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# taz.de -- taz-Serie Abgeordnetenhauswahl (4): Flucht nach vorne
> Die Flüchtlinge sind verblüffend schnell vom Panik- zum Anpackthema
> geworden. Im Wahlkampf spielt ihre Integration kaum eine Rolle.
Bild: Auf dem Weg zum Abi: Vorbereitungskurs für Flüchtlinge am Berlin-Kolleg…
Integrations- oder Flüchtlingspolitik – aktuell bedeutet meist beides
dasselbe – könnte das Aufregerthema dieses Wahlkampfs sein. Kaum jemand hat
vergessen, was sich vor einem Jahr vor dem Landesamt für Gesundheit und
Soziales (Lageso) abspielte. Hunderte Geflüchtete, hinter Gittern
zusammengepfercht, die tagelang in der Hitze warteten. Freiwillige, die sie
mit Wasser, Lebensmitteln, sauberer Kleidung versorgten. Die Ehrenamtlichen
von der Initiative Moabit hilft! schrieben einen Brandbrief, sodass
endlich auch die Behörden etwas gegen das Elend unternahmen. Weil das genau
ein Jahr her ist, greifen viele Medien das Thema jetzt erneut auf.
Dennoch muss es heißen: Integration „könnte“ das Aufregerthema sein. Denn
außer auf ein paar „Flüchtlinge willkommen“- Plakaten linker Parteien –…
solchen mit der entgegengesetzten Botschaft vom rechten politischen Rand –
spielt das Thema Flüchtlinge im Wahlkampf bislang keine explizite Rolle.
„Wir schaffen das“: der historische Satz von Bundeskanzlerin Merkel scheint
in der Hauptstadt flüchtlings- und integrationspolitisch Programm zu sein.
Gut 55.000 Flüchtlinge kamen letztes Jahr in die Stadt, exakt 13.047
folgten bis Mitte August 2016. Viele warten noch auf den Abschluss ihres
Asylverfahrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf).
Nach wie vor sind viele nur notdürftig untergebracht in immer noch 48
Turnhallen oder den Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof.
Noch gibt es zahlreiche Missstände bei Versorgung und Integration der
Geflüchteten – etwa was die Betreuung unbegleiteter minderjähriger
Flüchtlinge (UMF) betrifft. Und noch ist nicht klar, ob angedachte Lösungen
wie die geplanten Modularen Unterkünfte zur Flüchtlingsunterbringung (MUF)
tatsächlich richtig sind, will man künftige Probleme vermeiden. Dass
Flüchtlinge Wohnungen, Kita- und Schulplätze, Arbeits- und
Ausbildungsstellen brauchen, ist in Berlin trotz all dem angekommen. Die
Flüchtlinge sind verblüffend schnell vom Panik- zum Anpackthema geworden.
Kürzel wie UMF, MUF und Bamf gehen mittlerweile nicht nur den Tausenden
ehrenamtlichen FlüchtlingshelferInnen locker über die Lippen. Auch den
Regierenden – und denen, die das nach der Wahl am 18. September sein wollen
– sind sie vertraut. Seit das Getriebe von Senats- und Bezirksverwaltungen
in Gang kam – nicht zuletzt durch den Druck, den die Ehrenamtlichen
ausübten –, ist Schwung in der Sache.
Etwa mit dem „Masterplan Integration“ von Integrationssenatorin Dilek Kolat
(SPD), der alle Senatsverwaltungen verpflichtet, zur Flüchtlingsintegration
beizutragen. So sollen beispielsweise dort, wo die Modularen Unterkünfte
entstehen, Kita- und Schulplätze gleich mitgeplant werden. Bezirksämter
richteten Koordinierungsstellen ein als Beratungsbüros für Flüchtlinge und
Ehrenamtliche. Jobcenter bekamen neues Personal, speziell geschult für die
berufliche Integration Geflüchteter.
## Sicherheit für die CDU
Es läuft: Der Bau von zwei Modularen Unterkünften wurde begonnen. Und an
dem beruflichen Qualifikationsprojekt für Geflüchtete „Arrivo“ haben über
600 Menschen teilgenommen. Dass Probleme wie der Mangel an bezahlbarem
Wohnraum von den zuständigen Senatoren Andreas Geisel (Bau) und Matthias
Kollatz-Ahnen (Finanzen, beide SPD) nicht von einem Tag auf den anderen
gelöst werden können, liegt auf der Hand.
Dass Kolats Masterplan mit ganzem Titel „Masterplan Integration und
Sicherheit“ heißt, kann als Zugeständnis der SPD an den Koalitionspartner
CDU betrachtet werden. Zum Thema Sicherheit, viertletztes Kapitel in dem
11-Punkte-Plan, führt dieser zuerst den Schutz Geflüchteter vor rechten
Übergriffen an. Mehr „sichtbare Polizeipräzenz“ in der Stadt zur „Stär…
des Sicherheitsgefühls“ der Bevölkerung soll es geben, die Behörden wollen
ein wachsames Auge auf potenzielle Islamisten unter den Geflüchteten haben.
Volkshochschulkurse zur Vermittlung „rechtsstaatlicher Grundprinzipien“ –
all das fällt in die Arbeitsbereiche der Senatoren Thomas Heilmann (Justiz)
und Frank Henkel (Inneres). Mehr muss den CDUlern qua Aufgabenverteilung
zum Thema Integration nicht einfallen.
Ihrem Parteikollegen Mario Czaja aber schon. Als Sozialsenator hatte er das
Versagen des Lageso zu verantworten. Auch er hat gehandelt: Um das
international unrühmlich bekannt gewordene Amt aus der Schusslinie zu
nehmen, schuf er flugs ein neues: LAF heißt das, Landesamt für Flüchtlinge.
Das Lageso kann so in Vergessenheit geraten.
Das dürfte Czaja entgegenkommen. Vielleicht ist es sogar ihm zu verdanken,
dass auch die CDU das Flüchtlingsthema im Wahlkampf nicht breittritt. Und
vielleicht ist Czaja gar der einzige Christdemokrat der Stadt, der hofft,
dass seine Partei nach der Wahl nicht wieder mitregiert. Denn der einstige
Hoffnungsträger der an begabtem Nachwuchs armen Berliner CDU wird wohl noch
lange mit dem Lageso-Chaos in Verbindung gebracht werden. Ein bis zwei
Legislaturperioden Opposition gäben dem erst 40-Jährigen die Chance, sein
Image wieder aufzupolieren. Und wer weiß, ob er irgendwann nicht doch als
Bürgermeisterkandidat von den Wahlplakaten strahlt.
30 Aug 2016
## AUTOREN
Alke Wierth
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