# taz.de -- Historikerin über Teilen und Tauschen: „Ich halte es mit dem Soz… | |
> Wie organisiert sich Gesellschaft? Die Historikerin Ulrike Frevert meint, | |
> dass „Vertrauen“ nur das Wohlfühlwort der Sharing Economy ist. | |
Bild: Markt: Es muss ja nicht immer um Geld gehen. Es kann auch um viel Geld ge… | |
taz: Frau Frevert, Sie sagen, Vertrauensfragen sind eine Obsession unserer | |
Zeit, also krank und belagernd. Was ist da los? | |
Ute Frevert: Wir reden unaufhörlich über Vertrauen, meist in appellativem | |
Ton und meist in irreführender Weise. Wir benutzen den Begriff für alles | |
Mögliche und vor allem Unmögliche – vom Vertrauen aufs Wetter bis zum | |
Vertrauen zum Bundesverfassungsgericht. Das genau ist das Problem. | |
Wie konnte der Begriff von der persönlichen Sphäre in die politische und | |
wirtschaftliche wandern? | |
Er ist einfach zu sexy, um nicht zu wandern. Im Ernst: Vertrauen ist ein | |
Wohlfühlwort, hat einen warmen emotionalen Glanz, mit dem sich alle | |
schmücken wollen, Parteien ebenso wie Wirtschaftsunternehmen. | |
Aber geht es in Vertrauensfragen nicht immer um einen Grundkonflikt | |
zwischen Abhängigkeit und Autonomie? | |
Wenn ich einer Person vertraue, gebe ich mich ein Stück weit in ihre Hand, | |
gebe also Autonomie ab und tausche sie gegen emotionale, zum Teil auch | |
gegen materielle Güter. | |
Man könnte das viele Reden über Vertrauen auch als Symptom für einen | |
allgemeinen Vertrauensverlust lesen – in die Parteien, die Institutionen. | |
Ich würde hier nicht von Vertrauen reden. Einer Institution kann ich genau | |
genommen nicht vertrauen, sondern ich verlasse mich darauf, dass sie ihren | |
Regeln gemäß arbeitet. Wenn ich Grund habe, an dieser Verlässlichkeit zu | |
zweifeln, ist das kein Vertrauens-, sondern ein Legitimitätsverlust. | |
Zurzeit scheint es, als könnte die Empathie das Vertrauen ablösen: Die Rede | |
darüber ist allgegenwärtig. Müssen wir da auch skeptisch sein? | |
Skepsis ist bei rhetorischen Hypes immer angebracht. Aber solange | |
Volkswagen oder die Deutsche Bank diese Rhetorik noch nicht für sich | |
entdeckt haben, gibt es noch Hoffnung … | |
Der Neoliberalismus soll die Konkurrenz zwischen den Menschen | |
verallgemeinert haben. Sind wir heute weniger empathisch als vor 50 oder | |
100 Jahren? | |
Zweifellos hat die Angst davor, ökonomisch ins Hintertreffen zu geraten, | |
zugenommen, nicht zuletzt aufgrund der Globalisierung von Konkurrenz. | |
Zugleich beobachten wir eine Globalisierung des Mitgefühls, sichtbar im | |
milliardenschweren Spendenaufkommen für humanitäre Projekte. Empathie, | |
Mitgefühl, Mitleid sind keine Neuerfindungen unserer Zeit. Ohne sie hätte | |
es keine Sklavenbefreiung, aber auch keine Tierschutzbewegung gegeben. | |
Nun erlebt aber gerade das Vertrauen wieder eine ganz neue Renaissance in | |
der sogenannten Sharing Economy, wo es darum geht, Eigentum zu teilen. Wie | |
sehen Sie diese Entwicklung? | |
Skeptisch. Die Währung der Sharing Economy ist nicht Vertrauen, sondern | |
Geld. Vertrauen schwebt nur als Wohlfühlwort drüber. Im Ernstfall ist man | |
versichert, wenn der „Gast“ die gemietete Wohnung demoliert. | |
Die Sharing Economy kommt ja häufig im Mantel der Konsumkritik daher. Nun | |
macht die Kritik am Konsum noch keine gerechte Gesellschaft. Bleibt die | |
Idee eines freien, gerechten Tauschs eine Illusion? | |
Wann ist ein Tausch gerecht und frei? Es setzt voraus, dass jeder etwas zum | |
Tauschen hat, was andere gern haben möchten und sich gewaltlos verschaffen | |
möchten. Also kein Recht des Stärkeren, keine Not, die die Freiheit | |
aufhebt. Das sind zu viele Wenns und Abers. Ich halte es lieber mit dem auf | |
dem Solidaritätsprinzip beruhenden Sozialstaat – so unvollkommen er auch | |
sein mag. | |
Neuere Ansätze sprechen von der Kollaboration und den Commons: Es geht um | |
die gemeinsame Nutzung und das gerechte Teilen von Gütern als Möglichkeit, | |
zu einer gerechteren und nachhaltigeren Gesellschaft zu gelangen. | |
Kollaboration soll den gemeinsamen, nicht den eigenen Zielen dienen. Ohne | |
Vertrauen ginge das wohl auch nicht? | |
Das funktioniert vielleicht in einer Kommune, die sich auf solche | |
gemeinsamen Ziele einigen kann. Vertrauen darin, dass sich alle an diese | |
Ziele halten, ist hier nicht nur nötig, sondern aufgrund der persönlichen | |
Beziehungen auch möglich. Für ganze Gesellschaften kann ich mir das kaum | |
vorstellen. | |
2 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Tania Martini | |
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