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# taz.de -- Kolumne Macht: Das Volk hat keine Sorgen
> „Aufbruch zu etwas Neuem?“ „Die Karten neu mischen?“ Wer Populisten
> Einhalt gebieten will, sollte zunächst seine eigene Sprache überprüfen.
Bild: Das Volk? Wer soll das sein?
Populisten haben jetzt Oberwasser, selbst hierzulande. Sie sehen sich auf
der Gewinnerstraße. Ich fürchte: sie haben Recht. Aber dafür braucht es
keinen Donald Trump. Ihre Erfolge verdanken die Populisten auch Leuten, die
keinerlei Sympathien für sie hegen – sich ihnen aber längst gedankenlos im
Ton angepasst haben. Nein, ich rede nicht von der CSU. Sondern auch von
Lesern dieser Kolumne. Und von manchen taz-Kollegen.
Am Tag nach der US-Wahl erreicht die Redaktion die Zuschrift einer Leserin.
Differenziert, mit einer erfrischenden Portion Galgenhumor, tief besorgt
über die Entwicklung in den Vereinigten Staaten. Und dann kommt sie, die
kleine, verräterische Bemerkung: Vielleicht sei der Sieg von Trump ein
„Aufbruch zu was Neuem, eine letzte Warnung? Wäre ja mal eine Chance, alle
Karten neu zu mischen.“
Nur Stunden später bekomme ich eine Mail von einem Freund. „Geschockt“ sei
er von Trumps Sieg: „Aber jetzt kann ich dem insofern etwas Positives
abgewinnen, als dass ich glaube, dass es schmerzhaft allen Politikern,
Parteien etc. vor Augen führt, dass es so nicht weitergehen kann.“
Was genau kann so nicht weitergehen, lieber Freund, der Du mich lebenslang
links überholt hast? „Allen Politikern“ soll also etwas „vor Augen“ ge…
werden. Wem denn vor allem, Söder oder Wagenknecht?
Und, sehr geehrte Leserin, wie stellen Sie sich das konkret vor, wenn „alle
Karten neu gemischt“ werden? Merkst Du, merken Sie eigentlich wirklich
nicht, welchen Sound ihr da bedient – und aus welcher Ecke der kommt?
## Das „Volk und seine Sorgen“
Wenn ich es recht sehe, dann werden in den USA gerade alle Karten neu
gemischt. Und die Hälfte der Bevölkerung dort sowie weite Teile des Rests
der Welt haben Angst. Zu Recht. Alles auf Null zu stellen, funktioniert nur
im Computerspiel. In der Realität geht bei derartigen Versuchen
erfahrungsgemäß sehr viel kaputt. Und zwar im wörtlichen, nicht etwa nur im
übertragenen Sinne.
Ach, wenn diese Mails doch einzelne Ausrutscher wären! Aber das sind sie
nicht. Sogar in Nachrichtenredaktionen versagen manchmal alle Warnsignale.
Im letzten Satz eines Beitrages von n-tv hieß es am Donnerstag, der Sieg
von Trump könne „ein letzter Warnschuss für Merkel, Gabriel und Co“ gewes…
sein, „das Volk und seine Sorgen ernstzunehmen“.
Das „Volk und seine Sorgen“! In einem Nachrichtentext! Geht’s noch?
Für alle Nicht-Journalisten hier mal eine Grundregel unseres Berufes, die
im Regelfall selbst Praktikanten nach der ersten Woche verstanden haben:
„Das Volk“ hat keine Sorgen. Teile des Volkes machen sich Sorgen über
Altersarmut, über die Gefahr von Einbruchskriminalität oder terroristischen
Anschlägen, über zu hohe oder zu niedrige Steuern, über einen zu hohen oder
zu niedrigen Mindestlohn. Übrigens alles Themen, mit denen sich Parlament
und Regierung befassen. Die Ergebnisse finden jeweils Teile des Volkes
toll, blöd, egal.
Ich – und ja: auch ich bin Teil des Volkes! – mache mir ebenfalls Sorgen.
Unter anderem über den Geisteszustand mancher Kollegen. Denn was tut die
Redaktion von n-tv? Sie lässt den Beitrag laufen, Stunde um Stunde, immer
wieder. Was hätte sie tun sollen? Ihn dort versenken, wo der Papierkorb am
tiefsten ist und dem Autor ein Volontariat anbieten.
Wer Populisten jetzt Einhalt gebieten will, muss nicht auf die Straße gehen
und auch keine dramatischen Aktionen starten. Sondern erst einmal die
eigene Sprache überprüfen und auf das wohlige Gefühl verzichten, das
allgemeines Genöle bei einem selbst und bei allen Gleichgesinnten
hevorruft. Klingt einfach, ist schwierig. Weiß ich.
12 Nov 2016
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Populismus
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