Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neue Ausstellung im ZKM Karlsruhe: Nie mehr Opfer sein!
> Die Ausstellung „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre“ aus der
> Sammlung Verbund überzeugt mit ungebrochener Aktualität.
Bild: Ausschnitt aus Ulrike Rosenbach, Art is a criminal action, No. 4, (1969)
Seit sieben Jahren tourt die „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre“
durch Europa und ruft in Erinnerung, wie in diesem Jahrzehnt sich
Künstlerinnen gegen Patriarchat und Geschlechternormative zur Wehr setzten.
Um diesem künstlerischen Aufbruch seine eigene Terminologie zu geben,
prägte Gabriele Schor den Begriff der „Feministischen Avantgarde“.
„In der ausschließlich männlich besetzten Geschichte der künstlerischen
Avantgarde tauchen Frauen kaum auf. Die Zeit ist gekommen, den Kanon der
Kunstgeschichte zu erweitern und die Künstlerinnen der 1970er Jahre in die
Museen und auf den Markt zu bringen“ so die Leiterin der Sammlung Verbund.
Seit 2004 baut Schor die Kunstsammlung des größten österreichischen
Stromunternehmens mit dem Schwerpunkt zeitgenössischer internationaler
Kunst auf und hat im Rahmen ihrer Recherche zu den feministischen
Positionen in den Ausstellungskatalogen der 1970er Jahre viele Arbeiten
gefunden.
Damals gab es eine lebendige und vernetzte Szene, doch als Schor die
Künstlerinnen nach ihren frühen Arbeiten fragte, wussten einige nicht
einmal, wo sich diese befinden. Seit vierzig Jahren hat niemand danach
gefragt, meinte Ulrike Rosenbach, um dann ihre Fotoserie „Hauben für eine
verheiratete Frau“ (1970) vom Dachboden zu holen.
## Frühe Arbeiten im Schuhkarton
Selbst eine international gefeierte Künstlerin wie Cindy Sherman, mit der
Schor 2012 einen Catalogue raisonné publizierte, bewahrte ihre früheren
Arbeiten, wie zum Beispiel „Doll Clothes“ (1975), in Schuhkartons auf.
Schor schaffte es, all diese Arbeiten für die Sammlung zu akquirieren und
sie überzeugte manch eine Künstlerin davon, wie bedeutsam ihre frühen
Kunstwerke für eine internationale Sammlung sind.
Im ZKM Karlsruhe wird die „Feministische Avantgarde“ in ihrer bisher
größten Ausdehnung präsentiert – 400 Werke von 50 Künstlerinnen lassen
unmittelbar spüren, wie relevant die Themen von damals, weibliche
Sexualität, gesellschaftliche Stereotypen und das Diktat der Schönheit,
auch heute noch sind.
Der erste Themenbereich konfrontiert den Betrachter unmittelbar mit neuen
weiblichen Denkansätzen: „Das Private ist politisch!“ war die Losung einer
Dekonstruktion stereotyper gesellschaftlicher Erwartungen an die Frau als
Mutter und Hausfrau. Birgit Jürgenssen zeigt in ihren Zeichnungen ein Bild
des Alltags als einen wiederkehrenden Schrecken und die Sisyphusarbeit in
„Bodenschrubben“ (1975) ist eine Persiflage der Geschlechterverhältnisse,
indem der Mann als Waschlappen von der Frau benutzt wird.
Annegret Soltau dagegen hadert in der Videoarbeit „Erinnerung
(Schwanger-Sein II)“ von 1979 mit dem eigenen Körper und der
Doppelbelastung von künstlerischem Schaffen und unbezahlter
Reproduktionsarbeit. Muttersein ist ein wichtiger Aspekt in der
Selbstbefragung der Künstlerinnen, interessanterweise fehlen Arbeiten, die
das Recht auf Abtreibung thematisieren.
## Der weibliche Körper als Chiffre
Bis heute bleibt der weibliche Körper als Chiffre ein unausweichliches
Thema, an dem gesellschaftliche Funktionen und Fragen verhandelt werden:
Orlan wird in einer Fotoserie von der Jungfrau Maria in einer dynamischen
Metamorphose zur nackten Venus nach Botticelli, um im letzten Bild komplett
zu verschwinden. Ähnlich in Hannah Wilkes „Super-T-Art“ (1974), wo sie
ikonografisch von der Maria Magdalena zum gekreuzigten Jesus mutiert.
Die Ausstellung belegt, wie Künstlerinnen aus unterschiedlichen Ländern,
ohne sich zu kennen, zu erstaunlich ähnlichen Ausdrucksformen gefunden
haben. Ana Mendietas berühmte Arbeit „Untitled (Glass on Body Imprints)“
von 1972, die von ihren Erben erst 1997 öffentlich gemacht wurde,
unterscheidet sich kaum von Katalin Ladiks „Poemim (Series A)“ von 1978.
In beiden Arbeiten wird die weibliche Schönheit, das Spiegelbild, ironisch
durch das Drücken einer Glasscheibe auf das eigene Gesicht entstellt.
Solchen überraschenden Ähnlichkeiten begegnet man in der Ausstellung oft
und merkt, wie universal die feministischen Fragen der 1970er Jahre waren.
Auffällig ist das Fehlen der Malerei, die Künstlerinnen arbeiten
vorzugsweise mit Fotografie, Video und Performance. Es ist eine Hinwendung
zu kunsthistorisch unbelasteten Medien und gleichzeitig das geeignete
Mittel, um Performances und Aktionen festzuhalten, wie Valie Exports
berühmtes „Tapp- und Tastkino“ (1969) oder Hannah Wilkes „Through the La…
Glass“ (1976), einem Striptease vor Marcel Duchamps Jahrhundertwerk.
## Die großen Künstlerinnen sind im Kommen
Die Kampfansage an die Rolle der Muse und des Models formuliert Linda
Nochlin in ihrem Essay „Why Have There Been No Great Woman Artists?“ von
1971, also zu einem Zeitpunkt, zu dem man sagen konnte: Sie sind im
Anmarsch. Und Gabriele Schor ist es gelungen, sie im Nachhinein
zusammenzubringen und die existenzielle Notwendigkeit dieser Arbeiten
spürbar zu machen.
Der große Aufbruch war wild – die Künstlerinnen reflektieren Momente, in
denen sie auf sich selbst geworfen waren. Der Weg führte aus der
Opferrolle heraus in den radikalen Nonkonformismus hinein, der heute so
aktuell ist wie nie.
3 Dec 2017
## AUTOREN
Elena Korowin
## TAGS
Feminismus
Kunst
ZKM
DDR
Käthe Kollwitz
## ARTIKEL ZUM THEMA
DDR-Subkultur in Cottbus: Die Sehnsucht nach Öffnung
Mit den Künstlerbüchern von Gabriele Stötzer erinnert das Museum im
Dieselkraftwerk Cottbus an ein Kapitel der DDR-Subkultur.
Verein der Berliner Künstlerinnen: Nach Berlin der Kunst wegen
Seit mehr als 150 Jahren besteht der Verein der Berliner Künstlerinnen –
die Ausstellung „Fortsetzung jetzt!“ auf der Zitadelle Spandau.
Cindy Shermans Frühwerk in Wien: Als die Identitätsspiele laufen lernten
Postmoderne Motive und ein kurzes Experiment: Eine Wiener Kunstsammlung hat
sich in den Kopf gesetzt, das "Frühwerk" Cindy Shermans auszugraben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.