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# taz.de -- Historikerin über Frauen-Friedhof: „Keine Steine zum Schreddern�…
> Rita Bake hat vor 20 Jahren den „Garten der Frauen“ auf dem Ohlsdorfer
> Friedhof mitgegründet. Er ist ein weltweit einzigartiges steinernes
> Archiv.
Bild: Für Frauen, deren Stein nicht mehr da ist: „Erinnerungsspirale“ im G…
taz: Frau Bake, warum haben Sie vor 20 Jahren den „Garten der Frauen“ auf
dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof gegründet?
Rita Bake: Angefangen hat es schon vor 25 Jahren. Da hatte ich für mein
Buch „Stadt der toten Frauen“ 100 Hamburger Frauenbiografien
zusammengestellt. In diesem Kontext habe ich recherchiert, welche
bedeutenden Frauen in Ohlsdorf bestattet waren. Ich befasse mich seit 40
Jahren mit Frauengeschichte und wollte mehr über die [1][Leistung dieser
Frauen] erfahren, die zu selten gewürdigt wird – schon gar nicht über den
Tod hinaus. Tatsächlich waren etliche von ihnen in Ohlsdorf bestattet.
Teils war die Nutzungsdauer der Gräber schon abgelaufen, aber der Grabstein
war noch da.
Was passiert normalerweise mit solchen Steinen?
Sie werden geschreddert und zu Straßenbelag verarbeitet. Da haben Sie dann
zum Beispiel den Stein der Lehrerin Yvonne Mewes und wissen: Sie hat
Widerstand gegen das NS-Regime geleistet und starb im Januar 1944 im [2][KZ
Ravensbrück] an Hungertyphus. Ihren Stein kann man doch nicht zu
Straßenbelag verarbeiten! Oder die Frauenrechtlerin Emmy Beckmann, Hamburgs
erste Oberschulrätin, vor 1933 für die Deutsche Demokratische Partei in der
Bürgerschaft, in der NS-Zeit in der inneren Emigration, nach 1945 für die
FDP in der Bürgerschaft. Solche Frauen muss man dem Vergessen entreißen!
Aber wie?
Die erste Überlegung war, Geld zu sammeln, um die Nutzungsdauer der
Grabstellen zu verlängern. Aber das waren oft Familiengrabstätten, bei
denen man nicht eine einzelne Grabstelle hätte verlängern können. Dann kam
ich mit meinen Mitstreiterinnen Silke Urbanski und Helga Diercks-Norden auf
die Idee zu einem steinernen Archiv, dem „Garten der Frauen“. Wir haben die
Friedhofsverwaltung nach einem Platz auf dem – schöneren – alten Teil des
Friedhofs gefragt. Auch sollte der Garten der Frauen dicht an einer
Bushaltestelle sein und der Weg von dort in den Garten nicht so düster,
dass sich Frauen bei Dämmerung ängstigen müssten. Die Friedhofsverwaltung
fand das Projekt gut und bot mehrere Flächen an, aus denen wir den heutigen
Platz auswählten. Damals war es eine reine Rasenfläche mit einigen
Privatgräbern in Nischen. Als ich dort stand und in mich hineinspürte,
wusste ich sofort: Hier herrscht eine gute Atmosphäre.
Wie wollten Sie es finanzieren?
Das hat die Friedhofsverwaltung auch gefragt. Unser Hauptanliegen ist, die
alten Grabsteine zu retten und in einer Art Freilichtmuseum abzustellen,
ergänzt um Tafeln mit Kurzviten der Frauen. Aber das kostet – wie auch das
Umsetzen der alten Steine und die Gartengestaltung. Als die
Friedhofsverwaltung erwähnte, dass sich viele Frauen notgedrungen anonym
bestatten ließen, weil sie ihren Kindern nicht die Grabpflege zumuten
wollten: Da entstand die Idee, einen gemeinnützigen Verein zu gründen,
dessen weibliche Mitglieder sich ebenfalls im „Garten der Frauen“ bestatten
lassen können. Mit ihrem jährlichen Vereinsbeitrag treten sie als
Mäzeninnen für die Gestaltung und den Erhalt des Gartens auf. Das klappt
jetzt seit 20 Jahren – anfangs auf 500, heute auf 1.600 Quadratmetern. Der
Verein hat jetzt 416 Mitglieder.
Welches waren die Gestaltungskriterien für den „Garten der Frauen“?
Wir wollten von vornherein einen Garten. Keinen Friedhof und keine
typischen Friedhofspflanzen wie Stiefmütterchen, Heidekraut, Begonien. So
ist es dann auch geworden: Man betritt den Garten durch einen Rosenbogen,
dahinter ist ein Ensemble mit historischen Grabsteinen zu sehen. Es folgen
die Gemeinschaftsgrabflächen für die verstorbenen Mitglieder unseres
Vereins. Gartenbänke, ein plätschernder Brunnen und weitere historische
Grabsteine sowie ein Glashäuschen, eingebettet in eine Gehölz- und
Staudenbepflanzung, vervollständigen den Garten der Frauen.
An die Vereinsmitglieder erinnern Grabplatten in Wellenform.
Ja, sie sind Wasserwellen nachempfunden, dem Symbol des ewigen Lebens.
Darauf werden die Namen der dort bestatteten Frauen mit Geburts- und
Sterbedatum eingemeißelt, unweit der zugehörigen Urnen und Särge. Nach der
gesetzlichen Ruhezeit von 25 Jahren – die nicht verlängert werden kann,
damit weitere Frauen Platz finden – werden die Namen von den Wasserwellen
genommen und auf eine blaue Glastafel an einem Patenschaftsgrabstein im
Garten der Frauen verewigt.
Wem gelten die Aluminiumtafeln mit den Kurzviten?
Einerseits den historischen Frauen. Andererseits – denn wir machen keinen
Unterschied zwischen „bekannten“ und „unbekannten“ Frauen – den besta…
Vereinsmitgliedern, wenn sie das möchten.
Bleiben wir noch bei den „historischen“ Grabsteinen. Wer liegt da zum
Beispiel?
Viele Kulturschaffende: Schauspielerinnen und Tänzerinnen – Lola Rogge zum
Beispiel. Malerinnen – auch solche jüdischer Herkunft wie [3][Gretchen
Wohlwill,] die nach Portugal floh, oder die Cembalistin Edith Weiss-Mann,
die über London in die USA emigrieren konnte. Wir haben Mäzeninnen wie Emmy
Ruben, Frauen der Frauenbewegung sowie Hamburgs erste Gerichtspräsidentin,
[4][Clara Klabunde.] Außerdem Politikerinnen, Ärztinnen, Lehrerinnen sowie
eine bedeutende Zoologin.
Und wessen gedenkt die steinerne „Erinnerungsspirale“?
Jener Frauen, die einst in Ohlsdorf bestattet waren, deren Grabsteine aber
nicht mehr existieren, weil wir zu spät kamen. Oder weil sie keinen hatten
– wie einige Widerstandskämpferinnen und Opfer des NS-Regimes oder die
„Zitronenjette“. Die 1916 gestorbene Zitronenverkäuferin gilt bis heute –
zynisch, diskriminierend? – als „Hamburger Original“. Sie war kleinwüchs…
verrechnete sich öfter, wurde von den Kindern gehänselt. Wenn sie abends in
den Hafenkneipen Zitronen verkaufte, gab man ihr zur Belustigung Schnaps,
sodass sie Alkoholikerin wurde. Ihre letzten Lebensjahre hat sie in der
damaligen „Irrenanstalt“ Friedrichsberg verbracht. Wir erinnern in der
Spirale aber auch an Frauen, die in der Frühen Neuzeit als Hexen
beschuldigt und verbrannt wurden.
Es gibt auch einen Stein für „Christel Klein, Opfer häuslicher Gewalt“.
Frau Klein steht stellvertretend für all jene in Ohlsdorf bestatteten
Frauen, von denen wir nicht wissen, dass sie Opfer patriarchaler häuslicher
Gewalt wurden. Den vollen Nachnamen nannten wir übrigens erst, nachdem dank
Internet vor zwei Jahren eine der Töchter auf uns stieß und wir sie um
Erlaubnis fragen konnten. Sie hat den Mord an der Mutter als Achtjährige
miterlebt und zu uns erstmals öffentlich darüber gesprochen.
Woher wussten Sie davon?
Eins unserer Vereinsmitglieder – sie ist Psychologin und in Frauenhäusern
aktiv gewesen – kannte den Fall.
Sie erinnern auch an Opfer der NS-Euthanasie.
Ja. Der Sohn der in Hamburg geborenen Erna Hoffmann fragte, ob wir seiner
Mutter, die man in der [5][Heilanstalt Pfafferode] verhungern ließ und in
einem Massengrab verscharrte, einen Stein setzen könnten. Das haben wir
natürlich getan.
Und was bietet das neue Dokumentationszentrum im alten Wasserturm?
Dort zeigen wir wechselnde Ausstellungen über Frauen, an die wir im Garten
der Frauen erinnern. 2009 haben wir zum Beispiel eine Ausstellung über die
verstorbene Prostituierte und spätere Streetworkerin Domenica Niehoff
gezeigt, die zeitlebens gegen die Glorifizierung der Prostitution agitiert
hat.
Können noch historische Grabsteine hinzukommen?
Ja. Der Garten der Frauen ist ein laufendes Projekt Und da wir jetzt wegen
Corona keine Veranstaltungen machen können, hatte ich mehr Zeit zu
forschen, mit Erfolg: 2020 sind zehn weitere historische Grabsteine und
vier Erinnerungssteine in den Garten gestellt worden.
Ist der Garten der Frauen eigentlich einzigartig?
In Europa bestimmt. Vielleicht sogar in der Welt, wer weiß.
24 Oct 2020
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!5606339&s=frauengeschichte&SuchRahmen=Print/
[2] https://www.ravensbrueck-sbg.de/
[3] /Archiv-Suche/!5648319&s=gretchen+wohlwill&SuchRahmen=Print/
[4] http://www.hamburger-persoenlichkeiten.de/hamburgerpersoenlichkeiten/login/…
[5] http://www.hamburger-euthanasie-opfer.de/orte.html
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Friedhof
NS-Opfer
Euthanasie
Widerstand
häusliche Gewalt
Gedenken
Hamburg
Schwerpunkt Stadtland
Fremd und befremdlich
Gender
Bestattung
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