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# taz.de -- taz-Serie Abgeordnetenhauswahl (2): Das blaue Wunder für den Platt…
> Die AfD ist die Anti-Großstadt-Partei. Dass sie in Berlin Erfolg hat,
> darf trotzdem nicht überraschen. Schuld daran sind auch die anderen
> Parteien.
Bild: Die AfD Berlin stellt ihre Wahlkampagne vor
Stabile 8 Prozent in den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Forsa,
zwischen 13 und 15 Prozent gar bei der Sonntagsfrage von Infratest dimap:
Dass die AfD ins Abgeordnetenhaus einzieht, ist mehr als wahrscheinlich. In
Berlin wird es also bald eine Fraktion rechts der CDU geben, zum ersten Mal
seit dem Ausscheiden der Republikaner 1991. Eine Fraktion, in deren
männlich dominierten Reihen sich Junge-Freiheit-Autoren und rechte
Burschenschafter tummeln, die gegen Muslime und Flüchtlinge agitieren, sich
für mehr Polizei und die Rückkehr zu traditionellen Geschlechterrollen
einsetzen und deren liebstes Feindbild die „links-rot-grün-versifften 68er“
sind.
So weit, so schlecht. Nur: Dieser Erfolg der AfD mag erschrecken – eine
Überraschung ist er nicht. Zum einen, weil er sich abgezeichnet hat, auch
wenn man für die Zeichen vielleicht etwas genauer hinsehen musste. Zum
anderen, weil es auch in Berlin das Wählerpotenzial für diese Partei gibt.
Und daran tragen die Parteien des Abgeordnetenhauses, die das jetzt nicht
wahrhaben wollen, eine Mitschuld.
## Nach rechts gerückt
Zunächst aber zu den Zeichen: Dass die AfD in Berlin lange unter der
5-Prozent-Grenze dümpelte, lag vor allem am Landesverband selbst. Der
Ex-Chef Günther Brinker blieb farblos, die Landespartei handlungsunfähig
durch interne Flügelkämpfe. Mit der Vorstandswahl im Januar, bei der mit
Unterstützung der Bundespartei die neue Spitze aus Georg Pazderski und
Beatrix von Storch installiert wurde, scheinen diese Kämpfe abgeschlossen.
Der Landesverband ist nach rechts gerückt und hat sich konsolidiert. Prompt
kletterten auch die Umfrageergebnisse nach oben.
Ein Zeichen auch die Europawahl 2014: Schon damals schaffte die AfD aus dem
Stand ein Ergebnis von 7,9 Prozent. Und sie profitierte von rassistischer
Stimmungsmache: In einzelnen Wahllokalen, etwa dem neben einer
Hellersdorfer Flüchtlingsunterkunft, gegen die damals protestiert wurde,
bekam die Partei fast 15 Prozent der Wählerstimmen.
Aber sind die derzeitigen Umfragewerte nicht trotzdem erstaunlich in einer
Stadt wie Berlin? Leider nein. Denn auch in Berlin, wie in vielen anderen
Großstädten, bildet der Ruf der Stadt nur einen kleinen Teil ihrer
Wirklichkeit ab: Die zwei Drittel BerlinerInnen, die in den Bezirken
außerhalb des S-Bahn-Rings leben, kommen in der öffentlichen Wahrnehmung
viel weniger vor als das, was sich in der Innenstadt abspielt. Wer Berliner
Zeitungen liest, auch und insbesondere die taz, kann zuweilen den Eindruck
bekommen, Berlin bestünde nur aus jungen, urbanen, liberalen
KosmopolitInnen, die niemals arm, sondern höchstens prekär (aber sexy!)
sind. Die Plattenbaubewohnerin aus Marzahn kommt in dieser Stadterzählung
ebenso wenig vor wie der Reihenhausbewohner aus Reinickendorf oder Rudow.
Für ebendiesen unterrepräsentierten Teil der Bevölkerung aber ist die AfD
attraktiv. Sie bedient mit ihrem Berliner Wahlprogramm und der
dazugehörigen Kampagne Bedürfnisse nach Ruhe und Ordnung, Sicherheit und
Regeln. In diesem Sinne ist die AfD eine Art Partei gewordene Antithese zur
Großstadt – mit dem Chaos und den Verwirrungen, den Experimenten und
Risiken, die die Metropole mit sich bringt, will sie nichts zu tun haben.
Dass die AfD in Berlin „kleinbäuerliche Strukturen“ wiederbeleben will, ist
davon nur eine besonders albern scheinende Ausdrucksform. Die BewohnerInnen
der Berliner Randbezirke aber scheinen empfänglich für diese Positionen,
haben sie der chaotischen Großstadt doch oft selbst ganz bewusst den Rücken
gekehrt. Auch das zeigte sich bereits bei der Europawahl 2014, wo die AfD
ihre besten Ergebnisse fast durchgängig in Wahllokalen der Randbezirke
erzielte.
## Punkten bei den Armen
Die AfD bedient also Sehnsüchte, für die in der Hauptstadtöffentlichkeit
sonst wenig Platz ist. Aber kann man das den anderen Parteien vorwerfen?
Nein. Ein anderer Aspekt des AfD-Erfolgs aber hat sehr wohl auch mit den
anderen Parteien zu tun: Die AfD spricht die wirtschaftlich Abgehängten an.
Nicht nur – sie ist auch eine Partei der Zahnärzte und wohlsituierten
Ruheständler, gerade dieser Spagat zeichnet die Partei aus. Aber auch, und
zwar in zunehmendem Maße, wie ein Blick auf die letzten Landtagswahlen
zeigt: In der Gruppe der Arbeitslosen schnitt die Partei in
Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt jeweils am besten ab, lediglich in
Rheinland-Pfalz schaffte es die SPD noch knapp, mehr WählerInnen als die
AfD aus dieser Gruppe für sich zu gewinnen.
In Berlin, wo die Arbeitslosenquote weiterhin die zweithöchste aller
Bundesländer ist und laut Paritätischem Wohlfahrtsverband rund 20 Prozent
der Bevölkerung von weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen
Einkommens leben, wird das zu einem entscheidenden Faktor. Und hier trifft
die anderen Parteien tatsächlich eine Mitschuld: die SPD, die ihre
Glaubwürdigkeit in diesen Bevölkerungsschichten schon lange verspielt hat;
die Linke, denen das in ihrer Berliner Regierungszeit ebenfalls mühelos
gelang; die Grünen, die dieses Milieu gar nicht erst adressieren und aus
der Tatsache, die geringste Überschneidung mit den WählerInnen der AfD zu
haben, den Schluss ziehen, diese Partei ginge sie nichts an.
Kurz: Die etablierten Parteien bemühen sich so wenig um arme BerlinerInnen
– auch weil unter ihnen der Nichtwähleranteil besonders groß ist –, dass
die AfD hier punkten kann. Und das, obwohl ihr sozialpolitisches Programm
mindestens widersprüchlich ist und seine Umsetzung überwiegend eine
Verschlechterung für diese Menschen bedeuten würde. Auch wenn das
Kerngeschäft der AfD Rassismus und Rechtspopulismus sind, darf dieser
Aspekt nicht vergessen werden, soll der AfD langfristig das Wasser entzogen
werden.
Das bedeutet nicht, dass die anderen Parteien ihre Sozialpolitik nun allein
auf die AfD-Klientel ausrichten sollen. Aber bei all der Freude über linke
Erfolge, die sich etwa in der Vielfalt der möglichen Lebensentwürfe, die
gerade im liberalen Innenstadt-Berlin möglich sind, zeigt, darf nicht
vergessen werden, dass die gesellschaftliche Linke in sozialpolitischen
Auseinandersetzungen in den letzten Jahren vor allem verloren hat – und sie
mittlerweile oft gar nicht erst eingeht. Die Innenstadt-Blase zu verlassen
und sich so unsexy Themen wie Langzeitarbeitslosigkeit und Altersarmut
zuzuwenden wäre aber nötig, um eine glaubwürdige linke Alternative sowohl
zu RechtspopulistInnen als auch zu einer Politik des sozialen Kahlschlags
zu entwickeln.
Bis zur Wahl kann noch vieles passieren – angesichts der
AfD-Umfrageergebnisse aufzugeben ist keine Option. Ohne eine glaubhafte
linke Antwort auf die soziale Frage aber überlässt man der AfD hier
kampflos das Feld. Ihr Einzug ins Abgeordnetenhaus darf dann niemanden
überraschen.
8 Aug 2016
## AUTOREN
Malene Gürgen
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