen Ebene stets eine vollendete sprachliche und gedankliche Form | |
zu wahren war für beide schließlich eine Frage der Berufsehre. Fragen der | |
äußeren Form – auf die Christa Wolf im Übrigen weit häufiger eingeht als | |
Brigitte Reimann – sind dabei keineswegs unwichtig. Während Reimann in der | |
Regel umstandslos zur Sache kommt, pflegt Christa Wolf es sogar zu | |
kommentieren, wenn ihr Brief von der erwartbaren äußeren Gestalt abweicht – | |
sie erwähnt etwa entschuldigend, auf diesem kleinen Zettel schreibe es sich | |
einfach zu gut, oder sie weist darauf hin, dass sie Büttenpapier benutzt | |
habe, um Brigitte Reimann angemessen feierlich zur Heirat (der vierten) zu | |
gratulieren. | |
Dass man per Hand schreibt, versteht sich von selbst. Benutzt man die | |
Schreibmaschine, bedarf dies einer Erklärung – oder sogar einer | |
Entschuldigung, wie Brigitte Reimann wähnt, die wortreich ihrer Hoffnung | |
Ausdruck gibt, durch den Einsatz der Maschine in den Augen der Adressatin | |
nicht an Achtung zu verlieren. | |
## Kleine rührende Dinge | |
Diese kleinen, an die Beziehungsebene rührenden Dinge sind es, die die | |
Lektüre so spannend machen, fast mehr noch, als anhand der Briefe und | |
Tagebucheinträge (die klug sporadisch eingestreut sind, mal um Lücken in | |
der Korrespondenz zu füllen, mal weil sie Briefinhalte kommentieren) die | |
kulturpolitischen Zeitläufte zu verfolgen. Das kann man aber sehr gut tun, | |
wenn man emsig zwischen dem Briefteil und dem Anhang hin und her blättert, | |
in dem die zahlreichen historischen Anspielungen erläutert werden. Da sich | |
die beiden Autorinnen politisch auf einer Linie wissen (unter anderem war | |
es Reimanns klar ablehnende Haltung zum Einmarsch der | |
Warschauer-Pakt-Truppen in Prag 1968, die ihr Gerhard Wolfs Sympathien | |
eintrug), finden politische Diskussionen zwischen ihnen nicht statt. Wer | |
auf welchen PEN-Vorstandssitzungen anwesend war und was gesagt wurde, ist | |
dagegen ein stetig wiederkehrendes Thema. | |
Vor allem ist es das Auf und Ab in Brigitte Reimanns Leben, das den | |
Briefwechsel thematisch bestimmt, ihr so abwechslungsreiches wie | |
unglückliches Liebesleben und ihr Gesundheitszustand. Je schlechter es ihr | |
geht, desto länger werden die Briefe, die Christa Wolf ihr schreibt. | |
Am Ende liegt Reimann im Klinikum Buch bei Berlin, wo die Kollegin sie bis | |
zum Schluss regelmäßig besucht. Wolf versuchte sogar – welch wundervolle | |
Geste – kurz vor Reimanns Tod herauszufinden, wie das ungeschriebene letzte | |
Kapitel von „Franziska Linkerhand“, Reimanns magnum opus, aussehen sollte: | |
„Ich befrage sie danach, weil irgendeiner ja den Schluß an ihrer Stelle | |
wird machen müssen“, notiert sie am 16. 2. 1973 in ihr Tagebuch. Da hatte | |
Reimann schon Visionen (“Die Schwester sagt, es gebe Veränderungen im | |
Gehirn“). Vier Tage später war sie tot. Christa Wolf hat „Franziska | |
Linkerhand“ bekanntlich nicht zu Ende geschrieben. | |
19 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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