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# taz.de -- DDR-Vertragsarbeiter aus Vietnam: Urlaub mit bösen Folgen
> Seit mehr als dreißig Jahren lebt und arbeitet Pham Phi Son in Sachsen.
> Chemnitz will den ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter abschieben. Warum?
Bild: „Ohne Anmeldung kein Aufenthaltsrecht und ohne Aufenthaltsrecht keine A…
Chemnitz taz | Der heute 65-jährige Pham Phi Son kam 1987 als
Vertragsarbeiter nach Sachsen. Jahrzehntelang lebte er dort als voll
integrierter Arbeiter, qualifizierte sich zum Vertriebskaufmann, verfügte
über eine Niederlassungserlaubnis sowie eine Wohnung. Doch dann reiste er
im Jahr 2016 nach Vietnam – und damit begannen die Probleme.
Bei dem Urlaub im subtropischen Klima flammte eine alte Kriegsverletzung an
seinem Bein wieder auf. Er musste sich in stationäre Behandlung begeben.
Das Attest liegt der taz vor. Weil sich der Genesungsprozess hinzog, kehrte
Son Monate später nach Deutschland zurück als beabsichtigt. Zu spät: Denn
das deutsche Ausländerrecht sieht vor, dass bei einem Auslandsaufenthalt
über mehr als sechs Monaten unter bestimmten Bedingungen alle erworbenen
Aufenthaltstitel erlöschen.
Dass Son wenige Wochen nach seiner Rückkehr wieder Arbeit fand und seine
Familie ernähren konnte, [1][beeindruckte die Chemnitzer] Ausländerbehörde
nicht. Der fiel die zu lange Abwesenheit des Mannes im Jahr 2017 auf. Da
wollte Son die Geburt seiner Tochter Emilia beurkunden lassen. Ihr hätte
eigentlich ein deutscher Pass zugestanden.
Doch wegen der zu langen Abwesenheit des Vaters verweigerte Chemnitz Emilia
die Beurkundung, Son und seiner Frau entzog sie das Aufenthaltsrecht. Sie
untersagte auch Sons Arbeitgeber, ihn weiter zu beschäftigen, und meldete
die Familie von Amts wegen in der Wohnung ab. Die vermutlich von der
Ausländerbehörde dorthin geschickte Polizei suchte ihn.
## Kinderfeindliche sächsische Asyl- und Abschiebepolitik
Die Familie tauchte daraufhin ab und hält sich seitdem versteckt. Alle
Bemühungen, wieder ein legales Aufenthaltsrecht zu erlangen, scheiterten
seitdem. Weder das Verwaltungsgericht noch die Sächsische
Härtefallkommission wollten einen Härtefall anerkennen.
Stefan Taeubner, der katholische Seelsorger der Familie, will sich mit der
Behördenentscheidung nicht zufrieden geben: „Ich erwarte von den Chemnitzer
Behörden eine humanitäre Lösung.“ Unterstützung erhält Taeubner vom
SPD-Landtagsabgeordneten Frank Richter. Für ihn ist der Fall „ein weiteres
Beispiel für die Familien- und kinderfeindliche sächsische [2][Asyl- und
Abschiebepolitik]“. Gutwillige, integrierte und arbeitsame Menschen würden
abgeschoben, die Traumatisierung von Kindern in Kauf genommen. Das sei
„unmenschlich, ungerecht und auch in ökonomischer Hinsicht unvernünftig“,
so Richter.
Kathrin Neumann, Sprecherin der Stadt, argumentiert: „Die
Niederlassungserlaubnis des Mannes war vor dessen Wiedereinreise in das
Bundesgebiet aufgrund der Dauer des Auslandsaufenthaltes kraft Gesetzes
erloschen.“ Der Familie sei mehrfach mitgeteilt worden, dass über einen
Antrag auf eine Duldung nur entschieden werden könne, „wenn sie sich in
Chemnitz anmelden“.
Das Problem: Für die Anmeldung müsste die Familie einen neuen Mietvertrag
vorweisen. Dem Seelsorger Taeubner zufolge würden viele Vietnamesen in
Chemnitz ihr jetzt keinen Wohnraum vermieten, weil sie sich dann der
Beihilfe zum illegalen Aufenthalt schuldig machen. „Ohne Anmeldung kein
Aufenthaltsrecht und ohne Aufenthaltsrecht keine Anmeldung“, sagt Taeubner.
„Selbst mich hat die Kriminalpolizei am Telefon auf strafrechtliche
Konsequenzen für den Fall hingewiesen, dass ich der illegalisierten Familie
weiter helfe.“
Setzt die Ampel ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag um, könnte sich
ein Ausländer mit Niederlassungserlaubnis bei einem triftigen Grund länger
im Ausland aufhalten können, ohne dass diese automatisch erlischt. Dass das
auch rückwirkend gilt, ist aber unwahrscheinlich.
10 Jan 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
DDR
Vertragsarbeiter
Abschiebung
Vietnam
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Deutsche Einheit
Schwerpunkt Rassismus
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