| # taz.de -- Medientheoretikerin über 40 Jahre Emma: „Auf dem rechten Auge bl… | |
| > Vor lauter Antiseximus läuft „Emma“ Gefahr, rassistisch zu werden, meint | |
| > die Kommunikationswissenschaftlerin Martina Thiele. | |
| Bild: Im Wandel der Zeit: Titelseiten der feministischen Zeitschrift „Emma“ | |
| taz: Frau Thiele, die Emma wird unter Feministinnen gerade hart kritisiert, | |
| weil sie nach der Kölner Silvesternacht rassistische Stereotype verbreitet | |
| habe. Ist die Emma rassistisch? | |
| Martina Thiele: Die Emma ist zunächst einmal eine Zeitschrift, die gegen | |
| Sexismus arbeitet, in diesem Fall also sexuelle Gewalt thematisiert. Dass | |
| dieser Antisexismus zum Teil rassistische Motive aufgreift, will die Emma | |
| nicht sehen. Aber genau das hat sie getan. „Der fremde Mann“ war das | |
| Stichwort, der „fremde Mann“, der sich an den „eigenen Frauen“ vergreif… | |
| die Kritik an ihr halte ich für gerechtfertigt. | |
| Nun würde die Emma sich zugutehalten, dass sie seit Jahren nicht nur den | |
| Sexismus der „fremden“, sondern auch den der „eigenen“ Männer thematis… | |
| … | |
| Ja, es gibt auch differenzierte Aussagen. Aber weil sie sich eben den | |
| Antisexismus auf die Fahne geschrieben hat, geht der Antirassismus dabei | |
| verloren. Die Emma ist auf einem Auge blind. Sie müsste sehen, wie auch | |
| Kräfte von rechts ihre Aussagen benutzen. | |
| Silvester wurde genutzt, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Das | |
| Schwierige war für die Medien, dass sich an Silvester das Klischee vom | |
| „gefährlichen Fremden“ zu bestätigen schien. Was macht man da als Medium? | |
| Das ist eine uralte Debatte, das „Körnchen Wahrheit“ im Klischee, die | |
| „kernel of truth debate“. Dabei wird behauptet, dass Stereotype doch ein | |
| Körnchen Wahrheit enthielten, und dann wird von Einzelfällen auf die | |
| Gesamtheit geschlossen. Auch in Köln hat es zahlreiche sexuelle Übergriffe | |
| gegeben, doch dürfen nun nicht alle fremden Männer pauschal als Täter | |
| verdächtigt werden. | |
| Aber wenn man versucht, Erklärungen zu finden, dann stößt man doch auch auf | |
| ein sexistisches Frauenbild einer Gruppe von Nordafrikanern, oder nicht? | |
| Ja, und das muss man natürlich auch berichten. Aber dann bitte genau: Was | |
| waren das für Männer? Flüchtlinge? Waren das Islamisten, wie Alice | |
| Schwarzer meinte? Oder welchen Hintergrund hatten sie? Wie war ihr | |
| Aufenthaltsstatus? Und man muss sich einfach bewusst sein, dass diese | |
| Situation ein uraltes Stereotyp aufruft: der fremde Mann als Vergewaltiger. | |
| Aber wenn man das Problem relativiert, indem man auf die Vergewaltigungen | |
| in der Mehrheitsgesellschaft verweist, dann gilt das als Verschleierung und | |
| Ablenkung – und das mache dann die AfD stark, argumentiert die Emma. | |
| Einordnung und Differenzierung heißt nicht, dass man etwas verschweigt. | |
| Dieses „Nur wir sagen die Wahrheit“, ist ein gerade auch bei Rechten | |
| beliebter rhetorischer Trick. Ich bin froh, dass die Emma damit nicht | |
| unwidersprochen durchkommt. | |
| Ist das, was die Emma macht, noch zeitgemäß? | |
| Tja, was ist zeitgemäß? Die Emma ist keine dekonstruktivistische | |
| Queerzeitschrift. Sie geht zum Beispiel klar von zwei Geschlechtern aus. | |
| Aber sie ist aus öffentlichkeitstheoretischer Sicht sehr wichtig. Sie ist | |
| ein zwar nicht auflagenstarkes, doch viel beachtetes Meinungsführermedium. | |
| Alice Schwarzer und die Emma stehen in der Bevölkerung für eine | |
| feministische Position, das hat niemand anders geschafft. | |
| … um den Preis starker Stereotypisierung und Generalisierung. Ein paar | |
| Beispiele: Das Kopftuch sei die Flagge des politischen Islam. Pornografie | |
| sei Propaganda des Frauenhasses. Prostitution sei weiße Sklaverei. Muss man | |
| das so machen, wenn man durchdringen will? | |
| Ja. Aus journalistisch-praktischer Sicht machen die Emma und ihre | |
| Herausgeberin es richtig. Schwarzer muss zuspitzen, sie muss eindeutig | |
| sein, sie macht sich auf vielen Kanälen bekannt, in der Bild-Zeitung, in | |
| Fernsehsendungen … | |
| Man hinterlässt aber auch verbrannte Erde, wenn man etwa behauptet, alle | |
| Kopftuchträgerinnen oder alle „freiwilligen“ Prostituierten seien quasi | |
| gehirngewaschen … | |
| Aber sie wird im Mainstream wahrgenommen. Schwarzer kommt vor in den großen | |
| politischen Talkshows, im Spiegel … | |
| Und werden sie und ihre Zeitschrift auch ernst genommen? | |
| Durchaus. Es gibt andererseits Diffamierungen ohne Ende. Schwarzers | |
| Reaktion ist: „Ich werde von allen Seiten angegriffen, aber ich stehe | |
| trotzdem für meine Themen ein“. So wirken ihre Positionen wie in Beton | |
| gegossen. | |
| Kann man nicht anders Feministin sein in der deutschen Öffentlichkeit? Ist | |
| das der Preis? | |
| Ich glaube, ja. Wenn man versucht, in Diskussionen die Vielfalt | |
| feministischer Positionen klarzumachen, scheitert man in der Regel. Der | |
| Journalismus lebt von Personalisierungen. | |
| Wer ist die Zielgruppe von Emma? Wen erreicht sie und wen nicht? | |
| Die Zahlen sind relativ stabil. Aber die Altersstruktur ist natürlich ganz | |
| klar: Es sind die älteren, feministisch sozialisierten Frauen, die Emma | |
| lesen. | |
| Ein Drittel ist unter 30, erklärt die Redaktion … | |
| Ja, das heißt aber, dass zwei Drittel über dreißig sind. Die Emma geht sehr | |
| geschickt damit um, indem sie immer wieder jüngere Feministinnen ins Blatt | |
| holt. | |
| Genauso oft geht die Beziehung aber wieder in die Brüche. Charlotte Roche | |
| war mal auf dem Titelbild. Danach gab es einen sehr unangenehmen | |
| Schlagabtausch. Und die Missy-Frauen waren auch mal auf dem Titelbild – mit | |
| der Schlagzeile „Kein Bock auf Spaltung“. In der aktuellen Emma werden sie | |
| nun als „Hetzfeministinnen“ bezeichnet … | |
| Ja, die Abfuhr erfolgte immer, nachdem die Jüngeren sich von Emma und | |
| Schwarzer distanzierten. Sie fühlten sich vereinnahmt und hatten inhaltlich | |
| auch andere Positionen. Alice Schwarzer behauptet dann mit dem | |
| Zurückschlagen vor allem ihre Führungsrolle. | |
| Wie in der Schimpansenfamilie? Geht’s nicht auch anders? | |
| Wünschenswert wäre natürlich, dass man da zusammen arbeitet, wo es möglich | |
| ist und sich nicht gegenseitig das Leben schwer macht. | |
| Die Netzfeministinnen sind aber auch keine bunte Truppe verschiedenster | |
| Strömungen, da gibt’s schon auch eine Diskurspolizei. | |
| Da treffen Sie einen wunden Punkt. | |
| Man wirft sich gegenseitig vor, eine Art Sekte zu sein. | |
| Insgesamt sind Feministinnen in der Minderheit. Falsch wäre es aber, zu | |
| glauben, dass sich Feministinnen immer einig sein müssten und alles andere | |
| den Feminismus gefährde. Genau das führt dann zu Neuorientierungen und | |
| Abspaltungen. Übrigens auch in der Emma, die hat einige Absetzbewegungen | |
| hinter sich, auch weil immer hundertprozentige Identifikation erwartet | |
| wurde. Zudem Überstunden, Wochenendarbeit, alles für die Emma. | |
| Emma schreibt in dem Text über Hetzfeministinnen, dass sie sich nichts und | |
| niemandem beugen würde, auch nicht der Political Correctness. Ist Political | |
| Correctness eine Macht, der man sich beugen muss? | |
| Political Correctness ist inzwischen ein Kampfbegriff der Rechten. Das muss | |
| man einordnen, das kann man nicht einfach so übernehmen. Was ist denn dann | |
| die Emma: Politically incorrect? Die entsprechende Website sollte sie sich | |
| mal ansehen. | |
| Ist die Zeit an Alice Schwarzer vorbeigegangen? | |
| Nein, das ist genau diese modern/unmodern-Spaltung, die ich für falsch | |
| halte. Die wird genutzt, um das feministische Anliegen insgesamt abzutun. | |
| Sie hat eine Position unter vielen. Sie priorisiert den Antisexismus und | |
| das finde ich in mehrerer Hinsicht wieder sehr angebracht. | |
| Warum? | |
| Weil wir einen ganz deutlichen Backlash erleben. Der Rechtspopulismus geht | |
| Hand in Hand mit Antifeminismus. Da ist eine feministische Positionierung | |
| umso wichtiger. Bei allen Differenzen, die es gibt, hoffe ich, dass man | |
| sich im Kampf gegen Rechts und Antifeminismus doch einig ist. Das wäre | |
| sonst eine Katastrophe. | |
| Emma oder Missy, was lesen Sie? | |
| Beides. Wir haben beide hier am Institut. | |
| Und Ihre Studierenden? | |
| Die lesen selten feministische Zeitschriften und verfolgen das wenn, dann | |
| eher online. Wobei sie sich von manchen dort zu findenden Texten zuweilen | |
| überfordert fühlen. Dekonstruktion und Nicht-Zweigeschlechtlichkeit, davon | |
| sind viele irritiert. | |
| Alice Schwarzer wird 75 dieses Jahr. Was kommt nach ihr? | |
| Sie arbeitet ja an der Musealisierung der Emma: Alle Hefte stehen online, | |
| ihr Medienturm ist abgesichert. Was danach kommt, ist schwer vorstellbar: | |
| Natürlich würde ich aus demokratietheoretischen Gründen immer gegen so eine | |
| Galionsfigur wie Schwarzer argumentieren – aber publizistisch gesehen ist | |
| sie sehr erfolgreich. | |
| Wenn ihre Studierenden sich ihre Informationen und Meinungen im Netz | |
| zusammensuchen, wäre das dann eine demokratischere feministische Form? Wäre | |
| das gut? | |
| Ja schon, aber für die gemeinsame Sache und die Sichtbarkeit in den immer | |
| noch wichtigen klassischen Medien ist das natürlich schwieriger. Denn wer | |
| geht dann in die Talkshows und lässt sich von allen Seiten beschimpfen? | |
| 26 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Heide Oestreich | |
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