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# taz.de -- Feminismus und das Internet: Nicht gleich draufhaun!
> Wie weiter? Mit Verzeihen. Das Online-Gedächtnis ist Segen und Fluch für
> Aktivist*innen. Wir sollten einander Lernentwicklungen eingestehen.
Bild: Miteinander statt gegeneinander: Wir müssen auch verzeihen können
Sie werden das vermutlich nicht schon wieder hören wollen, aber: Soziale
Medien beeinflussen zwischenmenschliche Beziehungen. Aber es soll hier
nicht um Tinder oder Facebook gehen. Es geht um feministischen Aktivismus
im Netz.
Häufig inszenieren Mainstream- und vor allem Schwarzer-Medien einen
feministischen Generationenkonflikt zwischen älteren Frauen und jungen
„Netzfeminist*innen“. Alice Schwarzers Zeitschrift Emma gilt für viele
Frauen seit 40 Jahren als feministisch. Ein genauerer Blick genügt, um
festzustellen, dass sie es eigentlich nicht ist, denn sie steht nur für
einen bestimmten Anteil von Frauen. Muslimische Frauen oder
Sexarbeiterinnen haben im Emma-Feminismus nur einen Platz: den des Opfers.
Wer das nicht so sieht, wird bekämpft.
Nun gibt es ein weiteres Feindbild in ihrem Kosmos, nämlich die
„Hetzfeminist*innen“. Die Vorstellung: Eine Gruppe von jungen Digital
Natives erschlägt alle, die nicht ihrer Meinung sind, mit Hetze. Das ist
interessant, denn dies ist exakt die Methode der Emma selbst. Sie gibt eine
homogene Meinung als die aller Frauen aus. Da kann man schon mal anderer
Meinung sein.
Wirklich problematisch ist dagegen an der neuen Öffentlichkeit von
innerfeministischen Debatten nicht legitime Kritik untereinander, sondern
etwas anderes, das offline nicht so relevant war: Wenn das Internet nichts
vergisst und ich zu jeder Person oder Gruppe etwas „Problematisches“ finden
kann, wenn ich nur lang genug suche, was mache ich dann mit diesen Infos?
## Jeder Fehltritt ist einsehbar
Das Online-Gedächtnis kann ein Segen sein, wenn etwa Erika Steinbach,
eigentlich Antifeministin, nach Köln plötzlich die besorgteste
Frauenrechtlerin überhaupt ist und man sich über ihre älteren
antifeministischen Tweets Klarheit verschaffen kann.
Der Nachteil ist aber auch, dass jeder Fehltritt einer Person einsehbar ist
– selbst wenn es schon einige Jahre her ist. Eine muslimische Aktivistin
wurde beispielsweise vor Kurzem dafür kritisiert, vor drei Jahren zu einem
Vortrag geladen zu haben, dessen Referentin das BDS-Bündnis (Boykott,
Desinvestitionen, Sanktionen gegen israelische Produkte) unterstützte und
somit zu Antisemitismus aufrufe. Mittlerweile distanzierte sie sich von
diesem Beitrag, der ihr dennoch vorgehalten wird.
Obwohl ich durchaus der Meinung bin, dass emanzipatorisches Handeln
konsequent und selbstkritisch sein muss, beobachte ich toxische Dynamiken
innerhalb dieser meist im Netz stattfindenden Debattenkultur, die zum Teil
in Mobbing ausarten. Damit meine ich nicht Leute, die partout nicht
einsehen wollen, dass sie etwas Diskriminierendes geäußert haben und bei
kritischen Reaktionen sofort auf Abwehr gehen.
Ich beziehe mich vielmehr auf die Praxis, Menschen aufgrund oft älterer
Beiträge anzuprangern, die mit ihrer politischen Haltung nichts mehr zu tun
haben.
## Lernentwicklungen eingestehen
Menschen sind aber oft nicht -ist*innen, sondern machen etwas -istisches.
Sie können immer noch lernen und Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.
Wenn sie das tun wollen, dann ist es Gold wert. Niemand ist als radikal
oder „woke“ (immer wach) geboren, und Fehler sind so menschlich wie
Wachstum.
Emanzipatorische Freund*innen wiederum sind keine austauschbaren Objekte,
die eine*r aufgrund eines problematischen verlinkten Artikels aus dem Leben
verbannen muss – solange ihre grundsätzlichen Positionen die Sicherheit
anderer Menschen nicht gefährden.
Wir sollten einander Lernentwicklungen eingestehen. Wir sollten uns
reflektieren und uns kritisieren – und nicht wie die Emma nur bevormunden
und abweichende Meinungen ersticken. Denn das ist keine Herrschaftskritik,
sondern eine Fortsetzung gesellschaftlicher Hierarchien.
8 Mar 2017
## AUTOREN
Hengameh Yaghoobifarah
## TAGS
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