# taz.de -- Rechtsextreme Gewalt in Ostdeutschland: Generation Hoyerswerda | |
> Vor 30 Jahren begann eine Welle rassistischer Pogrome. Rohe Gewalt ist | |
> inzwischen weniger geworden – die Demütigungen im Alltag sind es nicht. | |
Bild: Jugendliche applaudieren beim Abtransport der Asylbewerber, 1991 | |
Sie stammen aus einer anderen Zeit, die unscharfen Farbfernsehbilder des | |
September 1991 aus Hoyerswerda. Sie zeigen Szenen, in denen Neonazis und | |
Bürger*innen über eine Woche lang vormalige | |
DDR-Vertragsarbeiter*innen und Asylbewerber*innen jagen, ihre | |
Behausungen versuchen in Brand zu stecken und zu terrorisieren. Vor | |
laufender Kamera artikulieren die Akteure dieser Gewalt ungefiltert ihren | |
rassistischen Hass, gepaart mit nationalistischem Dünkel. | |
Die Polizei war in [1][Hoyerswerda] über Tage nicht in der Lage, die rechte | |
Gewalt wirkungsvoll zu beenden. Ein Handlungsmuster, welches sich in den | |
Jahrzehnten danach vielfach wiederholt. | |
Die tagelange rassistische Massengewalt von Hoyerswerda 1991 ist eine der | |
Urszenen der „Baseballschlägerjahre“, [2][jener Zeit der 1990er und 2000er | |
Jahre], in denen rechte Jugendliche, normale Bürger*innen und | |
organisierte Neonazis eine nahezu grenzenlose rassistische Gewalt ausübten; | |
über lange Zeit weitgehend ohne Gefahr strafrechtlicher Sanktionen. Mehr | |
noch: Die sah zu, nein, sie sah weg, wenn Neonazis mit und ohne Anlass auf | |
alle einprügelten, die sie für undeutsch ansahen. | |
Jene, die diese Gewalt thematisierten, sich wehrten, gerieten und geraten | |
nicht selten selbst unter sozialen Druck oder unter | |
Linksextremismus-Verdacht. Bis heute geben Polizisten manchmal den | |
potenziellen Opfern rechter und rassistischer Gewalt den gut gemeinten | |
Ratschlag, sich im Angesicht der Bedrohung durch rechts motivierte | |
Gewalttäter unsichtbar zu machen, nicht aufzufallen oder besser ganz aus | |
dem Ort zu verschwinden. | |
Die Tage rassistischer Gewalt von Hoyerswerda prägten eine ganze Generation | |
rechtsextremer Gewalttäter – politisch und aktionistisch. Es war die Zeit, | |
in der die späteren [3][NSU-Terrorist*innen Zschäpe, Mundlos und | |
Böhnhardt] in einer rechten Jugendbewegung sozialisiert wurden, aus der sie | |
den Schluss zogen, zum geplanten Terror gegen Migrant*innen überzugehen. | |
Die Generation Hoyerswerda hat aus den 1990er Jahren gelernt, dass in der | |
Gesellschaft der Wille, die Bereitschaft zur Konsequenz und die dauerhafte | |
Aufmerksamkeit, die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus | |
zu führen, immer dann erlahmen, wenn scheinbar gerade nichts passiert – | |
will heißen, es kein rassistischer Angriff in die überregionalen Medien | |
schafft. Wer aber wissen will, was wirklich vor sich geht, lese die | |
Meldungen und Chroniken der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt. | |
Was in Hoyerswerda im September 1991 geschah, war kein einmaliger Vorgang. | |
Es war eine Blaupause für die rassistische Gewalt, die von | |
[4][Rostock-Lichtenhagen 1992] bis Heidenau 2015 pogromartige Züge trug. | |
Vorbei? Lange her? Sicher, Verhältnisse wie in den 1990er Jahren, in denen | |
Neonazis ganze ostdeutsche Kleinstädte zur No-go-Area für ihre erklärten | |
Feinde machten, sind vorbei. Das hat verschiedene Gründe: Abwanderung, der | |
demografische Wandel, der Wegfall des jugendkulturellen Bewegungsimpulses | |
der extremen Rechten und nicht zuletzt die mutige und kräftezehrende Arbeit | |
von Antifaschist*innen und Zivilgesellschaft. | |
## Baseballschlägerjahre | |
Das, was das Wesen der „Baseballschlägerjahre“ ausmachte – die sichtbare, | |
schiere Omnipräsenz rechtsextremer Gewalt und Dominanz in Ostdeutschland – | |
mag vorbei sein. Nicht vorbei aber ist die Gewalt, die Diskriminierung und | |
die oft subtile Demütigung, die von Neonazis und rechten Wutbürgern | |
ausgeht. In den westdeutschen Metropolen, auch in Leipzig, Jena und | |
Potsdam, kann dem, wer will, aus dem Weg gehen. In Chemnitz, Köthen und | |
Pasewalk ist das schwieriger. | |
Die Schläger von damals sind nicht verschwunden. Sie sind heute | |
Familienväter, Unternehmer für die rechte Bewegung oder AfD-Wähler. Wer | |
sich ein Bild vom Ausmaß der Normalisierung der extremen Rechten in | |
Ostdeutschland machen will, sehe sich Wahlkampfveranstaltungen der AfD auf | |
den Marktplätzen an. Das sind keine Massenevents. Aber dort stehen rechte | |
Wutbürger, Neonazis und normale Leute, die glauben, ihre Meinungsfreiheit | |
sei in Gefahr, einträchtig nebeneinander und lassen sich von | |
AfD-Politiker*innen einreden, sie lebten in einer DDR 2.0. | |
Seit den Ereignissen von Hoyerswerda wird darüber gestritten, was die | |
nachweislich in Ostdeutschland höheren Zahlen rechter und rassistischer | |
Gewalt mit der ostdeutschen Geschichte der DDR und der | |
Transformationsgesellschaft der 1990er Jahre zu tun haben. Zuletzt hatte | |
der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, einen | |
[5][zaghaften Versuch ostdeutscher Selbstreflexion unternommen] und wurde | |
dafür prompt parteiübergreifend hart angegangen. Wanderwitz’ Äußerung war | |
mutig, aber nicht genug. Dreißig Jahre nach Hoyerswerda haben alle | |
Klischees von Plattenbauten, Glatzen, Springerstiefeln und Arbeitslosigkeit | |
medial ausgedient. | |
Aber umso wichtiger ist es, die Perspektive zu wechseln, nicht die | |
Täter*innen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die Betroffenen | |
rassistischer Gewalt und jene, die sich seit langer Zeit und unter nicht | |
gerade komfortablen Bedingungen in den Regionen engagieren. Sie zu | |
unterstützen und zu begleiten, auch wenn das Thema rechte Gewalt gerade | |
nicht auf der Agenda von Politik und Medien steht, ist eine Aufgabe der | |
demokratischen Kultur. | |
Die Gefahr für emanzipatorische und antirassistische Jugend- und | |
Soziokultur im ländlichen und kleinstädtischen Raum Ostdeutschlands geht | |
heute nicht mehr nur von Neonazis aus, die Scheiben einschlagen oder | |
Mobiliar zertrümmern. Die Gefahr geht auch von einer AfD aus, die ihre | |
Verankerung in den Kommunen sucht und den Projekten vor Ort das Leben | |
schwermachen will. Dreißig Jahre Pogrom von Hoyerswerda sind Anlass | |
zurückzuschauen und sich die ungebrochene Kontinuität rechter Gewalt vor | |
Augen zu führen. | |
Hoyerswerda 1991 mag lange zurückliegen. Rechte Gewalt und Rassismus aber | |
sind gegenwärtig. | |
17 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Subkultur-in-Hoyerswerda/!5560994 | |
[2] /Jugendliche-in-Ostdeutschland/!5536453 | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistischer_Untergrund | |
[4] /Situation-fuer-Gefluechtete/!5791511 | |
[5] /Ostbeauftragter-Marco-Wanderwitz/!5772366 | |
## AUTOREN | |
David Begrich | |
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