# taz.de -- Theorien über Populismus: Von oben herab ist keine Lösung | |
> Mehr Denkweise als Ideologie. Eine Tagung in Leipzig beschäftigte sich | |
> mit dem rasanten Anstieg von Populismus auf der ganzen Welt. | |
Bild: Populistische Strömungen wie Pegida – längst kein Randphänomen mehr | |
Populistische Strömungen sind längst kein Randphänomen mehr, sondern | |
drängen in die Gesellschaften: grotesk wie bei Donald Trump, autoritär wie | |
bei Wladimir Putin oder völkisch wie bei Pegida und AfD. Auch in Asien und | |
Lateinamerika finden Populisten mit ihren lauten und vereinfachenden | |
Parolen Gehör. | |
Weltweit arbeiten sich Populisten an einem „Anderen“ ab – in Deutschland | |
und Europa trifft es vor allem Geflüchtete, Muslime und Araber. Höchste | |
Zeit, die Perspektive zu wechseln und zu schauen, wie es bei diesem | |
„Anderen“ zu Hause aussieht: Gegen wen richtet sich der arabische | |
Populismus, wenn es ihn gibt? Gerade, weil politische wie kulturelle | |
Grenzen durchlässig sind, können solche Vergleiche hilfreich sein. Das | |
dachten sich zuletzt die Organisatoren der Arab Young German Academy, die | |
in Leipzig letzte Woche eine Tagung zum Thema veranstalteten. | |
Die Anziehungskraft des Populismus bestehe darin, dass er eine fluide, | |
anpassungsfähige Denkweise sei, die sich erst im Zusammenspiel mit einer | |
Trägerideologie wirklich entfalte, sagte dort der Salzburger | |
Populismusforscher Reinhard Heinisch. In der AfD mag das die „Asylkritik“ | |
sein oder die Skepsis gegenüber Europa. | |
Der arabische Populismus hingegen dockt an die autoritären | |
Herrschaftsformen an und wird von den Staatsoberhäuptern bewusst benutzt. | |
Beispiel Ägypten: Die vom Präsidenten und Exfeldmarschall Abdel Fattah | |
al-Sisi diktierte Meinung ist absolut; abweichende Äußerungen werden | |
unterdrückt oder verfolgt. Al-Sisi definiert zuerst selbst, was gut für das | |
Volk sei, und setzt dann diesen angeblichen Volkswillen um.´ | |
„Ihr sollt auf niemandem hören außer auf mich“, erklärte er im Februar u… | |
benutzte die ägyptische Alltagssprache, die sich stark vom offiziellen | |
Hocharabisch unterscheidet. Al-Sisi ist mit seinem Populismus nicht allein: | |
Schon der Slogan der Tahrir-Revolution Anfang 2011 war populistisch, als | |
man „Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit“ skandierte – was sich auf | |
Arabisch sogar reimt. | |
Nach gängiger Definition werden populistische Strömungen stärker, wenn | |
sowohl das kapitalistische System als auch die jeweilige Herrschaftsmacht | |
in der Krise stecken. Das gilt für Europa wie für die arabische Welt – wenn | |
auch manche Staaten besser durch die Legitimitätskrise der Arabellion kamen | |
als Ägypten. Das saudische Königshaus konnte sich die Zustimmung der | |
Bevölkerung durch Geldgeschenke erkaufen – ein populistischer und populärer | |
Akt. Ob die saudische Strategie beim sinkenden Ölpreis und dem teuren Krieg | |
im Jemen noch länger funktioniert, ist jedoch fraglich. | |
## Wo ist der Übergang? | |
Gemein ist den arabischen Gesellschaften, dass der Anteil junger Menschen | |
extrem hoch ist – diese in der Politik aber kaum vertreten sind. Die | |
Demografie böte also Raum für einen Populismus von unten, durch Aktivismus | |
oder die Mitarbeit in NGOs, doch die Elite weiß sehr gut, wie sie ihre | |
Macht sichern kann. Häufig lenken die Regierenden mit Verschwörungstheorien | |
ab; ein Spiel, das auch Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei beherrscht. | |
In schwierigen Zeiten sind Menschen offener für simple Lösungen und | |
Losungen: Ein Spruch wie „Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber alle | |
Terroristen sind Muslime“ ist unter Populisten salonfähig. Oder sind das | |
keine Populisten mehr, sondern längst stramme Rassisten? Wo ist der | |
Übergang? Das Zentrale, aber letztlich wenig Hilfreiche am Begriff des | |
Populismus ist ja, dass er mehr Denkweise als Ideologie ist und sich wie | |
ein Parasit an seinen Wirtsmenschen heftet. | |
Mit dieser definitorischen Schwierigkeit kämpfte auch die Leipziger Tagung. | |
„Ich glaube, wir überstrapazieren den Begriff“, sagte denn auch | |
Populismus-Forscher Heinisch. Man solle, schlug einer der Teilnehmer vor, | |
Pegida und AfD doch einfach als das bezeichnen, was sie sind: | |
fremdenfeindlich und rassistisch. Denn die Bigotterie ist den Populisten ja | |
weltweit gemein: Selbst, wenn sie es lautstark vorgeben – Lösungen bietet | |
weder Frauke Petry noch Abdel Fattah al-Sisi. | |
10 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Christopher Resch | |
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