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# taz.de -- Historikerin erforscht Demütigung: Facebook und andere Pranger
> Eine Geschichte der Erniedrigung seit dem 18. Jahrhundert hat die
> Historikerin Ute Frevert zu schreiben versucht. Jetzt stellt sie „Politik
> der Demütigung“ in Hamburg vor.
Bild: „Ich bin ein Bully“: Ein Gericht schickte diesen Mann in Cleveland, O…
HAMBURG taz | Demütigung … ist die nicht voll 20. Jahrhundert? Wer sich
nicht ganz sicher ist, ob die Historikerin Ute Frevert sich für ihr
jüngstes Buch ein relevantes Thema gewählt hat, den könnte das nächste
Öffnen des Internet-Browsers eines, nun, Besseren belehren. Die harmlose
Variante ist dann etwa der Hinweis einer Streamingplattform auf einen
betont skurrilen Film: [1][“Ein Frisör rächt sich an einem ungehobelten
Kunden mit einer Skinheadfrisur“]. Oder die (gefühlt) allerorten
anzutreffende Berichterstattung über all jene in der CDU, die sich gerade
gedemütigt fühlen vom Ausgang der Koalitionsverhandlungen (bzw. von der
Kanzlerin ganz persönlich).
Ein schwerer wiegendes Indiz für die mitnichten geschwundene Bedeutung von
Ehre und Kränkung, Selbstwert und Demütigung liefert vielleicht jene
13-Jährige, deren Schicksal auch Frevert referiert: „Das Mädchen springt im
Mai 2015 von einer Brücke im US-Bundesstaat Washington, weil es die
öffentliche Beschämung durch den Vater nicht erträgt.“ Der hatte, erbost
über einen eigentlich ganz alltäglichen Regelverstoß, dem Teenager den Kopf
geschoren – ein Frevert zufolge archaisches, durch die Zeiten
aufzuspürendes Instrument der Demütigung insbesondere von Frauen.
Die besondere Brisanz jenes zunächst ja trivial klingenden Familienstreits
lag darin, dass der Vater das für seine Tochter so erniedrigende
Haare-Abschneiden filmte und die Aufnahmen im Internet veröffentlichte;
eine maximale zeittypische Weise, Öffentlichkeit herzustellen, die der
Demütigung aber von jeher zu eigen ist – es ist kein Zufall, dass in
Pressekommentaren rasch der Pranger und das „dunkle Mittelalter“ bemüht
wurden.
Überhaupt die Sache mit dem Internet: Gäbe es das nicht, gäbe es nicht
Shitstorms und Lagerdenken und Bloßstellung von Allerintimstem unter
minimalem Aufwand, man wäre vielleicht versucht, die Geschichte der
Demütigung als eine der Domestikation zu erzählen: Stellte der Mensch der
Vergangenheit einen Übeltäter vielleicht noch gern bloß (und bewarf ihn
obendrein mit faulem Obst und Schlimmerem), kam dann aber die Aufklärung
und brachte gleich noch die Idee der Menschenwürde mit, und das war’s. Eine
[2][Rezension von Freverts Buch], erschienen ausgerechnet in der – auf dem
Papier – stramm antifaschistischen Welt legte gar dar, dass nicht mal mehr
den Nazis der Pranger noch zeitgemäß erschienen sei, belegt das aber mit
gerade mal einer Anekdote.
Frevert nun erzählt ihre Geschichte beginnend im 18. Jahrhundert und
„schwerpunktmäßig in Europa, aber auch mit Blick auf andere Weltgegenden“.
Fand mancher Rezensent, ihre Begriffe, ihr Blick auch, würden unschärfer,
je näher die Autorin – Historikerin und derzeit Leiterin des
[3][Forschungsbereichs „Geschichte der Gefühle“] am Berliner
[4][Max-Planck-Institut für Bildungsforschung] – der Gegenwart komme, sahen
andere da vielmehr eine brillante Vermittlerin teils sperriger
Forschungsstände am Werk.
Wenn Frevert am Mittwoch nun gleich zweimal in Hamburg auftritt, ist dann
ja vielleicht auch Gelegenheit, sie zu fragen: nach der Rolle des Internets
als modernem Pranger-Pendant – und dem Christdemokraten derart Demütigenden
an der Karriere des Olaf Scholz.
12 Feb 2018
## LINKS
[1] https://mubi.com/showing/you-the-living
[2] https://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_literatur/article169398790/Die…
[3] https://www.mpib-berlin.mpg.de/de/forschung/geschichte-der-gefuehle
[4] https://www.mpib-berlin.mpg.de/de
## AUTOREN
Alexander Diehl
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