# taz.de -- DDR-Geschichte als Theaterstoff: Archäologie des Aufbegehrens | |
> Viele Theater nutzten 2024 Brigitte Reimanns Roman „Franziska | |
> Linkerhand“, um über Zweifel, Zwänge und Verbitterung in der DDR zu | |
> reflektieren. | |
Bild: Architektur und Städtebau werden zum Ausgangspunkt der Kritik in „Fran… | |
Jubiläen erhöhen die Betriebstemperatur in Dramaturgieabteilungen. Es wird | |
nicht gleich ein Südseeklima daraus. Aber immerhin geraten Stoffe in den | |
Fokus, die sonst unbeachtet bleiben. Das Mauerfalljubiläum, verbunden mit | |
dem Landtagswahlen-Triple in den östlichen Bundesländern, brachte Brigitte | |
Reimann und ihren Roman über eine Architektin, die für Menschen bauen will, | |
die aber von den „Sachzwängen“ der Plattenbauarchitekturmaschine überrollt | |
wird, wieder in den Suchradar. | |
Am [1][Berliner Gorki nahm Sebastian Baumgarten] zu diesem Anlass gleich | |
die gesamte Architekturmoderne unter spitze Finger. In Cottbus | |
konzentrierte sich Johanna Wehner vor allem auf die soziale Komponente. An | |
beiden Premierenabenden im Herbst bemängelten Besucher, dass die Texte oft | |
seltsam aufgesagt wirkten und von der Intensität des eigenen | |
Leseerlebnisses nicht allzu viel zu spüren war. | |
Einen ganz anderen Zugriff traute sich zum Jahresende das freie | |
[2][Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen im kleinen Berliner Theater | |
Ballhaus Ost]. In „Linke Hände“ stellte es der Romangestalt zwei echte | |
Frauen an die Seite: die Erfurter Malerin, Performerin und | |
Undergroundzentralgestalt [3][Gabriele Stötzer] und [4][die Berliner | |
Malerin, Performerin und Ex-Punkerin Cornelia Schleime]. | |
## Einschnüren und besetzen | |
Aus diesen Positionen ergab sich ein kraftvolles Dreieck. Glaubte etwa | |
Linkerhand noch ans utopische Potenzial des sozialistischen Bauens, trotz | |
aller Alltagsfrustrationen, so war schon Schleimes frühen | |
Einschnürperformances der massive Frust über die Enge der DDR-Gesellschaft | |
deutlich abzulesen. Stötzer wiederum, mit 23 Jahren aufgrund ihres | |
Protestes gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns in den Knast gesteckt, | |
entwickelte gerade aus dieser Knasterfahrung radikale feministische | |
Positionen. Die mündeten nicht nur in heute legendären Performances und | |
Videos, sondern auch in der sehr tatkräftigen Besetzung der Erfurter | |
Stasizentrale. | |
Die echten Menschen Schleime und Stötzer waren radikaler und auch | |
erfolgreicher als die Romanfigur. In Generationen gedacht sind sie so etwas | |
wie Linkerhands Nichten. Ihre frühe Zeit fiel in die 1970er und 1980er, | |
während der Roman in den 1960er Jahren angesiedelt ist. | |
Die Performerinnen Angela Braun und Tatiana Nekrasov tauchen in „Linke | |
Hände“ nun in diese Leben ein. Sie zitieren szenisch Performances von | |
Stötzer und Schleime, Linkerhand erscheint vor allem als vorgelesener Text. | |
Was anfangs noch als frischer und unbefangener Zugriff erscheint, verflacht | |
bei fortschreitender Dauer des Abends allerdings zu erschreckender | |
Naivität. | |
Zwischenzeitliche Entschädigung bietet immerhin das Videoeinspiel eines | |
Spontaninterviews mit Stötzer. Sie war offenbar bei der Premiere im | |
Ballhaus zugegen und erzählte, warum sie sich gerade nicht freikaufen ließ, | |
sondern um Selbstbehauptung im Osten rang. | |
## Rosa Beton | |
An solchen Stellen wurde das Potenzial des Abends deutlich. | |
Selbstbehauptung, verstanden als ein Nichtunterschreiten moralischer | |
Standards, ist schließlich ein aktuelles Thema. Wolf Biermanns Song über | |
das Nichtverbittern in bittren und das Nichtverhärten in harten Zeiten, mit | |
dem der Abend beginnt, taugt ebenfalls perfekt für die Gegenwart. Und dass | |
die Punkband Rosa Beton, gegründet 1983 im unscheinbaren Berlin-Hönow, ihre | |
harten Riffs in „Linke Hände“ einstreut, verleiht dem Abend nicht nur | |
Stuktur und Energie. Die alte Punkwut erscheint gerade jetzt als prima | |
geeignete Ausdrucksform. | |
„Linke Hände“ ist rau und ungeputzt, wenn auch streckenweise nicht sehr | |
reflektiert. Aber die unbedingte Lust am Leben, die gerade auch die Figur | |
Franziska Linkerhand auszeichnet, findet in dieser Off-Produktion dann doch | |
viel mehr Raum als auf den großen Bühnen. | |
Die freie Szene war in der Linkerhand-Aneignung auch vorher schneller und | |
pfiffiger. Das Potsdamer Theater Poetenpack brachte ihre „Franziska | |
Linkerhand“ 2023 heraus; da gab es das Doppeljubiläum vom Geburts- und | |
Todesjahr Brigitte Reimanns (1933–1973). Inés Burdow legte ebenfalls 2023 | |
an der Andere Welt Bühne in Strausberg ihre viel gerühmte Reimann-Hommage | |
„Die Unvollendete“ neu auf. Seit 2008 gibt es die Oper „Linkerhand“ vom | |
Komponisten Moritz Eggert – uraufgeführt in Hoyerswerda, dem Arbeitsort der | |
Romangestalt, mit Inés Burdow in der Hauptrolle. Vielleicht trauen sich zum | |
nächsten Jubiläum ein paar Operndramaturgieabteilungen an den Stoff? Dann | |
bitte mit der Frische des Zugriffs der „Linken Hände“. | |
23 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Franziska-Linkerhand-im-Gorki-Theater/!6041343 | |
[2] https://www.ballhausost.de/linke-haende/ | |
[3] /Underground-Kunstszene-im-DDR-Erfurt/!5889404 | |
[4] /Doku-ueber-DDR-Kuenstlerinnen/!5889011 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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