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# taz.de -- Kolumne Macht: Menschen nach Bombenanschlägen
> Die Leute leben weiter, auch wenn der Terror mitten in der Stadt war. Das
> ist erfreulich, aber kein Beweis für besondere Tapferkeit.
Bild: Keine Hysterie, alles geht seinen Gang. Weihnachtsmarkt in Lübeck
Alles ist wie immer. Nur das Feuerzeug, das früher in der Handtasche
bleiben durfte, muss abgegeben werden. „Wir haben einen Notstand“,
begründet der Mann das lakonisch, der das Handgepäck am Flughafen in Kairo
kontrolliert.
Wenn das die Reaktion auf zwei Bomben innerhalb von 48 Stunden in der
ägyptischen Hauptstadt ist, dann finde ich das wenig beruhigend.
Symbolpolitik hilft mir nicht viel, wenn ich gerade kurz davor bin, ein
Flugzeug zu besteigen.
Das Restaurant war voll, in dem ich mich zwei Tage zuvor mit einer Freundin
getroffen habe, am Abend des Anschlags auf eine christliche Kathedrale mit
25 Toten. Von sich aus sprach sie das Thema nicht an. Wie auch danach
niemand sonst. Wir redeten über Privates, bis ich sie nach ihrer
politischen Einschätzung der Ereignisse fragte. „Die Leute haben keine
Angst, jedenfalls nicht vor Terror“, sagte sie. „Dazu ist das Risiko für
jeden Einzelnen zu gering. Und andere Sorgen sind zu groß.“
Das ägyptische Pfund hat in den letzten Monaten die Hälfte seines Wertes
eingebüßt, seit die Regierung unter dem Druck des Internationalen
Währungsfonds den Wechselkurs freigegeben hat. Außerdem wurden die
Subventionen für Benzin gekürzt, und manche Lebensmittel – wie zum Beispiel
Zucker – sind nur noch unter dem Ladentisch zu bekommen. Die
Lebensbedingungen für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in
Ägypten haben sich dramatisch verschlechtert. Schon vor den Bomben.
## Die langfristigen Folgen von Terroranschlägen
„Was diese Terroranschläge für die Regierung langfristig bedrohlich macht,
ist die Tatsache, dass sie erkennbar auch ihr Versprechen nicht einhalten
kann, für Sicherheit zu sorgen“, meinte ein anderer Freund am nächsten Tag.
„Dass sie die Menschenrechte nicht achtet und die Wirtschaftsprobleme nicht
in den Griff bekommt, hat sie schon gezeigt.“ – „Die Leute haben keine
Angst, sie sind wütend“, ergänzte seine Frau. „Und viele sind nach einem
solchen Anschlag wie dem auf die Kathedrale auch einfach nur traurig. Das
fällt aber im täglichen Straßenbild nicht auf.“
Nein, das fällt nicht auf. Kairo sieht aus wie immer. Knapp zwei Wochen
sind die Anschläge dort her. Und Berlin? Sieht auch aus wie immer.
Natürlich. Das ist kein Hinweis auf besondere Tapferkeit, das ist
unvermeidlich. Solange ein Attentat nicht die Dimension des 11. September
hat und eine halbe Stadt über Tage hinweg unbewohnbar macht, leben die
Leute eben weiter.
Was sonst sollten sie auch tun? Sich schluchzend in die Arme fallen oder an
der Kasse des Supermarkts zusammenbrechen? Nicht einmal die Kunden der
Glühweinstände auf den Berliner Weihnachtsmärkten wirken so, als leisteten
sie gerade eine heroische Widerstandstat. Sie trinken halt ihren Glühwein.
Das ist beruhigend. Es ist erfreulich, dass die große Mehrheit der
Bevölkerung offenbar nicht zur Hysterie neigt – übrigens nirgendwo auf der
Welt. Über die langfristigen Folgen von Terroranschlägen ist damit
allerdings nichts gesagt. Die hängen im Allgemeinen nicht davon ab, wie
grauenvoll Gewalttaten sind, sondern von dem politischen Klima, in dem sie
stattfinden. Konkret: von dem Maß des Vertrauens, das ein System und seine
Institutionen genießen.
Die ägyptische Regierung hat Grund zur Sorge, und der Kampf gegen
Einwegfeuerzeuge wird daran nichts ändern. Ob die Vertreter der
parlamentarischen Demokratie in Deutschland und in anderen westlichen
Ländern ebenfalls Anlass zur Sorge haben, wird sich zeigen. Ein Verzicht
auf markige Worte und Symbolpolitik wäre sicherlich hilfreich. Und die
Bevölkerung kann bei den Wahlen im nächsten Jahr beweisen, dass sie
tatsächlich frei von Hysterie ist.
23 Dec 2016
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Ägypten
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Krise der Demokratie
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
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