| # taz.de -- Den Aufstieg der Rechten aufhalten: Brauchen wir Linkspopulismus? | |
| > Es ist keine gute Idee, die Rechtspopulisten mit ihren eigenen Mitteln | |
| > schlagen zu wollen. Die Linke muss sich den Abgehängten zuwenden. | |
| Bild: Wenn die Rente nach langem Arbeitsleben kaum noch reicht, kommt die Wut h… | |
| Die AfD ist die Bugwelle einer Strömung, die die westlichen Metropolen | |
| erfasst hat. Von Washington über London bis Paris diktieren aggressive | |
| Rechtspopulisten die Agenda. Diese Bewegungen sind auffällig verschieden – | |
| mal rüde neoliberal, obwohl dies den Interessen ihrer zahlreichen | |
| Unterschichtsklientel hohnspricht, mal etatistisch und sozialstaatlich. | |
| Dieses ideologische Flimmern ist typisch. Der Rechtspopulismus funktioniert | |
| wie ein Staubsauger, der alle Frustrierten, die sich von „der Politik“ oder | |
| „dem System“ abgestoßen fühlen, ködert. | |
| Allerdings gibt es drei Topoi, die bei aller Flatterhaftigkeit, zur DNA des | |
| globalen Rechtspopulismus zählen: der Affekt gegen Fremde, die Verachtung | |
| der politischen Eliten und Skepsis gegenüber der Globalisierung. Der erste | |
| trostlose Höhepunkt dieses Vormarsches kann im November der Sieg von Donald | |
| Trump in den USA werden. | |
| Der Rechtspopulismus schöpft aus verschiedenen Quellen: dem | |
| Wohlstandschauvinismus der Besitzenden, den Abstiegsängsten der | |
| Mittelschicht und der Wut der Abgehängten. Alle verbindet, dass sie sich | |
| die Habenichtse, die Migranten aus dem Süden, vom Leib halten wollen. | |
| Folie des rechten Aufschwungs ist das zerbrochene Versprechen der | |
| Marktwirtschaft, dass es am Ende allen besser gehe. Wer 2016 in Chicago, | |
| Manchester oder Lüttich einen normalem Job hat, dem geht es im Schnitt kaum | |
| besser oder sogar schlechter als vor dem Mauerfall. Gleichzeitig hat sich | |
| das Vermögen der Superreichen vervielfacht. Die Globalisierung hat im | |
| Westen wenige extrem reich gemacht und Teile der unteren Mittelschicht | |
| deprimiert. | |
| Es ist seltsam, dass die Linke den steilen Aufstieg der Rechten mit einer | |
| Mixtur aus atemloser Empörung und ratlosem Achselzucken verfolgt. Dabei | |
| muss es gerade für Linke beunruhigend sein, dass Le Pen und Gauland | |
| ausgerechnet ihre frühere Stammkundschaft rekrutieren. Die neoliberale AfD | |
| ist unter Arbeitern und Arbeitslosen beliebt: In Baden-Württemberg, | |
| Sachen-Anhalt und Berlin votieren mehr Arbeiter für die AfD als für die SPD | |
| oder die Linkspartei. In den USA ist die weiße Unterschicht, vormals eher | |
| Demokraten-Klientel, zu Trumps Kerntruppe geworden. | |
| Der französische Soziologe Didier Eribon hält den Erfolg der Rechten für | |
| das Echo des Verrats der Linken. Front National zu wählen sei womöglich | |
| „eine Art politische Notwehr der unteren Schichten“ und „der Versuch, ihre | |
| kollektive Identität zu verteidigen oder jedenfalls eine Würde, die seit je | |
| mit Füßen getreten worden ist und nun sogar von denen missachtet wurde, die | |
| sie zuvor repräsentiert und verteidigt hatten“. Le Pen und Trump sind so | |
| gesehen auch die Rache der Abgehängten an den früheren Arbeiterparteien, an | |
| Blair, Schröder und Clinton, die jene rechts liegen ließen, die das Tempo | |
| globaler Ökonomie überforderte. | |
| ## Mehr Wagenknecht und Lafontaine? | |
| Ist es da nicht höchste Zeit für eine kräftige Antwort der Linken auf die | |
| AfD? Wäre es nicht nötig, das Korsett des Technokratischen, des ewigen | |
| Starrens auf das Machbare abzustreifen, um die wachsende Protestenergie, | |
| die so vehement rechts andockt, wieder einzufangen? Vielleicht muss die | |
| Linke ähnlich krawallig zur Sache gehen wie die AfD, anstatt immer nur „ja, | |
| aber“ zu sagen, stets die Sachzwänge im Blick. Brauchen wir also ein | |
| tatkräftiges Gegenprogramm, einen zupackenden Linkspopulismus, mehr | |
| Wagenknecht und Lafontaine? | |
| Der Linkspopulismus ist ein schillerndes Phänomen. In Lateinamerika | |
| regieren linke Populisten, von Bolivien über Ecuador bis Venezuela, seit | |
| mehr als einem Jahrzehnt, anfangs erfolgreich, doch derzeit glücklos. In | |
| Spanien und Griechenland sind mit Podemos und Syriza spontan erfolgreiche | |
| Bewegungen entstanden als Reaktion auf die Verwüstungen der Banken- und | |
| Eurokrise und korruptionsanfällige, verbrauchte Sozialdemokratien. | |
| Ein Programm des linken Populismus hat der argentinischen Theoretiker | |
| Ernesto Laclau entworfen. Die Stunde des Linkspopulismus schlägt, wenn die | |
| Unzufriedenheit mit der Regierung oder dem System anschwillt. In diesem | |
| Moment muss die Linke die Gesellschaft, so Laclau, „in zwei Lager spalten – | |
| in die popularen Klassen und die Machthaber“. Die „popularen“ Klassen kann | |
| man sich als eine vielfältige Regenbogenkoalition der Enttäuschten und | |
| Aufbegehrenden vorstellen. Doch zentral ist die harte Frontstellung – wir | |
| gegen die. „Die“ sind die politischen und wirtschaftlichen Eliten, die | |
| lokale Rechte, die USA, auch mal die Medien. | |
| ## Nicht Konkurrenten, sondern Feind | |
| Der Linkspopulismus ist nicht totalitär, aber ähnlich flirrend wie sein | |
| rechtes Pendant. Er kann mal autoritär, mal basisdemokratisch sein. Er ist | |
| ein widersprüchliches Gemisch – aus Etatismus und Graswurzelideen, aus | |
| handfester Umverteilungspolitik und Carl Schmitt. Für Laclau ist der Feind, | |
| wie bei Schmitt, zentral für die Konstruktion des Politischen. „Ohne den | |
| Feind“, so Laclau, „gibt es keinen Populismus in dem Sinne, wie wir den | |
| Begriff verstehen wollen.“ „Die“ sind also nicht bloß Konkurrenten im | |
| demokratischen Wettbewerb, sondern Feinde, die aus dem Feld geschlagen | |
| gehören. | |
| Das ist mehr als Theorie und, zumindest manchmal, handfest antidemokratisch | |
| und antipluralistisch. Wer letztlich in den Kategorien „wir“ und „die“ | |
| denkt, dem muss die stets verwirrende Unübersichtlichkeit von | |
| Gesellschaften als Zumutung erscheinen. Es ist kein Zufall, dass sich | |
| einige linke Regierungen in Lateinamerika im Moment der Krise und fallender | |
| Ölpreise von Feinden umzingelt wähnen – und auch interne Kritiker als | |
| CIA-gesteuert denunzieren. | |
| Wer meint, selbst das große Wir, das Volk, zu verkörpern, dem gilt Kritik | |
| rasch als Verrat. Eine gravierende, ungelöste Frage des Linkspopulismus | |
| lautet: Wer ist eigentlich „wir“ und „die“, nachdem die Linke die Macht | |
| erobert hat? Exakt diese Frage stellt sich, etwas anders, derzeit drängend | |
| dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. | |
| Der wandelte sich unter dem Druck der Verhältnisse vom Linkspopulisten zum | |
| Realpolitiker und verliert nun rapide an Popularität. Das ist der | |
| Bumerangeffekt des linkspopulistischen Identitätsversprechens. Denn das | |
| große Wir gegen den IWF, die EU und die Banken zu mobilisieren und danach | |
| mit ihnen Deals zu machen (machen zu müssen) ist widersprüchlich. | |
| ## Wir gegen die | |
| Dass linke Volkstribune sich auch in der Opposition beim „Wir gegen die“ | |
| verlaufen, zeigt der französische Linkssozialist Jean-Luc Mélenchon. Er | |
| fordert nicht nur radikale Umverteilung und den Austritt aus dem Euro, | |
| sondern behauptet auch, dass Migranten den französischen Arbeitern „das | |
| Brot stehlen“, und denunziert Flüchtlinge als Scheinasylanten. So | |
| scharfsinnig Eribon die Ignoranz der ehemals linken Elite gegenüber der | |
| Unterschicht beschreibt, so fatal ist Mélenchons Versuch diesen Verrat zu | |
| kurieren. Denn so wird Xenophobie von links zur sozialen Widerstandsgeste | |
| geadelt, und der „kleine Mann von der Straße“ wird zum Opfer der Migranten. | |
| In der Bundesrepublik hatten es Populisten meist schwer. Populismus hat | |
| unter aufgeklärten Deutschen einen bedrohlichen Unterton. Seit Hitler | |
| misstraut die Linke dem gemeinen Volk, das widerstandslos zum Komplizen | |
| eines alle Maße sprengenden Verbrechens wurde. Doch die Prägekraft dieser | |
| Erzählung ist mit der Historisierung des Nationalsozialismus ausgeblichen. | |
| Die Wahlsiege der AfD deuten einen Stimmungswechsel, eine andere Temperatur | |
| der politische Kultur an. Die geräuscharme postideologische Art des | |
| Regierens, die Angela Merkel perfektionierte, verliert an | |
| Überzeugungskraft. Die Zeiten werden härter, sogar im in Watte gepackten | |
| Deutschland, das die wirtschaftliche Krise per Handelsüberschuss | |
| exportiert. Die politische Linke sollte sich darauf einstellen, dass der | |
| technokratischen Wohlfühlpolitik à la Merkel irgendwann die Luft ausgeht. | |
| ## Den Humus austrocknen | |
| Dabei den Stil der AfD zu imitieren oder wie einst Lafontaine gegen | |
| „Fremdarbeiter“ zu mobilisieren, ist der Holzweg. Auch das schroffe „Wir | |
| gegen die“ ist in der auf die Mitte zentrierten Bundesrepublik wenig | |
| aussichtsreich. | |
| Doch um den Humus auszutrocknen, auf dem die Erfolge der Rechtspopulisten | |
| sprießen, muss die arrivierte Linke Eribons Botschaft ernst nehmen und sich | |
| den Abgehängten zuwenden. Krasse Ungleichheit und Abstiegsängste der | |
| Mittelschicht sind nicht der einzige Grund für den Aufstieg der | |
| Rechtspopulisten im Westen, aber entscheidende Voraussetzungen. | |
| Nötig ist eine entschlossene Politik für höhere Mindestlöhne, sind höhere | |
| Steuern für Reiche und mehr Aufstiegschancen für Ärmere, denen der Weg nach | |
| oben faktisch versperrt ist. Dieses Programm müsste mit weit mehr Verve, | |
| Zuspitzung und Überzeugungskraft vertreten werden, als man es sich derzeit | |
| bei Gabriel oder Nahles vorstellen kann. Das wäre kein linker Populismus, | |
| sondern eher das Greifen nach der Notbremse. | |
| 23 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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