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# taz.de -- Cindy Shermans Frühwerk in Wien: Als die Identitätsspiele laufen …
> Postmoderne Motive und ein kurzes Experiment: Eine Wiener Kunstsammlung
> hat sich in den Kopf gesetzt, das "Frühwerk" Cindy Shermans auszugraben.
Bild: Cindy Sherman bei der Ausstellungseröffnung ihres Frühwerks in Wien am …
Wann beginnt ein Künstlerinnenleben? Im Fall der gloriosen
Dis-Identitäts-Artistin Cindy Sherman galten bislang die "Untitled Film
Stills" aus den Jahren 1977 bis 1980 als Anfang ihrer künstlerischen
Karriere. Die enigmatischen Bilder, in denen sich Sherman in
verschiedensten Rollen und jeweils stillgestellten Szenen nie gedrehter
B-Movies inszeniert, begründeten ihren Ruhm und ihr Image als Künstlerin
der radikalen Selbstverwandlung.
Shermans Markenzeichen ist seither das Spiel mit Identitäten, Rollen und
Transformationen, die nahezu unheimliche Kunst der exzessiven Nutzung und
gleichzeitigen Verschleierung des eigenen Körpers. Zu den feministischen
Implikationen ihrer Arbeiten ist viel gesagt und geschrieben worden, denn
fast immer inszeniert Cindy Sherman Weiblichkeit als komplette Maskerade
und stellt darin die Frau in ihrer Funktion als Projektionsfläche und
Objekt des (männlichen) Blicks deutlich aus.
Cindy Sherman schlüpft in alle Rollen, die sie grausam bis zur Groteske
verbiegt, ohne jemals selbst von ihnen angetastet zu werden. Seit
Jahrzehnten entwirft sie sich in stets neuen Szenarien, sei es als
Sex-Crime-Opfer, gespenstische Clowns oder absurd schönheitsoperierte
High-Society-Ladys.
Doch es gab ein - kurzes - Leben Shermans vor den "Untitled Film Stills",
und die Kunstsammlung des österreichischen Energiekonzerns Verbund
(Sammlung Verbund) hat sich unter der Leitung von Gabriele Schor in den
Kopf gesetzt, das "Frühwerk" Shermans auszugraben und als Werkeinheit zu
konzipieren. Mit einer Ausstellung in Wien und einem noch umfangreicheren
Katalog etabliert die Sammlung, deren Schwerpunkt auf feministischer Kunst
liegt, nun das Werk Shermans aus den Jahren 1975 bis 1977 als Einheit und
zeigt dabei einige bislang kaum oder gar nicht bekannte Arbeiten.
## Leichte, verspielte und experimentelle Atmosphäre
Im dem kurzen Zeitraum Mitte der 1970er Jahre war Sherman Kunststudentin am
State University College in Buffalo und gehörte dort, gemeinsam mit ihrem
Partner Robert Longo, zur aufstrebenden Künstlergruppe des Hallwalls
Contemporary Art Center. Das auffälligste Markenzeichen der 21- bis
23-Jährigen ist ihre enorm große Brille, die in den ersten fotografischen
Selbstporträts und dem Trickfilm "Dolls Clothes" prominent hervorsticht.
Die Wiener Ausstellung und der Katalog spiegeln eine leichte, verspielte
und experimentelle Atmosphäre jener Jahre. Wüsste man nicht, was später
daraus wurde, könnte man manche der Abbildungen auch für x-beliebige
Studentenfotos halten, Dokumente einer sich austestenden Jugend mit einem
für diese Lebensphase typischen Hang zum Verkleiden, zu Scherzfotos und
Theaterspielen.
Die frühen Arbeiten, das sind beispielsweise Fotoserien, in denen Sherman
mit ihrem Gesicht spielt, serielle Veränderungen in Ausdruck, Make-up und
Accessoires akribisch festhält und sich von der bebrillten ungeschminkten
Studentin bis hin zur lasziv rauchenden Verführerin transformiert. Die
Serien erinnern an die Logik der Daumenkinos. In dieser Phase arbeitet die
Künstlerin auch mit "Cut-outs", als Ganzkörperfotos ausgeschnittenen
kleinen Figuren, die sie in theatralischen Szenen miteinander agieren
lässt, etwa in "A Play of Selves" oder "Murder Mystery".
Immer ist Sherman alle Personen zugleich, sie verkleidet sich nicht
perfekt, sondern in sichtbar amateurhafter Theatermaske. Rimbauds Satz "Ich
bin viele", der als Lieblingsmotiv der Postmoderne Karriere machen sollte,
ist hier schon deutlich ausagiert.
Zwei Motive in diesem Frühwerk erstaunen, denn sie kommen später bei Cindy
Sherman nicht mehr vor. In der Fotoserie "Air Shutter Release Fashions" von
1975 sieht man Shermans nackten Körper als Torso. "Air Shutter Release" ist
der Selbstauslöser, und Sherman legt seine lange Schnur jeweils in der Form
von Umrissen diverser Kleidungsstücke um den Körper, als Minirock, Bikini,
T-Shirt. Anlass dieser dekorativen Bondage war eine Aufgabe der Lehrerin
Barbara Jo Revelle, die von ihrer Klasse verlangte, sich fotografisch mit
etwas als unangenehm Empfundenem auseinanderzusetzen. Sherman bezeichnet
sich selbst im Rückblick als "prüde", den nackten Körper auszustellen fiel
der Meisterin der Camouflage nicht leicht, und sie hat diese Arbeiten
bislang nie gezeigt.
## Vom Bauarbeiter zur Dame
Das zweite ungewöhnliche Motiv ist Shermans Verkleidung als Mann. In einer
ihrer Gesichtsstudien wandeln sie Mimik und Maske schrittweise vom
Bauarbeiter zur Dame mit Hut. In den Cut-out-Theaterspielen tritt sie als
Mann auf, und auch in den Serien "Bus Riders" schlüpft Sherman in die Rolle
männlicher Figuren. Nicht immer soll der Geschlechtswandel authentisch
aussehen. Aber vor allem in der Serie "Bus Riders", in der Sherman die
verschiedenen Fahrgäste eines Busses imitiert, sieht sie so aus, als sei
sie gerade frisch einem "Man in a Day"-Workshop entsprungen. Als schwarzer
Student, als sonnenbebrillter Businessmann, als sportiver Youngster oder
gegelter Dandy, exakt so inszenieren sich die Drag Kings heute, Haltung und
Outfit wirken irritierend echt und bleiben doch nur Stereotype.
Warum ist Sherman, die ja in ihren Arbeiten immer die Zumutungen des
Geschlechtlichen auslotet, nicht beim Changieren zwischen Männlichem und
Weiblichem geblieben, beim Gender Bender und der queeren Performance? Der
politische Geschlechterkampf hat ja genau diese Richtung genommen. Dagegen
griff Sherman das, was den Gendersensiblen heute als avantgardistisch
erscheint, damals Mitte der 1970er Jahre kurz auf - um es dann fallen zu
lassen wie einen zu dürren Ast.
Tatsächlich ließe sich die Frage stellen, wie radikal denn reines Drag und
bloße Verkehrung der Geschlechter eigentlich sein können. Für Cindy Sherman
jedenfalls schien künstlerisch wenig Potenzial darin zu liegen. Tatsächlich
nehmen sich ihre Darstellungen als Mann, im Vergleich zu dem, was sie
später mit der Frauenrolle anstellte, deutlich zu harmlos aus.
Und vielleicht steckt ja eine generelle Weisheit hinter der Methode, auf
penetrante Weise beim eigenen Geschlecht zu bleiben. Die sexuelle Identität
ist zwar durch den sozialen, biologischen oder wie auch immer zu
bezeichnenden "Gegensatz von männlich und weiblich" geformt; als
thematische Obsession aber taugt die abstrakte Geschlechterfrage wenig. Das
Spiel mit den entgegengesetzten Rollen, die Verkehrung der Welten, auch die
ambivalente Darstellung von Männlichem und Weiblichem hätten nicht
annähernd dieselbe Schlagkraft gehabt wie Shermans unermüdliche Operation
am eigenen Geschlecht.
## Die 12-jährige Cindy
Im frühen Werk Shermans lassen sich ex post dennoch jene Prinzipien
wiederfinden, die weniger für den Feminismus als vielmehr später für die
Queer- und Genderbewegung so bedeutsam wurden: Transformation, Performance,
Maskerade. Das Verdienst des Frühwerkkatalogs ist es, dass er Herkünfte
aufweist, erste Spuren einer künftigen Entwicklung. Er zeigt in den
Gesichterserien und Cut-outs den beweglichen Beginn dessen, was Cindy
Sherman später in einzelne Bilder und zu "Stills" zusammenfassen wird. Die
Entwicklung des "Von-zu", so bemerkt Gabriele Schor im einleitenden Essay,
werde in den späteren Arbeiten zu einem einzigen Endprodukt verdichtet.
Das lustigste und schönste Bild des Katalogs aber ist ein Foto, das die
12-jährige Cindy zusammen mit einer Freundin als altes Damenpaar verkleidet
zeigt. Die beiden Mädchen imitieren die Alten genau bis in die
Körperhaltung hinein und recken die kurzsichtig grimassierenden Gesichter
in Richtung Kamera.
Immer schon wollte Cindy Sherman lieber alte Hexen mit Hängebrüsten
imitieren als Prinzessinnen. Ihr künstlerischer Impuls stammt aus dem
allgemeinen kindlichen Trieb, sich zu kostümieren, ein anderes Aussehen,
einen anderen Ausdruck anzunehmen. Der Unterschied ist nur, dass Sherman
niemals aufgehört hat mit der Verwandlung - und dass sie das arglose Spiel
der Verkleidung in seine gespenstischen Abgründe trieb.
"Thats me - Thats not me. Cindy Shermans frühe Werke". Ausstellung der
Sammlung Verbund, Wien, bis 16. Mai. Catalogue Raisonné, hg. von Gabriele
Schor, 256 Seiten, ca. 288 Abbildungen, 2012, Verlag Hatje Cantz. Infos
unter [1][www.verbund.com] - Cindy Sherman Retrospektive vom 26. Februar
bis 11. Juni im Museum of Modern Art New York.
3 Feb 2012
## LINKS
[1] http://www.verbund.com
## AUTOREN
Andrea Roedig
## TAGS
Feminismus
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