# taz.de -- MPI-Bildungsforscherin über soziale Auslese: "Akademiker-Kinder si… | |
> Ute Frevert, Leiterin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, | |
> über Gründe, warum Migranten und Bildungsferne es an der Uni schwerer | |
> haben, und über das, was sie an Studierenden nervt. | |
Bild: Sollen sie weiter auf Kosten der Steuerzahler studieren? Medizinstudieren… | |
taz: Frau Frevert, nach Ihrem Vortrag zum Abschluss des taz-Kongresses gab | |
es wütende Wortmeldungen der Studierenden. Sind Sie eine Gegnerin des | |
Bildungsstreiks? | |
Ute Frevert: Ich kann mit manchen Forderungen etwas anfangen, mit anderen | |
nicht. Ich finde es sehr schwierig, die proklamierten Ziele als das Ziel | |
aller Studierenden auszugeben. Das finde ich unlauter. | |
Mit welchen Forderungen können Sie denn nichts anfangen? | |
Mit diesen plakativen Forderungen wie: "Weg mit den Studiengebühren!" Es | |
ist kein Argument, dass die Studiengebühren die soziale Offenheit der | |
Universitäten behindern. Andererseits aber ist es ein Argument, dass an den | |
Universitäten ohne Beiträge von Studierenden, eine Umverteilung von unten | |
nach oben stattfindet. Das Studium der etwa 50 Prozent Akademikerkindern | |
wird aus Steuergeldern bezahlt. Ich sehe es nicht ein, dass die zukünftige | |
Neurochirurgin oder der Rechtsanwalt sein Studium aus Steuergeldern | |
finanziert bekommen soll; von Menschen, deren Kinder nicht an die Uni | |
gehen. | |
Glauben Sie nicht, dass Studiengebühren bildungsferne Eltern davon | |
abschrecken, ihre Kinder an die Uni zu schicken? | |
Doch, aber das Problem ist ja, dass die Abschreckung auch ohne Gebühren | |
schon da ist, da ist alles Angst einflößend. | |
Welche Rolle spielen denn Gefühle bei dem Umstand, dass heute gerade Kinder | |
aus unteren sozialen Schichten und von Migranten so selten an die Uni | |
gelangen? | |
Da sind massive Ängste da, die Kinder in eine Welt zu entlassen, die | |
unbekannt ist. Die Angst, die Kinder nicht zu verlieren. | |
Auch Sie selbst stammen aus einer bildungsfernen Schicht. Warum haben Ihre | |
Eltern Sie denn in die unbekannte Uniwelt gehen lassen? | |
Die waren auch nicht begeistert davon, aber damals gab es eine Bewegung, | |
die diese Angst von außen konterkariert hat. Es gab eine Welle in den | |
späten 1960er-Jahren, die sagte, wir brauchen mehr Bildung. Wir brauchten | |
eigentlich genau eine solche Welle noch mal, die jetzt speziell die | |
Migrantenkinder anspricht und zeigt, dass wir sie brauchen und wollen. | |
Woher soll die kommen? | |
Ganz wichtig sind dabei die Schulen und Lehrer als Vermittler und | |
Ermunterer. Es gibt historische Beispiele, die zeigen, dass durch so eine | |
Bildungswelle auch Gruppen, die sonst eher am Rande der Gesellschaft | |
stehen, in die Bildung hineingehen. Zum Beispiel die Juden im 19. | |
Jahrhundert, die ganz stark die Humboldtsche Bewegung und dieses | |
Mobilitätsversprechen angenommen haben. | |
Aber genau dieses Versprechen der sozialen Mobilität durch universitäre | |
Ausbildung fehlt ja heute vielleicht auch. | |
Ja, das ist ein wichtiger Punkt, das war natürlich in den 1970er-Jahren | |
anders. Uns war klar, dass wir eine Stelle als Lehrer auf jeden Fall | |
bekommen würden. Andererseits gibt es die Statistiken, die zeigen, dass | |
unter Akademikern die Arbeitslosigkeit auch heute sehr viel geringer ist, | |
als in der Gesamtgesellschaft. Vielleicht gibt es nicht sofort die Stelle, | |
die man sich erträumt, aber mit Hochschulstudium ist man auf jeden Fall | |
besser dran. | |
Sie haben gesagt, die Uni muss eine Ausbildungsstätte sein. Und diese | |
Ausbildung soll möglichst breit und zukunftsoffen sein, weil sich die | |
Arbeitswelt verändert. Jetzt ist die Bachelorausbildung ja das Gegenteil | |
davon. Sollte das wieder abgeschafft werden? | |
Was ich wirklich wichtig finde, ist, dass die Ausbildung ein Fundament | |
legt. Zum einen ist das ein breites Wissen. Nach meinem Studium hatte ich | |
eigentlich keine Ahnung von Geschichte. Das lag an den schlechten | |
Vorlesungen. Und dann brauchen Sie eben die Fähigkeit, sich in bestimmte | |
Themen tief einzuarbeiten. Dann sind Sie gut ausgebildet. | |
Wie kann man das umsetzten, was ist mit den Strukturen des Studiums? | |
Richtig an der Kritik am Bachelor ist, dass man einen Stundenplan nicht | |
vollstopfen darf. Da ist das amerikanische System besser. Man hat zwei oder | |
drei Seminar pro Semester, für die man dann aber auch sehr viel mehr tun | |
muss, als hier. Es muss aber auch Struktur geben, dass wollen die | |
Studierenden ja auch. | |
Sie haben in Ihrem Vortrag die amerikanischen Studierenden gelobt. Sie | |
waren in Yale, das ist ja die Eliteuniversität schlechthin. Hinkt da nicht | |
der Vergleich mit den deutschen Studierenden? | |
Ja, das ist natürlich schwierig. Ich denke, es muss für jeden Studenten | |
eine Uni geben, aber nicht jede Uni ist für jeden Studenten geeignet. Ich | |
habe auch gelitten unter den Studierenden, die mir nie in die Augen gucken | |
oder die nicht mal einen Aufsatz für ein Seminar lesen. Die können dann | |
natürlich nicht mitreden. Und das sind, aus meiner Sicht, 90 Prozent der | |
Studierenden, die wir hier haben. | |
Wir sollten nicht so tun, als ob diese 90 Prozent, die sich nicht | |
engagieren, das Recht haben, in jedem Seminar oder in jeder Uni zu sitzen. | |
Das finde ich auch ungerecht den 10 Prozent gegenüber, die mit Lust und | |
Interesse dabei sind, das ist eine unglaubliche Blockierung. Das mag jetzt | |
sehr elitär klingen, aber das kann man unter dem Punkt der Diversifizierung | |
und Pluralisierung sehen. Das ist etwas, was mich an den Veranstaltungen | |
hier auf dem Kongress oft gestört hat: der Anspruch, Ungleiches | |
gleichzubehandeln. | |
Die Ungleichheit entsteht schon viel früher? | |
Ja, aber wissen Sie, ich habe auch drei Kinder, und die sind sehr | |
unterschiedlich. Keins von ihnen ist in der Studienstiftung, obwohl sie | |
blond sind und Klavier spielen können. Es sind nicht alle Kinder so fit. | |
Akademikerkinder sind oft auch ziemlich faul und sagen, ich hab doch alles. | |
Das sind nicht die Starstudenten. | |
Woran liegt das? | |
Das kommt aus dem Mangel an Hunger und dem Fehlen der Erfahrung, sich | |
selber was erarbeitet zu haben. Die gehen davon aus, dass es so bleiben | |
wird, wie sie es kennen und verkennen, dass sich die Welt eben ändert und | |
mit Globalisierung die Konkurrenz auch einfach größer wird. Da werden sich | |
diese behüteten Akademikerkinder noch umgucken. | |
In Ihrer Wunschuni soll das Studium Lebensform und Lebensmittelpunkt sein. | |
Das widerspricht doch aber dem Wunschbild, der Erwartung, dass man neben | |
dem Studium noch unheimlich viel macht und sich damit Kompetenzen erwirbt, | |
oder? | |
Meine Vorstellung heißt nicht, dass man nur in Seminaren und in der | |
Bibliothek sitzt, sondern auch viele andere Dinge macht, aber eben an der | |
Uni. Man soll beim Uniradio arbeiten, man soll Kommilitonen helfen, bei | |
Chemieaufgaben, die sie nicht verstanden haben, man soll bei Theatergruppen | |
mitmachen. | |
Aber das ist alles uninah. Wenn es zum Argument wird, dass man für man für | |
das Studium keine Zeit mehr hat, dann ist irgendwas faul. Am wichtigsten | |
ist die Universität. | |
26 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Frauke Böger | |
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taz.gazete | |
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