| # taz.de -- Christa Wolf war cool: Beinharte Schmerzensfrau | |
| > Dunkel kam die Büchner-Preisträgerin in den 1980ern an der Uni rüber. Der | |
| > malträtierte Körper der Frau war ihr Thema, mit dem sie auch im Westen | |
| > Avantgarde-Autorin wurde. | |
| Bild: An manchen Stellen entspannter als die "Generation Roche": Schriftsteller… | |
| Berlin taz | Es war zu einer Zeit, als man noch studierte, was man wollte. | |
| Man schrieb Hausarbeiten, die Jahre dauern konnten. Junge Männer mit | |
| asymmetrischen Frisuren und Frauen im Männerjackett diskutierten den ganzen | |
| Tag im "Studi-Café" bei dünnem Filterkaffee Themen wie die "Wiederkehr des | |
| Körpers" und "Krusten der Zuschreibungen". Wer damals wirklich etwas über | |
| Literatur erfahren wollte - über aufregende Literatur, deren Lektüre unser | |
| Leben, wie wir es bis dahin gekannt hatten, absolut unmöglich machte - der | |
| ging ins Seminar über "weibliche Schreibweisen". Und wenn damals nicht | |
| gerade Ingeborg Bachmann dran war, dann ging es um Autorinnen aus der DDR, | |
| und allen voran ging es um Christa Wolf. | |
| Christa Wolf, die Herbe und Dunkle, die Herzliche und Mütterliche - Christa | |
| war cool. Sie war Avantgarde, auch im Westen. Dabei interessierte weniger, | |
| dass sie sich einmal als Mitglied der SED engagiert hatte. Es war egal, | |
| dass sie sich in ihren Büchern eher zögerlich das System vom Leib zu halten | |
| versuchte, das von der Brüderlichkeit bis zur Freiheit nichts eingelöst | |
| hatte, was sie sich als Angehörige der Aufbaugeneration der DDR von ihm | |
| erhofft hatte. Vielmehr faszinierte uns, was sie in diesem schmerzhaften | |
| Prozess der Ablösung für sich entdeckt hatte. | |
| Der malträtierte Körper der Frau ist es, das Echte und das Eigene, das an | |
| Christa Wolfs Werk so in den Bann schlug. Für uns schrieb sie vor allem | |
| über die andere, die dunkle Seite der erfüllten sozialistischen | |
| Persönlichkeit. Den "Tatsachenmenschen" in seiner funktionalen Welt, den | |
| gab es, natürlich, auch im Westen. Wolfs Frauen von Christa T. bis | |
| Kassandra verhandeln immer auch den ebenso aufreibenden, herausfordernden | |
| wie lustigen Spagat, gleichzeitig gefährliche Geliebte, treu sorgende | |
| Mutter und strenge Kollegin sein zu müssen. Christa Wolf wurde zurecht | |
| Identifikationsfigur der Friedens-, Umwelt- und Frauenbewegung und damit | |
| auch aller Leser im Westen, die sich für die Gegenwart interessierten. Und | |
| das, obwohl diese Leser die DDR meist völlig kalt ließ. | |
| ## Patin der Beleidgten | |
| Es ist ungerecht, dass sich das später, in den Jahren nach der Wende, | |
| änderte. Nun, da Christa Wolfs Vergangenheit als Informelle Mitarbeiterin | |
| der Stasi rauskam, galt sie auf einmal nur noch als "Staatsdichterin". Wer | |
| ihr trotzdem versuchte treu zu bleiben und einmal in eine Lesung geriet, | |
| dem wurde es schwergemacht. Ihre Fans waren zumeist jenseits der Sechzig | |
| und wirkten übellaunig. Christa Wolf schien zuletzt Patin der Beleidigten | |
| geworden zu sein. | |
| Sicher, es darf nicht verschwiegen werden, dass Christa Wolf auch beinharte | |
| Schmerzensfrau war. Ihr erhobener Zeigefinger konnte gewaltig nerven. Wer | |
| nun, ein wenig erschrocken und wehmütig, ihre Bücher trotzdem noch einmal | |
| aus dem Regal ziehen sollte, der wird auf Überraschendes stoßen. Vieles bei | |
| Christa Wolf fühlt sich bis heute irgendwie wahrer an. Und noch | |
| erstaunlicher: An manchen Stellen liest es sich sogar entspannter, ja | |
| witziger als die "Wiederkehr des Körpers", wie sie in letzter Zeit von | |
| Girlies wie Charlotte Roche zelebriert wurde. | |
| 2 Dec 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
| ## TAGS | |
| DDR | |
| Nachruf | |
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