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# taz.de -- DDR-Subkultur in Cottbus: Die Sehnsucht nach Öffnung
> Mit den Künstlerbüchern von Gabriele Stötzer erinnert das Museum im
> Dieselkraftwerk Cottbus an ein Kapitel der DDR-Subkultur.
Bild: Expressives und spielerisches Werk: Ausschnitt einer Seite aus dem Macken…
Eine junge Frau, das Gesicht weiß geschminkt, nimmt Maß an ihrer Umgebung.
Sie breitet an einem Laternenpfahl die Arme aus wie der Leuchtkörper über
ihr, sie klemmt sich senkrecht zwischen Mülltonnen und Briefkästen, sie
biegt sich um Ecken, bringt ihre Silhouette mit dem Turm des Domes in
Übereinstimmung. Sie wird zum Echo der Architektur und gewinnt selbst den
tristen Ecken einen Hauch von Poesie und Witz ab.
Erfurt ist der Schauplatz, die Zeit Mitte der 1980er Jahre, die Künstlerin
heißt Gabriele Stötzer. Ihre Performance in der Stadt ist auf kleinen
schwarzweißen Fotografien festgehalten, die zu einer Seite in einem ihrer
vielen Künstlerbücher montiert sind.
Wie sie Körper, Stein und Stadtmöblierung ins Verhältnis setzt, erinnert an
Arbeiten von Valie Export, die sich ähnlich mit dem Pflaster in Wien
beschäftigte. Allein Exports Aktionen sind in einzelnen, großen Fotografien
erhalten. Schon die kleinen Formate von Gabriele Stötzer und ihre einmalige
Montage in einem fragilen Buch verweisen auf den anderen Kontext ihrer
Kunstproduktion, in der Subkultur der DDR.
Das Brandenburgische Landesmuseum für moderne Kunst in Cottbus zeigt die
Künstlerbücher von Gabriele Stötzer in einer Ausstellung, „Gerissene
Fäden“, die erstmals viele Seiten der Bücher nebeneinander an den Wänden
aufgereiht hat. Die Kuratorin (und Museumsdirektorin) Ulrike Kremeier will
damit den Blick auf die Ästhetik, die Reflexionsformen und das
Spannungsverhältnis zwischen der Thematisierung des öffentlichen Raums und
der Intimität der Künstlerbücher von Gabriele Stötzer lenken. Denn bisher
ist die Rezeption der Künstlerin und Autorin, die im April 65 Jahre alt
wird, oft von ihrer Biografie geprägt.
## Die sich nicht erpressen ließ
Christa Wolf hat ihr 1979 ein kleines literarisches Denkmal gesetzt in
ihrer Erzählung „Was bleibt“. Da beschreibt Wolf eine Zeit, in der
Überwachung jeden Schritt im Alltag dreimal überlegen ließ. Eines Tages
klingelt eine junge, ihr unbekannte Frau bei ihr: „Durch ein paar schnelle
Fragen und Antworten wurde klar, daß der Name des Mädchens wirklich mit
einer bestimmten Affäre an einer bestimmten Universität, im Zusammenhang
mit Denunziationen, mit Verfahren und Erpressungen aufgetaucht war, daß
wirklich sie es war, die man damals vom Studium ausgeschlossen hatte, das
sie nicht zu den Erpressbaren gehörte.“
Kurz nach der Relegation von der Hochschule brachte Stötzer die
Mitorganisation der Unterschriftenlisten, die 1976 gegen die Ausbürgerung
von Wolf Biermann protestierten, anderthalb Jahre Gefängnis ein.
Was man jetzt in Cottbus sehen kann, ist ein expressives und spielerisches
Werk, das niemals bitter wirkt, sich aber mit vielen Erfindungen immer
wieder gegen die Festlegung von Identität und die Begrenzung von
Spielräumen wehrt. In inszenierten Fotografien, Zeichnungen, überzeichneten
Fotos und in Texten werden Haltungen und Posen ausprobiert, die mal an die
Gegenkultur der Hippies andocken, mal an Märchen und Kunstgeschichte, mal
an sexuelle Libertinage, mal an Punk-Attitüden.
Man findet darunter auch die Thematisierung von Transsexualität, wo die
nicht eindeutigen Körper einerseits verwirren, andererseits aber, wie oft
in Stötzers Büchern, schnell zu einem humorvollen Spiel finden, das
zwischen Küchenszenen und SM-Posen changiert, immer ein wenig schüchtern,
immer ein wenig mit Erstaunen über das eigene Treiben von den Protagonisten
in Szene gesetzt.
Wie überhaupt oft der Eindruck entsteht, dass eine symbolische Setzung, wie
das Stillstellen des Körpers als Mumie, zwar den Ausgangspunkt bildete,
dann aber das physische Erleben der Posen ein Eigenleben entfaltet und zu
weiteren Fantasien geführt hat.
Denkt man in der Ausstellung an die Auseinandersetzungen in Cottbus heute,
an die Demonstrationen der AfD und der „Zukunft Heimat“ auf der einen
Seite, die eine vermeintlich deutsche Identität gegen andere Einflüsse
absichern wollen, und den Cottbuser Aufbruch andererseits, der die Vielfalt
verteidigen möchte, dann sind Stötzers Bilder eigentlich wunderbares
Anschauungsmaterial für die Sehnsucht nach Öffnung.
## Bisher wenig bekannt
Denn erzählen ihre Bücher nicht auch, dass in der Heimat der
DDR-Sozialisierten die Einengung und Festschreibung der Identität eben zu
einem großen Problem wurde, Quell persönlichen Unglücks und politischen
Starrsinns. Haben die, die jetzt Heimat auf ihre Fahnen schreiben, das
schon vergessen?
Zwischen den Arbeiten von Gabriele Stötzer sind zwei von der französischen
Künstlerin Annette Messager zu sehen, die sich, zehn Jahre älter, schon in
den 1960er Jahren mit weiblichen Rollenmustern beschäftigt hat. Ein zartes
Gespinst aus Wollfäden bildet einen Körper mit seinem Geflecht aus
Blutbahnen und Nerven nach, leicht angreifbar auf einem Kissen
ausgebreitet. Das ist nur eine sparsame Markierung, um Stötzers bisher
wenig bekanntes bildnerisches Werk in einen internationalen Kontext von
Künstlerinnen zu stellen, die sich mit Zuschreibungen von Weiblichkeit
beschäftigt haben.
6 Mar 2018
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
DDR
Subkultur
Maxim Gorki Theater
Punk
Hasso Plattner
Feminismus
DDR
Kunst
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