| # taz.de -- Ausstellung DDR und Punk in Leipzig: Mit Sack überm Kopf in den Wa… | |
| > „Wutanfall – die Punkband im Visier der Stasi, 1981– 84“ zeigt, wie | |
| > Subkulturen zur Zielscheibe der DDR-Behörden wurden. Und zur Legende. | |
| Bild: Die Band Wutanfall 1982 in ihrem Proberaum in Leipzig | |
| Dass Jürgen „Chaos“ Gutjahr eines Tages als Zeitzeuge vor Schulklassen | |
| sprechen würde, hätte er sich wohl kaum vorgestellt: Damals 1981, als er in | |
| Leipzig im Alter von 17 Jahren Opas Klamotten punkmäßig zuschneiderte und | |
| eine Band namens Wutanfall gründete. Einfach losmachen, sich die | |
| Selbstermächtigung aneignen, die Punk versprach! Auch wenn man jenseits der | |
| Mauer lebte. | |
| Zuvor war Gutjahr, wie er anlässlich der Eröffnung der Ausstellung | |
| „Wutanfall – die Punkband im Visier der Stasi 1981–1984“ in der Leipzig… | |
| Außenstelle der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) erzählte, öfter in den | |
| Keller gegangen, um sich mit Schreien abzureagieren. Doch das hatten die | |
| Nachbarn bald torpediert. | |
| Die Band leckte Blut, wie viel Spaß das Ausprobieren der Instrumente bringt | |
| – und erlebte von Staatsseite massive Repression: „Das war eine Eskalation, | |
| mit der man so nicht gerechnet hat“, erklärt Gutjahr. Er erzählt von einem | |
| 17-stündigen Verhör, nach dem ihm die Hand geführt wurde – für die | |
| Unterschrift, er sei gut behandelt worden. | |
| Und, sehr verstörend, von seiner „ersten Nahtoderfahrung“, einen Erlebnis, | |
| über das er erst gut 30 Jahre später reden konnte: Von drei | |
| Stasi-Offizieren wurde Gutjahr in ein Waldstück verschleppt und mit Sack | |
| überm Kopf brutalst misshandelt. | |
| Trotz – oder wegen – der Repression wurde Wutanfall zu einer prägenden Band | |
| der DDR-Punkszene. Dass sie bis heute Legendenstatus hat, obwohl bis vor | |
| kurzem keine Tonträger existierten und „Wutanfall vieles war, aber nicht | |
| unbedingt Musik“, belegt den Mythos, wie Jakob „Schrammel“ Geisler erklä… | |
| Kurator der Ausstellung. Seiner akribischen Recherche verdankt sich auch | |
| das posthume Wutanfall-Album „81–83“, mit ausführlichem Booklet, zur | |
| Ausstellung veröffentlicht. | |
| ## Jargon erinnert an Nazis | |
| Ausschnitte aus den vielen Aktenmetern zeichnen dort nach, wie Teenager zu | |
| Staatsfeinden stilisiert wurden. Zwei Wutanfall-Mitglieder wurden von der | |
| Stasi als Inoffizielle Mitarbeiter angeworben, was nicht nur die Akten, | |
| sondern auch die unbekümmert wirkenden Fotos in ein anderes Licht setzt. | |
| Mit welcher Härte versucht wurde, die kleine Szene – seinerzeit gab es in | |
| Leipzig an die 30 Punks – zu zersetzen! Der Jargon in den Akten erinnert | |
| auf erschreckende Weise an die Nazis. | |
| Das Publikum zur Eröffnung ist heterogen – neben Akteuren von einst kommen | |
| viele junge Leute. Trotzdem hat es etwas von einem Klassentreffen. Im | |
| Treppenaufgang der BStU hängen Exponate, die den Umgang mit anderen | |
| „negativen-dekadenten“ (so der Behörden-Sprech) Subkulturen dokumentieren. | |
| Diana Schneider, Lehrerin und Fachberaterin für Geschichte, erzählt, wie | |
| schwierig es ist, die Methoden der Stasi am Beispiel von Wutanfall zu | |
| vermitteln. Oft meinen Schüler: „Wieso soll uns das interessieren, die Band | |
| war doch auch Stasi.“ Schneider wirft die diskutierenswerte Frage auf, ob | |
| man eine solche Geschichte überhaupt anhand von Akten, also | |
| Täterdokumenten, erzählen kann. | |
| Umso wichtiger ist das Befragen von Zeitzeugen. Und so berichten diese im | |
| Anschluss. Neben Gutjahr und Geisler sitzen Bernd Stracke, der 1983 Sänger | |
| bei Wutanfall wurde, und die Fotografin Christiane Eisler auf dem Podium. | |
| Ihr ist zu verdanken, dass die Geschichte der Band visuell ausführlich | |
| dokumentiert ist. Als Studentin mit Interesse an Sozialdokumentarischem | |
| fand sie in der Punkszene nicht nur ein Diplom-Thema, sondern auch Freunde. | |
| ## Neue Blickwinkel | |
| Vergangenes Jahr erschien ihr eindrucksvoller Fotoband „Wutanfall – Punk in | |
| der DDR 1982–1989. Die Protagonisten damals und heute“ im transit Verlag | |
| Leipzig. Auch die Moderatorin Connie Mareth, Herausgeberin der | |
| Subkulturchronik „Haare auf Krawall“, gehörte seinerzeit zur Szene. | |
| Zwar wurde Ostpunk in den Nachwendejahren immer wieder thematisiert. Nach | |
| Filmen wie „Störung Ost“ oder „Too much future. Punk in der DDR“ ersch… | |
| erst 2017 die Chronik des US-Autors Tim Mohr „Stirb nicht im Warteraum der | |
| Zukunft: Die ostdeutschen Punks und der Fall der Mauer“. | |
| Trotzdem liefert die Ausstellung neue Blickwinkel. Zum einen, weil es | |
| erschüttert, fast verblüfft, welch unterkomplexes Verständnis von | |
| gesellschaftlichen Prozessen in diesen Institutionen herrschte. Zum | |
| anderen, weil an den Exponaten deutlich wird, wie eine Diktatur im Detail | |
| funktioniert: Worauf Bespitzelung abzielt, wie Zermürbung stattfindet. | |
| ## Noch immer wütend | |
| „Verrückterweise war einem unangenehm, darüber zu reden, was man mit der | |
| Stasi erlebt“, erklärt Mareth. Vielleicht, so ihre Vermutung, weil man als | |
| junger Mensch „nicht Opfer sein will“. So sei man eben „mit dem schlechten | |
| Gefühl herumgelaufen, dass die eigenen Freunde einen möglicherweise | |
| verdächtigen, mit der Stasi zu reden“ – statt das offen zu thematisieren. | |
| Wie viel Wutanfall heute noch in Gutjahr steckt, beantwortet der Künstler | |
| schließlich mit einem eindrucksvollen Noise-Set: Er spielt Drumsticks auf | |
| einer Metalltonne, unterstützt von einem Chor, der Wutanfall-Texte singt. | |
| Und auf die Eingangsfrage, wie es denn nun sei, aufgrund seiner Biografie | |
| als Zeitzeuge zu gelten, stellt Gutjahr fest, dass es ihm einfach ein | |
| Anliegen ist. Auch, weil er immer wieder auf „große Wissenslücken und ein | |
| völlig falsches Bild von dieser Diktatur“ stößt. | |
| 24 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Stephanie Grimm | |
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