# taz.de -- Historikerin über weibliche Straßennamen: „Keine Petitesse!“ | |
> In Hamburg werden drei neue Straßen nach Frauen benannt. Die Historikerin | |
> Rita Bake über Symbolpolitik, die keine ist. | |
Bild: Nicht amtlich: Ein Hamburger Straßenschild würdigt Erika Mann | |
taz: Frau Bake, ist Hamburg auf einem guten Weg, was die | |
Geschlechterverhältnisse bei den Straßen- und Platznamen angeht? | |
Rita Bake: Ja, als ich vor gut 25 Jahren mit der Beschäftigung mit diesem | |
Thema begann, sah es noch katastrophal aus. Lange Zeit war kaum an Frauen | |
gedacht worden, wenn Straßen neu zu benennen waren. | |
Aber es gibt bis heute eine deutliche Schieflage. | |
Wir haben aktuell 2.526 Straßen, die nach Männern, und 420, die nach Frauen | |
benannt sind. Diese zahlenmäßige Diskrepanz wird man kaum aufholen können. | |
Aber seit geraumer Zeit werden verstärkt Straßen nach Frauen benannt. Der | |
Senat weist in seinem gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm darauf hin, | |
dass er bestrebt ist, die Anzahl der nach Frauen benannten Verkehrsflächen | |
zu erhöhen. Durch Doppelbenennungen können dann zusätzlich noch mehr | |
Straßen nach Frauen benannt werden. | |
Sie erwähnten das Rahmenprogramm des Senats – gibt es auch einen | |
rechtlichen Rahmen? | |
Nach Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes sind Männer und Frauen | |
„gleichberechtigt“. Dies sollte sich auch bei den Straßenbenennungen | |
niederschlagen. Wir sprechen hier nicht von einer Petitesse: | |
Straßenschilder markieren öffentliches Gedenken, und das sollte dem | |
Grundgesetz entsprechen. | |
Warum ist das Thema Benennung wichtig? | |
Straßennamen sind Teil unserer persönlichen Adresse. Wir haben tagtäglich | |
damit zu tun. Deshalb kann über Straßennamen bewusstseinsbildend gewirkt | |
werden. Die Missachtung der Tatsache, dass auch Frauen eine Stadt formen | |
und entwickeln und dass dies zu würdigen ist, bedeutet die Fortschreibung | |
der Diskriminierung von Frauen und führt zu falschen Interpretationen | |
gesellschafts- und kulturpolitischer Entwicklungen. Frauen verdienen immer | |
noch 20 Prozent weniger als Männer, das hat auch mit der Wertschätzung | |
ihrer Leistung zu tun. Über Straßenbenennungen nach Frauen können wir dazu | |
beitragen, dass die Leistung von Frauen höher wertgeschätzt wird. | |
Es geht um diesen anderen Blick. | |
Ja, es geht darum, den patriarchalen Blick ad acta zu legen und den Blick | |
auf ein gleichberechtigtes Miteinander zu richten. | |
Wie funktioniert das Verfahren eigentlich? | |
Die Bezirksversammlungen und Regionalausschüsse empfehlen Namen und wenden | |
sich damit ans Staatsarchiv. Dieses prüft den Vorschlag und arbeitet der | |
Senatskommission für die Vergabe von Verkehrsflächen zu. Diese entscheidet | |
am Ende. Aus den Bezirken kam oft der Einwurf: „Wir kennen keine Frauen, | |
nach denen eine Straße benannt werden könnte.“ Das ist symptomatisch für | |
das ganze Problem. Daraufhin habe ich 2012 für die Landeszentrale für | |
Politische Bildung eine [1][Datenbank mit mehr als 1.000 Hamburger | |
Frauenbiografien] ins Leben gerufen. | |
Diese Ausrede ist hinfällig? | |
Ja, denn über die Suche nach Bezirken in der Datenbank werden Namen von | |
Frauen ausgeworfen, die dort gewirkt/gewohnt haben. | |
Der Anlass für unser Gespräch ist eine Pressemitteilung, in der die | |
[2][Benennung dreier Straßen] bekannt gegeben wurde – nach drei Frauen: | |
Annemarie Dose, Betty Heine und Emily Ruete. Sie haben Verwunderung zum | |
Ausdruck gebracht darüber, was nicht mit bekannt gegeben worden ist: dass | |
der Bezirk Wandsbek zwei Straßen, die bisher zwei Männer ehrten, nun auch | |
nach ebenso bedeutenden weiblichen Verwandten benennt. | |
Diese Art der Doppelbenennung wurde schon einige Male angewendet, so 2001 | |
und 2017. Wegen der beiden genannten Straßen, die nach Gropius und Lanner | |
benannt sind … | |
…der Bauhaus-Größe Walter Gropius und dem Komponisten Joseph Lanner … | |
… hatte ich die Bezirksversammlung Wandsbek auf die ebenso bedeutenden | |
weiblichen Verwandten mit demselben Nachnamen hingewiesen: Gropius’ Ehefrau | |
Ise, Herausgeberin, Schriftstellerin. Und auf Katharina Lanner, Tochter von | |
Josef Lanner, Ballmeisterin und Solotänzerin. Die zuständigen | |
Regionalausschüsse unterstützten das Anliegen. Im [3][Amtlichen Anzeiger | |
vom 23. August] sind die neuen Erläuterungstexte für diese beiden Straßen | |
abgedruckt, nicht aber in der Mitteilung des Senats. | |
Wir sprechen bisher durchweg von neuen, neu hinzukommenden Straßen und | |
Plätzen. Es gibt ja auch eine Praxis, [4][problematische Namensgeber zu | |
entfernen], meist im Zuge einer historischen Neubewertung. Ist Ihnen | |
bekannt, ob dabei je ein Mann zugunsten einer Frau verschwunden ist? | |
Ja, dafür gibt es Beispiele: Im Bezirk Nord sind einige Straßen umbenannt | |
worden, die nach NS-Belasteten hießen, 2014 etwa die Julius-Fressel-Straße | |
… | |
… das war der frühere ärztliche Direktor der Finkenau und ein Unterzeichner | |
des „Bekenntnisses der Professoren an deutschen Universitäten und | |
Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“. | |
Daraus ist der Dorothea-Bernstein-Weg geworden, nach einer Lehrerin | |
jüdischer Herkunft, die 1942 ermordet wurde. Ebenfalls 2014 in Nord: Die | |
Schottmüllerstraße … | |
… nach Hugo Schottmüller, einem der ersten Hamburger Professoren, die nach | |
der „Machtergreifung“ der NSDAP beitraten … | |
… wurde nicht umbenannt, aber umgewidmet: Sie erinnert jetzt an die | |
Tänzerin, Bildhauerin und Widerstandskämpferin Oda Schottmüller. 2015, | |
wieder in Nord: Aus der Konjetznystraße – Georg Ernst Konjetzny war auch | |
ein NS-belasteter Arzt – wurde die Annie-Kienast-Straße: Das war eine | |
Gewerkschafterin. Und die Max-Nonne-Straße, nach einem NS-belasteten | |
Neurologen, heißt jetzt nach Ursula de Boor, Ärztin und Teil der Weißen | |
Rose Hamburg. | |
Müssen wir eigentlich damit rechnen, solche Straßennamendiskussion | |
irgendwann auch in gegenteiliger Richtung führen zu müssen – wenn etwa die | |
AfD in bestimmte Positionen gelangt? | |
Konkret hängt es davon ab, welche Parteien im Senat vertreten sind: der | |
entscheidet. | |
6 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hamburg.de/frauenbiografien/ | |
[2] https://www.hamburg.de/bkm/12889842/senat-beschliesst-benennung-von-verkehr… | |
[3] https://www.luewu.de/docs/anzeiger/docs/2590.pdf | |
[4] /Strassenumbenennung-in-Ohlsdorf/!5596509 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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