| # taz.de -- Debatte Die Kanzlerin und der Populismus: Merkel geht in die Knie | |
| > Demokratie ist ein Kampf um Ideen, die den Weg zum Handeln weisen, nicht | |
| > um populistische Gewinne. Daran sollten wir uns wieder erinnern. | |
| Bild: Es braucht mehr als nur hohle Phrasen und Zeichen. Ideen müssen her! | |
| Er ist wieder da, der Populismus. Nur: Was macht er genau? In jedem Fall | |
| ist er in aller Munde. Das liegt nicht einmal ausschließlich an der selbst | |
| ernannten Alternative für Deutschland, die seit einem Jahr durchs Land | |
| krakeelt. Es liegt an den Medien, an Menschen wie dir und mir. Es liegt | |
| zunehmend auch an der CSU. Während Merkel in Bratislava den europäischen | |
| Regierungshaufen zusammenzuhalten versucht, fällt ein – in seinen Träumen | |
| bald weit über die bayrischen Landesgrenzen hinaus – Bekannter der | |
| Kanzlerin in den Rücken. Dass er damit Deutschland schadet, weil er es der | |
| Regierungschefin erschwert, mit Autorität für eine gemeinsame | |
| EU-Flüchtlingspolitik zu kämpfen – geschenkt! | |
| Zur selben Zeit erscheint in der New York Times ein Meinungsartikel, der | |
| Merkel erneut zugute hält, als einzige Politikerin in Europa die Moral am | |
| Leben zu halten. Aber was will eine CSU schon mit Moral, wenn sie doch | |
| Aufmerksamkeit haben kann? Was will Europa mit Moral, wenn es doch | |
| Abschottung haben kann? Und nur innerhalb seiner Grenzen Moral? | |
| Ich mache mir dennoch wenig Sorgen wegen der CSU-Forderung nach einer | |
| Obergrenze, weil ich darauf vertraue, dass Deutschland Richter hat, die den | |
| verfassungsgerechten Weg weisen werden. Es ist jedoch beunruhigend, wenn | |
| die Debatten bei immer mehr gesellschaftlichen Fragen so verlaufen, dass | |
| man denkt: Nur noch das Gericht wird für die Grundsätze dieser Demokratie | |
| geradestehen. Was wissen wir Demokratien noch wirklich von dieser | |
| Demokratie? | |
| Die CSU scheint sich auf dieses Unwissen verlassen zu können und wiegelt | |
| das Land auf. Merkel geht allmählich in die Knie, am Montag hat sie | |
| überraschend Fehler in der Flüchtlingspolitik eingestanden, die eigene | |
| Planlosigkeit kritisiert. Hat sie das gesagt, weil es der Volkswille so | |
| will? Oder der Seehofer-Söder-Obergrenzen-Chor? | |
| ## Eine Politik des persönlichen Angriffs | |
| Immer wieder liefern Populisten Statements ab, als führten wir Krieg, als | |
| ginge es darum, den deutschen Staat vor seiner Selbstauslöschung zu retten. | |
| Frauke Petry musste letzte Woche einen Brandanschlag auf ihr Auto erleiden. | |
| Sie will von einer wie mir sicher keinen Schutz, aber: Ich will nicht in | |
| einer Zeit und Republik leben, in der irgendein Mensch für seine Ideen | |
| nicht öffentlich kämpfen und morgens in Frieden aus dem Haus gehen kann. | |
| Der Politikbetrieb trägt einiges zu der aufgeheizten Situation bei. Seit | |
| Monaten ersetzt er – und mit ihm zahlreiche Medien – den politischen | |
| Diskurs durch eine Politik des persönlichen Angriffs. | |
| Ein Schulhof ist ein philosophischer Salon dagegen. Dabei ist Kanzlerin | |
| Merkel eben nicht einfach Angela Merkel. In ihrem Amt steht sie für | |
| Prinzipien, die sie ihrem Handeln zugrunde legt. Wenn die AfD nun die | |
| grandiose Idee hat, nach Terroranschlägen Plakate mit „Danke, Frau Merkel“ | |
| in die Landschaft zu stellen, dann muss man sich nicht wundern, wenn Leute | |
| meinen, alles hinge nur an Personen und sie hätten daher das Recht, Autos | |
| in die Luft zu jagen oder Büros zu verwüsten, wenn ihnen etwas nicht passt. | |
| Doch Politik ist nicht Merkel gegen Seehofer, sondern ein Kampf der Ideen. | |
| Nur indem diese Gesellschaft zurückfindet zum Diskurs über Ideen statt | |
| Personen, wird sie wieder einen angemessenen Ton finden. Von beiden Seiten. | |
| Weil es um Ideen geht, muss ab und zu wohl auch wieder Grundsätzliches | |
| gesagt werden: Es kann nicht sein, dass demokratiefeindliche Positionen als | |
| demokratisch verkauft werden – eine Demokratie kann sie jedoch aushalten, | |
| solange sie in der Lage ist, Demokratiefeindlichkeit zu erkennen und zu | |
| benennen. Es kann nicht sein, dass Menschen Errungenschaften wie | |
| Antidiskriminierungsgesetze für ihren Menschenhass missbrauchen. | |
| Menschenhass steht nicht unter dem Schutz der Menschenrechte. Minderheiten | |
| schon. Es muss doch noch für jeden verstehbar sein, dass moderne Demokratie | |
| nicht einfach die Herrschaft des Volkes ist. Wir leben nicht in Athen vor | |
| Christus, sondern in Deutschland nach Hitler. | |
| Eine demokratische Gesellschaft ist sich bewusst, dass ein Volk aus | |
| Mehrheiten und Minderheiten besteht – die Qualität einer Demokratie bemisst | |
| sich am Umgang der Mehrheit mit ebendiesen Minderheiten. In Deutschland | |
| haben wir schmerzhaft gelernt, was es heißt, wenn die Mehrheit meint, | |
| herrschen sei alles. Es geht nicht darum, ein Herrschaftsvolk zu sein, | |
| sondern ein Gemeinwesen. Das wendet sich besonders an jene, die seit | |
| Monaten schreien, sie würden in ihrer Ablehnung nicht gehört. Sie werden | |
| gehört – sind aber derzeit noch eine Minderheit. Es ist in Ordnung, wenn | |
| sie um Mehrheiten kämpfen, aber nicht mit demokratieschändenden Mitteln. | |
| ## Teufelswort Obergrenze | |
| Andererseits wählt die große Mehrheit im Land nach wie vor nicht AfD. | |
| Gleichzeitig ist auch diese Seite oft so absolut in ihren Positionen, dass | |
| kaum ein Dialog möglich scheint. Obergrenze? Teufelswort. Ja, sicher. Doch | |
| das Argument, den 200.001. müsste man dann ablehnen, ist nur dann eins, | |
| wenn man es für alle 65 Millionen Menschen auf der Flucht gelten ließe. | |
| Geht das? Und wenn nicht, was geht? Im Ausland sagen mir manche | |
| Menschenrechtler, wenn Deutschland zusichern würde, jährlich 300.000 | |
| Menschen aufzunehmen, dann sei das viel und eine große Leistung. Sie wissen | |
| vielleicht zu wenig über unser Land, unser Asylrecht. Sie denken von der | |
| Machbarkeit her, als Linke und humanitäre Helfer. Für viele Linke hier ist | |
| das aber nicht links. | |
| Was sind eigentlich die Ideen, um die wir gerade kämpfen? Sind wir gegen | |
| Populismus oder sind wir dafür, endlich wieder über Ideen zu reden: darüber | |
| wie wir leben, gestalten und, ja: Bürger sein wollen in einer ungerechten | |
| und willkürlichen Welt? Demokratie stand einmal dafür, das ändern zu | |
| wollen. Gibt es keinen Ehrgeiz mehr, der Ideengeschichte einen großen | |
| Gedanken hinzuzufügen? | |
| Manchmal folgt auf einen großen Gedanken eine große Tat. Selten vollbringt | |
| derselbe Mensch beides, aber ums Personenkarussell geht es auch nicht. Um | |
| die Ideen geht’s, die uns einen Weg zum Handeln weisen könnten. Daran wäre | |
| der Populismus, der sich derzeit so beliebt macht, zu messen. | |
| 21 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jagoda Marinić | |
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