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# taz.de -- Friedhof in Hamburg: Garten der Lebensfäden
> Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg liegt der bunte, vielleicht
> europaweit einzigartige „Garten der Frauen“. Besuch an einem politischen
> Ort.
Bild: Ein Märchengarten, ein feministisches Projekt
Hamburg taz | Er wirkt harmlos: ein Märchengarten mit kleinem Pavillon,
einer Bank unterm Baum, mit Rosenbogen und luftigen Stauden. Dabei ist es
ein feministisches Projekt, ein steinernes Archiv, einzigartig in
Deutschland, vielleicht auch in Europa. Die Rede ist vom 2001 gegründeten
„[1][Garten der Frauen]“ auf dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof.
## Die Idee
Getragen wird der Garten von einem Verein, doch entstanden ist er auf
Initiative einer Einzelnen: [2][Rita Bake], Initiatorin der ersten
Hamburger Datenbank für Frauenbiografien, bemerkte im Zuge eines
Buchprojekts, wie viele bedeutende Frauen in Ohlsdorf bestattet waren – und
wie viele ihrer Grabsteine geschreddert zu werden drohten – nämlich dann,
wenn die Liegezeit abgelaufen war und kein Nachfahre mehr lebte.
Das war so bei Künstlerinnen wie der Jüdin Gretchen Wohlwill, bei
Politikerinnen wie Deutschlands erster Gerichtspräsidentin Clara Klabunde,
bei der Tänzerin Lola Rogge oder auch bei der Lehrerin Yvonne Mewes, die
1944 im KZ Ravensbrück an Hungertyphus starb. „Ihren Stein kann man doch
nicht schreddern und zu Straßenbelag verarbeiten“, fand Rita Bake.
Es musste andere Lösungen geben. Geld zu sammeln, um die Liegezeit der
Steine zu verlängern, war zu kompliziert. Aber wie wäre es, ein Areal auf
dem Friedhof zu pachten, so viele historische Steine wie möglich dorthin zu
versetzen und einen Erinnerungsort zu schaffen?
## Der Ort
Die Friedhofsverwaltung bot verschiedene Orte an, „und als ich hier stand,
wusste ich, das ist es“, sagt Bake. In der Tat hat das rund 1.600
Quadratmeter große Areal eine gute Atmosphäre. Man liest sich durch die
Inschriften der über 80 historischen und auch der neueren Steine. Da wacht
zum Beispiel ein von ihr selbst gestalteter Schwan über das Grab der
Bildhauerin Irmgard Kanold. „Hoffnung und Trauer“ heißen die beiden
Jugendstilfiguren am Rand eines stilisierten Beckens für Franziska Jahn,
Erzieherin der Familie Warburg. Und ob die lebensgroße weiße Aktfigur mit
Hund Marie Groot selbst darstellt, eine Verwandte der Inhaber der
Kunsthandlung Groot? Es bleibt vage, aber ihre Tierliebe war legendär.
Kreativ wirkt die „Erinnerungsspirale“ aus Steinen für Frauen, die kein
Grab mehr haben oder nie eins hatten. Ein Stein mit Minigitter erinnert an
Erna Hoffmann, Euthanasie-Opfer des NS-Regimes. Einem Haufen Kohlen ähneln
die schwarzen Steine für die 1583 als Hexe verbrannte Abelke Bleken. Und
wenn man den Zylinder für die 1968 verstorbene Zauberkünstlerin Rosa Bartl
aufklappt, kommt ein Kaninchen hervor, das jetzt so gut befestigt ist, dass
man es nicht mehr stehlen kann.
Der Garten der Frauen ist ein künstlerischer und politischer Ort zugleich,
der von Lebensfäden und Epochen zeugt. Und er räumt mit Mythen auf: Die
legendäre Prostituierte [3][Domenica Niehoff] etwa hat – vom Verein
spendiert – einen Grabstein bekommen, und die Vita auf der Alu-Tafel
informiert eingehend darüber, dass sie später Streetworkerin wurde und
zeitlebens gegen die Verherrlichung der Prostitution kämpfte.
## Die Rehabilitierung
Ein eigenartiger Mythos umrankt auch die „Zitronenjette“, deren Stein eine
Zitrone ziert: Denn die als Hamburger „Original“ gefeierte Frau, die in
Hanfkneipen Zitronen verkaufte, führte in Wahrheit ein recht elendes Leben,
wurde verlacht und gezielt betrunken gemacht. „1916 starb sie als
Alkoholikerin in der damaligen,Irrenanstalt' Friedrichsberg“, erzählt Rita
Bake.
Auf einem schlichten Stein steht: „Christel Klein, Opfer häuslicher
Gewalt“. Sie wurde 1981 ermordet. „Von ihrem Schicksal haben wir zufällig
durch ein Vereinsmitglied erfahren“, sagt Rita Bake. Den Zusatz „häuslicher
Gewalt“ habe man erst nach Rücksprache mit der Tochter der Verstorbenen
angebracht.
20 Mar 2022
## LINKS
[1] http://www.garten-der-frauen.de/
[2] /Historikerin-ueber-Frauen-Friedhof/!5718557
[3] /Ortstermin/!5167012
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Feminismus
Frauen
Friedhof
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