Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sabotage im Berliner Wahlkampf: Kampf der Wähler
> Abgerissene Plakate, Pöbeleien am Infostand, drohende Nazis. In manchen
> Kiezen ist die Lage ernst. Doch nicht immer sind die Klagen der Politiker
> berechtigt.
Bild: Da hat doch nicht etwa die AfD über die FDP plakatiert?
Berlin taz | Am Morgen nach dem Anschlag hingen vor der ausgebrannten
[1][Flüchtlingsunterkunft in Buch] plötzlich Plakate der NPD: „Deutschland
uns Deutschen. Die Türkei den Türken.“ Eine gezielte Provokation. Daniel
Neumann, der stellvertretende Vorsitzende der SPD Karow-Buch, hat noch eine
andere Erinnerung an diesen Dienstagmorgen vor zweieinhalb Wochen. „Das war
die freundlichste Atmosphäre an einem Infostand, die ich je erlebt habe“,
sagt er. „Viele Leute, auch wenn sie nicht die SPD wählen, waren froh, dass
wir immer noch dastehen und uns nicht einschüchtern lassen“, sagt Neumann.
Wohl nirgendwo sonst in der Stadt ist der Wahlkampf für die demokratischen
Parteien so schwierig wie in Buch. Pöbeleien an ihren Ständen seien an der
Tagesordnung, Materialien würden ihnen aus der Hand geschlagen oder
zerrissen, plakatierte Straßenzüge über Nacht komplett leer geräumt, so
Neumann.
Immer wieder komme es vor, dass sie von bekannten Personen aus der rechten
Szene fotografiert würden. „Normalerweise stehen zwei bis drei Leute an
einem SPD-Infostand, in Buch sind wir eher zu viert oder fünft“, sagt
Neumann.
Auch beim Aufhängen von Plakaten ziehen die Genossen aus Buch nicht mehr
wie üblich zu zweit mit einem Bollerwagen und SPD-Fahne los, sondern
koordinieren sich in großen Gruppen – nachdem sie zuvor mehrfach von
Personen verfolgt wurden. Die Angriffe der Rechten bezeichnet Neumann als
„Revierverhalten“. Pankows NPD-Chef Christian Schmidt hatte im Februar
angekündigt, einen „körperbetonten Wahlkampf“ führen zu wollen.
## Auch anderswo ist's brenzlig
Die Lage in Buch ist speziell, doch auch anderswo kommt es zu
Sabotageaktionen – aus unterschiedlichen Motiven. Nachbarn, die in der
Neuköllner Weserstraße am helllichten Tag auf Leitern klettern, um
NPD-Plakate zu entfernen, Fetzen von Linkspartei-Plakaten in Schöneweide
oder großflächig bemalte Plakate des CDU-Spitzenkandidaten Frank Henkel –
meist mit Bezug zur [2][Rigaer94].
Die Plakate seiner Partei würden „massiv beschmiert, zerrissen oder
verbrannt“, beklagte sich Henkel. Die bisher spektakulärsten Attacken des
Wahlkampfs betrafen die CDU: Erst brannte Anfang des Monats ein Werbemobil
der Partei in Staaken, dann wurden dem Neuköllner Kandidaten Onur Bayar die
Reifen seines Privatautos zerschnitten.
Mit der Klage über Aggressionen steht der Innensenator nicht alleine. In
einem seltenen Akt der Einigkeit im Wahlkampf erklärten die
Landesgeschäftsführer von SPD, Linken und Grünen vergangene Woche: „Wir
sehen mit Sorge auf die steigende Anzahl von Angriffen auf Menschen, die
sich im Rahmen des Wahlkampfes demokratisch engagieren.“
## Raue Stimmung vor allem Online
Haben Politik- und Politikerverachtung sowie die Neigung zu Sabotage und
Gewalt also in einem gefährlichen Maße zugenommen? Ganz so einfach ist es
nicht. Fragt man bei den Parteien nach, zeigt sich ein differenzierteres
Bild. „Was sich deutlich verändert und verschärft hat, ist die
Kommunikation in den sozialen Netzwerken“, sagt etwa Linke-Pressesprecher
Thomas Barthel. Beleidigungen wie „Judensau“ gehören dort schon zur
Tagesordnung.
Doch Barthel gibt auch Entwarnung: Er habe „an Ständen schon wesentlich
Schlimmeres erlebt“, sagt er, „Plakate werden nicht häufiger zerstört als
in sonstigen Wahlkämpfen“. Bei der FDP heißt es lapidar: „Wir können üb…
keine Angriffe oder Pöbeleien berichten.“
Und auch der Pressesprecher der Grünen, Julian Mieth, gibt sich
verhältnismäßig gelassen: „Es gehört leider inzwischen zur Normalität, d…
Wahlplakate zerstört oder beschmiert werden“, sagt er. Körperliche Angriffe
habe es keine gegeben. Beobachten lasse sich aber, dass der Ton insgesamt
rauer geworden ist: „Da hat man schon das Gefühl, dass sich die teils
hemmungslosen Umgangsformen im Netz in die Wirklichkeit übertragen“ so
Mieth.
## Jammernde Rechte
Doch gerade aus der Rechten, die sich im Zuge der Flüchtlingsfrage enorm
radikalisiert hat, ist das Jammern über Sabotageaktionen besonders laut zu
vernehmen, es gehört geradezu zum inhärenten Teil der Wahlkämpfe von NPD
und AfD. Dafür sucht die AfD etwa öffentlich nach Plakatzerstörern, in
Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern setzten Kreisverbände bereits
Kopfgelder aus. Die AfD, die Demokratie allzu gern mit einem ersehnten
Aufstand einer „Volksgemeinschaft“ verwechselt, sagt ernsthaft: „Am Zusta…
der Wahlplakate erkennt man den Zustand der Demokratie.“
Entgegen den zahlreichen Klagen der AfD und trotz Ausnahmezuständen wie in
Buch, ist ein demokratischer Wahlkampf für die Parteien weiterhin möglich –
oftmals auch problemlos. Und da, wo die Angriffe überhandnehmen, gilt das
Wort vom Regierenden Michael Müller (SPD): „Das Wichtigste ist, sich nicht
zurückzuziehen, auf die Straße zu gehen in die verbale, sachliche
Auseinandersetzung.“
24 Aug 2016
## LINKS
[1] /Brand-in-Fluechtlingsheim-in-Berlin/!5329441
[2] /Rigaer94/!t5320642
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Berlinwahl 2016
Schwerpunkt AfD
Wahlkampf
SPD
Frank Henkel
Schwerpunkt Flucht
Mecklenburg-Vorpommern
Mecklenburg-Vorpommern
Benedikt Lux
Schwerpunkt AfD in Berlin
Michael Müller
## ARTIKEL ZUM THEMA
Straftaten gegen Flüchtlingsheime: In diesem Jahr schon 637 Vorfälle
Die Anzahl von Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte war 2016 bisher
höher als im selben Zeitraum des Vorjahres. Derzeit sinkt die Anzahl
jedoch.
Wahl in Mecklenburg-Vorpommern: Der Systemfehler
Nach der Landtagswahl wird Ratlosigkeit herrschen über die Wahlbeteiligung
und den Aufstieg der AfD. Warum das Desinteresse, warum dieser Frust?
Jugend in Vorpommern: Wolgast Blues
Aufgewachsen sind sie zwischen Nazis und Ostseestrand: Drei Jungs erzählen,
wie sie ihr Leben an der pommerschen Küste auf die Reihe kriegen.
Sicherheitskonzept der Berliner Grünen: Mehr Polizei auf die Straßen
Für sichtbare Sicherheit: Die Grünen stellen ihr sicherheitspolitisches
Konzept vor. Das könnte in Teilen auch von der CDU sein.
taz-Serie Abgeordnetenhauswahl (2): Das blaue Wunder für den Plattenbau
Die AfD ist die Anti-Großstadt-Partei. Dass sie in Berlin Erfolg hat, darf
trotzdem nicht überraschen. Schuld daran sind auch die anderen Parteien.
Werbekampagne der SPD in Berlin: Wer ist dieser Müller?
Die SPD wirbt für die Wahl mit Plakaten ohne Hinweis auf die Partei und mit
einem unscharf fotografierten Regierenden Bürgermeister. Das soll den
Alltag wiedergeben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.