# taz.de -- Nach dem zweiten Silvester in Köln: Als die Stimmung kippt | |
> Aggressive Männergruppen, ein heikler Polizeieinsatz und offene Fragen. | |
> Was in Köln genau geschehen ist und wie Betroffene die Nacht erlebt | |
> haben. | |
Bild: Noch eine Woche später wird heiß diskutiert: Wer war warum in Köln, un… | |
Köln taz | Die Idee, nach Köln zu fahren, hatten Mohammed O. und seine | |
Freunde [1][auch ohne] die Ereignisse des letzten Jahres. Aber interessant | |
fanden sie schon, was dort passieren würde: [2][der Polizeieinsatz], die | |
Lichtkunst. Der 20-jährige Syrer wohnt seit drei Jahren in Aachen. Zusammen | |
mit einem Deutschtürken und einem Iraker mischt er sich unter die Leute auf | |
dem Roncalliplatz neben dem Dom, wo ein Chor die Weltoffenheit der Stadt | |
besingt. Gegen 22.30 Uhr zünden sie abseits der Menge Böller. „Das hatten | |
viele dort gemacht“, sagt O. „Aber ausgerechnet wir bekommen Ärger mit der | |
Polizei und einen Platzverweis.“ | |
Wohin jetzt? Die Shishabars sind zu voll, draußen ist es kalt. Sie wollen | |
zurück nach Aachen fahren. Doch am Bahnhof lässt man sie nicht rein. Es sei | |
zu voll, sagt ein Polizist. [3][Weiße] würden aber reingelassen, sagt O. | |
Sie seien keine Deutschen, sagt der Polizist. Die Männer irren durch die | |
Stadt, landen wieder an der Bühne, an der sie eigentlich nicht mehr sein | |
dürften. | |
Es ist jene Zeit in der Silvesternacht, von der der Kölner Polizeipräsident | |
Jürgen Mathies später sagen wird, die Lage habe sich zugespitzt. Schon in | |
den Zügen Richtung Köln habe die Bundespolizei aggressive Männergruppen | |
ausfindig gemacht. Ein Zug wird auf seiner Fahrt in den Hauptbahnhof | |
gestoppt. Im Bereich des Hauptbahnhofs sei es zu Menschenansammlungen und | |
aggressivem Verhalten gekommen. | |
Mathies’ Eindruck ist, die Situation könne „kippen“. Deshalb wird über | |
diese Nacht so viel gesprochen und geschrieben. Hatte die aggressive | |
Stimmung mit den Nordafrikanern zu tun, von denen laut Polizei wieder viele | |
nach Köln kamen – oder eher mit der Polizei und damit, wie sie agiert? | |
Menschen wie Mohammed O. fühlen sich diskriminiert. | |
## Das Muster war eindeutig | |
Die Polizei versucht in der Stunde vor Mitternacht, möglichst viele zu | |
kontrollieren, die den Bahnhof verlassen wollen. Bundespolizisten stehen an | |
den Ausgängen und weisen alle einer Tür zu. Weiße und Gruppen, zu denen | |
Frauen gehören, dürfen die linke Tür nehmen. Von dort kommen sie zum Dom, | |
ans Rheinufer, zum Roncalliplatz. Männer anderer Hautfarbe oder mit | |
südländischem Aussehen, müssen nach rechts. Das Muster ist eindeutig. Dort | |
landen sie in einem von einer Kette aus Landespolizisten abgetrennten | |
Bereich. In einer Ecke kann man seinen Ausweis vorzeigen und wird | |
durchgelassen, wenn alles in Ordnung ist. Davor bildet sich eine | |
Menschentraube. | |
Auf die Frage, wie entschieden wird, wer in den abgetrennten Bereich | |
geschickt wird, sagt eine Sprecherin noch in der Nacht, die Menschen an der | |
Tür würden ihre Klientel kennen. Im Nachhinein sagt die Bundespolizei, dass | |
nur solche Menschen dort hingeschickt worden seien, die eine aggressive | |
Grundstimmung gezeigt hätten, stark alkoholisiert gewesen seien oder | |
Feuerwerk dabei gehabt hätten. | |
Um Mitternacht öffnet die Polizei ihre Kette. Alle können gehen. Mohammed | |
O. und seine Freunde kriegen das nicht mit. Sie sind in einer Shishabar und | |
versuchen, das Beste aus dem Abend zu machen. Zum Bahnhof trauen sie sich | |
erst wieder um 6 Uhr früh. | |
Die vorläufige Bilanz der Nacht in Köln: Rund 2.000 Personen hatten | |
Silvester mit der Polizei zu tun. Die Kölner Beamten erteilte knapp 200 | |
Platzverweise und überprüfte bei 650 Menschen die Personalien. Die | |
Bundespolizei berichtet von etwa 900 Platzverweisen und 170 | |
Identitätsfeststellungen, darunter ein Drittel Deutsche, 23 Syrer, 22 | |
Algerier und 17 Marokkaner. | |
## „Seit Köln“ | |
Um zu verstehen, was in dieser Nacht passiert ist, muss man sich an die | |
Szenen erinnern, die sich ein Jahr zuvor am selben Ort abspielten. Hunderte | |
Männer, alkoholisiert oder unter Drogeneinfluss, ein arabisches | |
Stimmengewirr. Frauen waren den Gelüsten der Aufgeputschten ausgeliefert, | |
sie spürten Hände überall. Ein Mann leckte einer Frau durchs Gesicht, ein | |
anderer drohte ihrem deutschen Begleiter: „Give the girls, give the girls, | |
sonst Tod.“ Infolge dieser Nacht wurden Gesetze geändert und internationale | |
Abkommen geschlossen. Der Umgang mit Flüchtlingen ist „seit Köln“ ein | |
anderer. „Seit Köln“ – dass sich dieser Begriff festgesetzt hat, verletzt | |
die Kölner, die ihre Stadt so lieben. Und es rührt an der Berufsehre der | |
Polizisten, dass sie es nicht schafften, all das zu verhindern. | |
Die Polizei antwortete in diesem Jahr mit einem Großaufgebot. Zehnmal so | |
viele Beamte sollten für Sicherheit sorgen. Dazu Mitarbeiter von | |
Ordnungsamt, Bahn und Sicherheitsdiensten. In Dreierteams patrouillierten | |
sie durch die Innenstadt. Die Bundespolizei achtete schon in den Zügen | |
darauf, wer nach Köln reiste. Dieses Mal sollte alles perfekt laufen. Das | |
Fahndungsmuster, das sagte Polizeipräsident Mathies später: | |
Rechtsradiakale, Hooligans, Rocker. Außerdem im Fokus: Nordafrikaner. Auch | |
das sagte Mathies unumwunden. | |
„Nordafrikaner“ ist in Köln und Düsseldorf ein besetzter Begriff. | |
Spätestens seit 2012 hat sich hier eine Taschendiebszene entwickelt. Viele | |
stehen unter Drogen. Polizisten berichten, diese Männer würden auch schnell | |
mal ein Messer ziehen, wenn sie beim Klauen erwischt werden. Seit 2013 gibt | |
es darum den Warnbegriff „Nafri“. | |
Seit der Silvesternacht 2015 bekommt die Polizei zumindest mehr Anerkennung | |
für ihre oft riskante Mission, die Szene im Zaum zu halten. Aber es gibt | |
auch Kritik. Die Razzien in den von Nordafrikanern bewohnten Vierteln | |
bekommen auch ehemalige Gastarbeiter und ihre Nachkommen zu spüren. Die | |
Ergebnisse bleiben dürftig. Dabei bietet die maghrebinische Gemeinde ihre | |
Mitarbeit an, um die Kriminellen loszuwerden. Auch konsequentere | |
Abschiebungen würden sie unterstützen, sagt Rachid Amjahad von der | |
Gesellschaft für Kultur und Wissenschaft des Maghrebs in Düsseldorf. | |
Eine Justizangestellte sagt, kriminelle Nordafrikaner hätten eine | |
entspannte Einstellung zum Reisen. Dass sie zum Feiern weit fahren, hält | |
sie für plausibel. Sie seien für die Staatsmacht nicht zu fassen, fühlten | |
sich mächtig. Gleichzeitig wüssten sie, dass sie hier keine legale Zukunft | |
haben, keinen Anspruch auf Asyl. Das erzählten auch die Täter der | |
Silvesternacht 2015 vor dem Kölner Amtsgericht. | |
## „Ihr seht aus wie Täter“ | |
Mimoun Berrissoun, in Köln aufgewachsenes Kind marokkanischer Eltern, | |
besucht für sein Projekt namens 180°-Wende jugendliche Straftäter im | |
Gefängnis. Dem WDR sagte er kürzlich, es sei möglich, dass die Gruppen in | |
der aktuellen Silvesternacht „gelenkt“ wurden. Der CDU-Politiker Armin | |
Schuster machte daraus eine „Machtprobe“ ebenso wie die Feministin Alice | |
Schwarzer. Berrissoun fühlt sich falsch verstanden. Der taz sagt er, eher | |
handle es sich um ein „Schwarmverhalten“. Möglicherweise gebe es Wortführ… | |
und Mitläufer. Eine echte Struktur und die Absicht, ein Zeichen zu setzen | |
oder gar den Staat „herauszufordern“, hält er für unwahrscheinlich. | |
Warum auch in diesem Jahr wieder viele Nordafrikaner in Köln waren, ist ein | |
Rätsel. Die Polizei hat eine Arbeitsgruppe gegründet, die das nun | |
herausfinden soll. Unklar ist, wie groß die Zahl der Nordafrikaner wirklich | |
war und wie ungewöhnlich diese Zahl ist. Immerhin kommen Menschen vieler | |
Herkunft zum Feiern nach Köln. | |
Auch eine fünfköpfige Gruppe Schwarzer will in Köln Silvester feiern, auch | |
sie werden durch die rechte Tür geschickt, obwohl zwei Frauen dabei sind. | |
Die Männer gehen auf die Polizeikette zu und versuchen zu verhandeln. Sie | |
werden abgewiesen. Dann versuchen es die Frauen – mit Erfolg. Ein Afghane | |
ist mit zwei Minderjährigen unterwegs, die keinen Ausweis dabeihaben. Keine | |
Chance, bis zum Dom zu kommen. Also dreht er ab. | |
Murat Ünal filmt mit seinem Handy diese Szene und postet sie später mit | |
einem langen Bericht bei Facebook. Er habe einen Polizisten gefragt, warum | |
er festgehalten werde. Der habe geantwortet: „Weil ihr ausseht wie die | |
Täter im letzten Jahr.“ Ünal habe gefragt: „Aufgrund meiner dunklen Augen | |
und Haare bin ich also ein potenzieller Sexualstraftäter?“ Der Polizist | |
habe geantwortet: „Haargenau.“ | |
6 Jan 2017 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Herwartz | |
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