# taz.de -- Kolumne Macht: Die Grundrechte gelten | |
> Wer nach dem Polizeieinsatz in der Kölner Silvesternacht auch nur wagte, | |
> Fragen zu stellen, wurde beleidigt. Eine Debatte, die totalitäre Züge | |
> trägt. | |
Bild: Vom „Nordafrikaner“ zum „Nafri“. Was kommt als Nächstes? | |
Die Beachtung der Grundrechte verhindert, dass manche Verbrechen aufgeklärt | |
werden können. Sie erschwert der Polizei und anderen staatlichen | |
Institutionen die Arbeit. Das ist bedauerlich, aber unvermeidlich. Und eine | |
Banalität – allerdings eine Banalität, die in den letzten Tagen aus dem | |
öffentlichen Blickfeld geraten zu sein scheint. | |
Selbstverständlich wären Straftäter leichter zu überführen oder sogar im | |
Vorfeld an ihrem Tun zu hindern, wenn es keine rechtsstaatlichen Grenzen | |
gäbe, wenn Wohnungen sich ohne richterlichen Beschluss durchsuchen ließen | |
und alle Leute jederzeit abgehört werden könnten. Sogar die Anwendung von | |
Folter hat – neben vielen falschen – einige echte Geständnisse | |
hervorgebracht. Es sind im Laufe der Geschichte nicht nur Unschuldige | |
gefoltert worden. | |
Grundrechte regeln nicht die Beziehungen von Einzelnen untereinander, es | |
sind Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Die Erkenntnis, dass der Staat eben | |
nicht nur Schutz zu gewährleisten hat, sondern dass Menschen auch ein Recht | |
darauf haben, vor ihm geschützt zu werden: Was für eine zivilisatorische | |
Errungenschaft ist dieser kühne Gedanke! Sie hat allerdings ihren Preis. | |
Die Grundrechte werden ja nicht deshalb respektiert, weil ihre Missachtung | |
keine positiven Ergebnisse zeitigen könnte. Sondern weil sich die | |
Gesellschaften, in denen sie gelten, dafür entschieden haben, den Vorzügen | |
der individuellen Freiheit einen höheren Stellenwert einzuräumen als den | |
Vorzügen des Totalitarismus. | |
## Risiken der Freiheit | |
Vorzüge des Totalitarismus? So etwas gibt es? Aber ja doch. Ganz ohne | |
Unterstützung kann sich kein Regime der Welt an der Macht halten. Und auch | |
der Totalitarismus hat eine Gefolgschaft, vor allem in den Reihen derer, | |
die das Risiko und die Mühsal scheuen, die Freiheit zwangsläufig mit sich | |
bringt. | |
Der alte Satz, unter Hitler habe es dies und jenes nicht gegeben, ist eine | |
noch immer regelmäßig wiederkehrende Sentenz. Sie ruft wehmütig die | |
Erinnerung an Zustände wach, in denen die Allgegenwart des Staates viele | |
Grenzüberschreitungen verhinderte, die den Alltag gesetzestreuer | |
Bürgerinnen und Bürger erschwerten. Und sei es auch nur die, sich mit | |
abweichenden Meinungen auseinandersetzen zu müssen. | |
Das auszuhalten, scheint ja besonders schwierig zu sein. Wer nach dem | |
Einsatz der Kölner Polizei an Silvester auch nur wagte, kritische Fragen zu | |
stellen – von Urteilen ist gar nicht die Rede! – sah sich mit einer | |
unverhältnismäßigen, persönlich beleidigenden Kampagne konfrontiert. Sie | |
trug totalitäre Züge, und dieser Satz ist nicht leichtfertig dahin | |
geschrieben. Federführend: die Bild-Zeitung. Die Gründe dafür hatten | |
allerdings nur wenig mit dem Silvesterabend in Köln zu tun. Oft ist die | |
Analyse dessen, worüber geschwiegen wird, interessanter als die Analyse | |
dessen, worüber geredet wird. Keine Rolle spielte im Zusammenhang mit der | |
aufgeheizten Debatte der letzten Tage: der Attentäter auf dem | |
Weihnachtsmarkt in Berlin war ein Nordafrikaner. Ist doch egal? Von wegen. | |
Die Vermutung sei gewagt: Unabhängig vom Verlauf des Polizeieinsatzes in | |
Köln hätte es ohne den Anschlag in Berlin keinen Feldzug gegen die kleine | |
Minderheit derer gegeben, die kritische Fragen stellten. Aber nach Berlin? | |
Nach Berlin geht jeder Angriff auf Nordafrikaner. Und auf Leute, die | |
pauschale Angriffe auf bestimmte Bevölkerungsgruppen ablehnen. Deshalb geht | |
es im Zusammenhang mit Köln um Rassismus, durchaus. Aber nicht nur. Sondern | |
sogar um Totalitarismus. Ach ja: Und auch um den Kampf dafür, dass | |
Grundrechte immer und für alle gelten. | |
Nicht nur für nette Leute und nicht nur bei gutem Wetter. | |
7 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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