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# taz.de -- taz-Serie Abgeordnetenhauswahl (3): Mobilität, die mobilisiert
> Verkehr ist ein Thema, das viele WählerInnen mehr interessiert, als den
> Regierungsparteien lieb ist. Beim Fahrrad-Volksentscheid etwa oder der A
> 100.
Bild: Mobilisierte am Boden: Flashmob gegen die A 100 in Friedrichshain
Wenn es ein Wort gibt, mit dem man beim Personal der
Senatsverkehrsverwaltung zuverlässig eine Magenreizung auslösen kann, ist
es „Kopenhagen“. Die dänische Hauptstadt wird von den Fans einer
fahrradgerechten Stadt als leuchtendes Vorbild hochgehalten: Schaut, so
kann es gehen! Breite und sichere Wege überall, und übers Hafenbecken
schlängelt sich dieser tolle Designer-Steg, haben Sie den gesehen?
Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) feuert inzwischen regelmäßig
Seitenhiebe auf das vermeintliche Radlerparadies des Nordens ab. Ja, er
habe sich das angeschaut, alles gut und schön. Aber die
Abstellmöglichkeiten! Mehr als bescheiden. Und der schicke Hafensteg habe
vier oder fünf Jahre Planungszeit verschlungen: Auch nicht besser als in
Berlin.
So viel Empfindlichkeit kommt nicht von ungefähr. Das Fahrradthema hat
Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) und seine Mannschaft kalt erwischt. Da
stricken sich diese nervtötenden AktivistInnen vom „Volksentscheid Fahrrad“
ein Gesetz, wie es ihnen gefällt, und nach drei Wochen, zack!, haben sie
fast 100.000 Unterschriften für ein Volksbegehren zusammen.
Jetzt wäre also eigentlich die Zeit zum Verhandeln. Aber ist das
realistisch? Mitten im Wahlkampf? Die Strategie der SPD scheint eine andere
zu sein. Sie propagiert den vermeintlichen Mittelweg: die Etatmittel
verdreifachen und eine Gesellschaft für Radverkehrsinfrastruktur schaffen,
um die quälend langen Planungsprozesse abzukürzen. Man wird sehen, ob das
überzeugender ist als die vollmundigen Forderungen der Initiative – und wer
nach der Wahl das Verkehrsressort leitet. Grüne und Linke sind in Sachen
Fahrrad durchaus zu mehr bereit, was ihnen quasi eine Wahlempfehlung des
ADFC einbrachte.
Eins kann man jetzt schon festhalten: Mobilität ist ein Thema, das, pardon
the pun, mobilisiert, auch jetzt im Wahlkampf, und zwar in erster Linie
jene, die ökologischer und sozialverträglicher unterwegs sein wollen. Das
Lieblingsargument derer, denen das nicht in den Kram passt, lautet, man
solle jetzt nicht ein Verkehrsmittel – das Fahrrad – gegen die anderen
ausspielen. Das lässt Andreas Knie, Geschäftsführer des Innovationszentrums
für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ), nicht gelten: „Dem
Auto wurde jahrzehntelang so viel Raum gegeben, dass die
Aufenthaltsqualität in der Stadt sträflich vernachlässigt wurde.“ Das
Fahrrad brauche dringend mehr politische Zuwendung. „Dass das Pendel da
schon in die andere Richtung ausschlägt, kann ich nicht erkennen.“
## Teilhabe statt Kohle
Im Prinzip, sagt Knie, habe Berlin beim Verkehr „beste Voraussetzungen“:
viel Platz und eine gute Infrastruktur. „Die Stadt ist für viereinhalb
Millionen Menschen gemacht.“ Viele BerlinerInnen praktizierten längst eine
moderne Mobilität, kombinierten Bus und Bahn, das Fahrrad und die eigenen
Füße – und das Auto, immer öfter im Rahmen von Sharingsystemen. „Damit s…
wir in Berlin hervorragend präpariert für die Herausforderungen, die sich
durch den demografischen Wandel und die Klimaziele ergeben:
gesellschaftliche Teilhabe an Mobilität und Dekarbonisierung, also dem
Abschied von fossilen Brennstoffen.“
Allein, die Politik kommt nicht in die Gänge: „Was tut denn der Senat?“,
fragt der Mobilitätsforscher. „Die Autobahn wird verlängert. Das ist sehr
fantasielos.“ Aber es ist eine Tatsache. Der 16. Abschnitt der A 100 vom
Dreieck Neukölln zum Treptower Park ist längst im Bau, und gerade sieht es
so aus, als ginge es mit dem 17. Abschnitt bis an den Rand von Prenzlauer
Berg gleich weiter. Das Bundesverkehrsministerium, das den Löwenanteil der
immensen Kosten trägt, hat die Extrakilometer mit einem Trick durch die
Bürgerbeteiligung am Bundesverkehrswegeplan geschleust – und der
rot-schwarze Senat hat freudig stillgehalten.
In Koalitionsverhandlungen könnte das Thema aber noch einmal hochkochen:
„Es wird bestimmt auch um den Weiterbau der A 100 gehen“, glaubt Wanja
Borchert, Landesverbands-Vorstand beim Verkehrsclub Deutschland (VCD), „und
es wird spannend zu beobachten sein, ob die Grünen wie vor fünf Jahren zu
ihrem Wort stehen und sagen: Mit uns nicht.“ Tatsächlich platzte Rot-Grün
2011 wegen der Autobahn, und vielleicht drückt sich die Partei deshalb im
aktuellen Wahlprogramm eher schwammig aus. Etwa: A 100 ist blöd, aber jetzt
haben wir halt den Salat.
Der Dritte im Bunde, ohne den Rot-Grün wohl nicht regieren kann, ist
kategorischer: „Die Linke lehnt den Weiterbau derA 100 grundsätzlich ab“,
heißt es in deren Programm. „Ein innerstädtischer Autobahnring widerspricht
sowohl den Ansprüchen an eine soziale und umweltgerechte Stadtentwicklung
als auch den Klima- und Umweltzielen der Berliner Stadtpolitik.“ Wohl wahr:
Nähme der Senat sein eigenes Ziel „Klimaneutralität bis 2050“ ernst, wäre
er gut beraten, den motorisierten Verkehr zurückzudrängen.
Aber fahren die Autos nicht bald alle mit Ökostrom? Auch das liegt in
weiter Ferne. Obwohl Berlin als „Schaufenster der Elektromobilität“ vom
Bund gefördert wird, gibt es bislang nur etwa 100 öffentliche
Ladestationen. Andreas Knie bemängelt, dass E-Autos im Gegensatz zu
Hamburg oder Stuttgart keine Privilegien in Berlin genießen. „Dort können
sie frei parken, hier nicht.“ Von einer leisen und sauberen Zukunft sind
Berlins Straßen noch weit entfernt.
23 Aug 2016
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Radverkehr
Verkehrspolitik
Bus
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Taser
Berlinwahl 2016
Radverkehr
Autobahn
Flüchtlinge
Schwerpunkt AfD in Berlin
Prekäre Arbeit
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