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# taz.de -- Ein Jahr nach Merkels „Wir schaffen das“: Der lange Atem der Fr…
> Die Arbeit der HelferInnen hat sich verändert. Statt Nothilfe ist jetzt
> Unterstützung beim Deutschlernen, bei Job- und Wohnungssuche gefragt.
Bild: Geflüchtete Schülerinnen im Gymnasium in Duisburg
Andreas Vollmert hat die Bilder noch im Kopf, von damals, als jeden Abend
auf dem Bahnhof in Düsseldorf Flüchtlinge in Sonderzügen ankamen. Als sie
begrüßt wurden von BürgerInnen, die Mineralwasser reichten, Schokolade
verteilten und den Flüchtlingen Fahrkarten für die Weiterfahrt bezahlten.
„Da konnte man sich als Freiwilliger wie ein Held fühlen“, sagt Vollmert,
Koordinator bei der Initiative „Flüchtlinge willkommen in Düsseldorf“. Do…
die Heldenzeiten sind vorbei.
„Der lange Atem ist wichtiger geworden“, sagt Vollmert, „jetzt geht es um
individuelle Hilfen, um Behördengänge, die Suche nach Wohnungen, nach
Praktika. Da schreien nicht mehr alle ‚Hurra‘.“ Seine Initiative verfügte
zu den stärksten Zeiten über 180 Freiwillige, jetzt sei ein harter Kern von
20, 30 Leuten übrig geblieben, erzählt er.
Auch Sascha Kellermann vom Unterstützerverein „THFwelcome“ in
Berlin-Tempelhof stellt fest, „dass der Andrang von Freiwilligen deutlich
nachgelassen hat“. Im vergangenen Winter war die Kleiderkammer der
Erstunterkunft im Flughafen Tempelhof fast täglich geöffnet, in drei
Schichten wechselten sich Freiwillige ab, mitunter ein Dutzend Leute pro
Schicht. Jetzt hat die Kleiderkammer nur noch an zwei Tagen in der Woche
geöffnet.
Es kommen zwar nicht mehr so viele Flüchtlinge nach Tempelhof, doch die
Hangars dienen immer noch als Auffangunterkunft. 1.600 Menschen wohnen
hier, die Initiativen werben weiterhin um Helfer. „Die Arbeit in der
Kleiderkammer bringt gewisse Wiederholungen mit sich, auch hat die Dramatik
in der medialen Berichterstattung nachgelassen“, erklärt Kellermann das
schwindende Interesse.
Aber auch wenn die Fernsehbilder nicht mehr so dramatisch sind – immerhin
800.000 Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen, mit
300.000 Neuankömmlingen rechnet das Bundesamt für Migration in diesem Jahr.
Es sind Menschen, die zu einem großen Teil eine Anerkennung als Flüchtling
oder eine Duldung erhalten und in Deutschland bleiben werden. Das verändert
den Bedarf in der Freiwilligenarbeit.
## Individuelle Unterstützung gefragt
Die Zeiten, in denen Freiwillige Dankbarkeit erwarteten, wenn sie einen
Sack voll gespendeter Kleider bei einem Flüchtlingsheim abluden, Gemüsereis
in Turnhallen austeilten oder Malaktionen in Notunterkünften organisierten,
sind vorbei. Gefragt ist jetzt individuelle Unterstützung.
„Die Freiwilligenarbeit verändert sich mit den Phasen im Asylverfahren, in
denen sich viele der Flüchtlinge befinden“, sagt Christiane Beckmann,
Geschäftsführerin des Berliner Vereins „Moabit hilft“. „Die Flüchtlinge
brauchen Einzelbegleitungen zu den Ämtern, Nachhilfe oder Sprachtandems zum
Deutschlernen, Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen. Die Unterstützung muss
auf den Bedarf des Einzelnen, der Familie abgestimmt sein“, erklärt
Beckmann.
Genau das aber ist der Punkt: Wer den Flüchtlingen in ihrem Lebensalltag
helfen will, muss eben auch die Zeit haben, einen Geflüchteten am Morgen um
zehn Uhr zum Jobcenter zu begleiten oder um elf Uhr zur Ausländerbehörde.
„Das schaffen Freiberufler oder Leute im Ruhestand noch am ehesten“, sagt
Vollmert von der Düsseldorfer Initiative, „wenn wir kurzfristig jemanden
brauchen, um einen Geflüchteten, dem die Abschiebung droht, zu einem
Amtstermin zu begleiten, kann das sehr schwierig werden.“
Vollmert hat festgestellt, dass einen längeren Atem besitzt, wer einen
fachlichen Bezug hat: So geben pensionierte LehrerInnen Deutschunterricht,
ehemalige Verwaltungsbeamte veranstalten Weiterbildungen im neuen
Asylrecht.
## Hohe Frustrationstoleranz
Individuelle und kontinuierliche Hilfe bei der Job- und Wohnungssuche ist
zeitaufwendig und man braucht eine hohe Frustrationstoleranz. „Es gibt
Ehrenamtliche, die wollen schnelle Erfolge. Für die wird es schwierig“,
sagt Ursula Baer, Vorsitzende der Münchner Flüchtlingshilfe. Baer
beobachtet „zwei Strömungen“: Einmal gebe es jene, die vor einem Jahr
geholfen haben, „weil es schick war, weil es Anerkennung versprach“. Diese
ließen nach in ihrem Engagement.
Gleichzeitig aber konstituierten sich neue Helferkreise, oft auf dem Land,
die bei der Integration helfen. Allerdings könnten Ehrenamtliche nicht „die
Arbeit der Politik machen. Wenn Wohnungen fehlen, müssen Wohnungen gebaut
werden“, sagt Baer. Ehrenamtliche machten oft die Arbeit, die eigentlich
Sozialarbeiter machen müssten, rügt Beckmann, „da müsste die Politik in die
Gänge kommen“.
29 Aug 2016
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlingshilfe
Ehrenamt
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