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# taz.de -- Debatte Direkte Demokratie: Siegeszug des Populismus
> Referenden retten nicht die Demokratie. Im Gegenteil, Detailfragen mit
> „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten, fördert rechten und linken Populism…
Bild: Hält auch nichts von Referenden: Eine Frau protestiert gegen das „No�…
Das Scheitern der Volksabstimmung in Ungarn ist eine Sensation. Und scheint
auf den ersten Blick all diejenigen zu bestätigen, die seit Jahren mehr
direkte Demokratie fordern. Der ungarischen Bevölkerung war eine
Suggestivfrage vorgelegt worden, und mehrheitlich blieb sie dem Referendum
fern, das Quorum wurde nicht erreicht. Toll. Das zeigt doch, dass direkte
Demokratie funktioniert, oder?
Ja, toll. Und, nein, es zeigt eben nicht, dass direkte Demokratie
funktioniert. Im Gegenteil. Das Referendum ist nur deshalb gescheitert,
weil eine Mehrheit beschlossen hat, nicht daran teilzunehmen. Nicht einmal
die Gegnerinnen und Gegner der Fragestellung haben geglaubt, dass eine
Kampagne für ein Nein hätte erfolgreich sein können. Offenbar zu Recht. Sie
haben stattdessen darauf gesetzt, bewussten Widerstand mit apolitischer
Faulheit zu verknüpfen. Klug.
Aber das deutet zugleich auf ein grundsätzliches Problem von
Volksabstimmungen hin: Fast immer geht es dabei um die Frage, wie eine
populistische Position abgewehrt werden kann – fast nie darum, eine
differenzierte Meinungsbildung im Hinblick auf ein komplexes Problem zu
ermöglichen.
Wer schon immer gegen „die da oben“ war, hat bei einem Referendum eine
ziemlich risikofreie Möglichkeit, die zu ärgern, die er oder sie ablehnt.
In einer Volksabstimmung wird ja nicht darüber entschieden, wer die nächste
Regierung bildet, sondern stets nur eine Detailfrage. Warum also nicht die
Gelegenheit nutzen, angestauten Frust rauszulassen?
Rechte und rechtspopulistische Bewegungen haben das Referendum entdeckt, um
sich das Mäntelchen einer demokratischer Gesinnung umzuhängen. Teile des
linken Spektrums reagieren mit verwirrter Empörung: War die Forderung nach
mehr direkter Demokratie nicht stets ihr Vorrecht gewesen – um dem Einfluss
von Lobbyisten oder korrumpierten Abgeordneten entgegenwirken zu können?
## Mal eben den Euro rückgängig machen?
Doch auch die Linke war nie gefeit vor den Verlockungen, die Populismus
bietet. Der Versuch, einen – ungerichteten – Ärger gegen die Herrschenden
zu entfesseln, ist ihr wahrlich nicht fremd. Aber wenn Wut erst einmal
entfacht ist, kann man nie so genau wissen, wogegen sie sich richtet. Wie
zahlreiche historische Beispiel zeigen.
Rechtspopulistische Bewegungen gewinnen weltweit an Zulauf. Wenn man ihnen
Einhalt gebieten will, wird man genau hinschauen müssen, worauf das Prinzip
der parlamentarischen Demokratie eigentlich gründet. Nämlich darauf, Macht
– und damit die Möglichkeit, weitreichende Entscheidungen zu treffen – für
einen genau definierten Zeitraum zu delegieren. Wahlen sollen einen Kurs
entscheiden, nicht etwa Detailfragen.
Das kommt den Interessen der vielen entgegen, die keine Zeit haben – oder,
was übrigens auch legitim ist, keine Lust –, sich in alle Einzelheiten
politischer Fragestellungen einzuarbeiten. Sei es die Entscheidung, ob
Ethikunterricht besser ist als Religionsunterricht, ob die Einführung des
Euro rückgängig gemacht werden oder ob die Sonne künftig um die Erde
kreisen sollte.
## Ein Genuss, das Parlament zu ärgern
Natürlich ist das letzte Beispiel polemisch. Aber unterstellen wir einmal,
darüber würde ein Referendum abgehalten: Möchte irgendjemand darauf wetten,
dass die Frage nicht zumindest 20 Prozent begeisterte Ja-Stimmen erhielte?
Und sei es auch nur, weil manche es genießen würden, das Parlament zu
ärgern?
Wer die parlamentarische Demokratie erhalten möchte, sollte jetzt Parteien
und staatliche Institutionen unterstützen. Allerdings nur unter einer
Bedingung: Parteien müssen weiterhin voneinander zu unterscheiden sein.
Wer das Gefühl hat, seine oder ihre Wahlentscheidung spiele keine Rolle,
wird nach Alternativen suchen. Also, beispielsweise, nach mehr direkter
Demokratie. Die Verantwortung für einen Siegeszug des Populismus sollte die
politische Klasse nicht bei der Bevölkerung abladen.
7 Oct 2016
## AUTOREN
Bettina Gaus
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