| # taz.de -- Fluchtweg eines Syrers: Von Aleppo nach Gaza | |
| > Die Hälfte der Palästinenser würde den Gazastreifen am liebsten | |
| > verlassen. Für einen Flüchtling aus Syrien war die Entscheidung für Gaza | |
| > richtig. | |
| Bild: Warif Hamedo an einem seiner Lieblingsplätze: der Küche | |
| Gaza-Stadt taz | Seit drei Jahren lebt der Syrer Warif Hamedo im | |
| Gazastreifen. Dort ist er so bekannt wie ein bunter Hund. „Die Leute | |
| mochten mich, und ich mochte sie“, sagt der rothaarige Flüchtlinge aus | |
| Aleppo, der immer wieder die Hände von Fremden schütteln muss. „Ich habe | |
| mich gleich wie zu Hause gefühlt.“ Schon die Luft auf der palästinensischer | |
| Seite der Grenze sei viel frischer gewesen als in Ägyptens Hauptstadt | |
| Kairo. „Ich roch das Meer und ging gleich an den Strand, wo es genauso | |
| aussieht wie bei uns in Syrien.“ | |
| Jeder zweite Palästinenser wünscht sich laut Umfragen, den belagerten | |
| Küstenstreifen, der unter seinen Bewohnern als größtes Freiluftgefängnis | |
| der Welt gilt, so schnell wie möglich zu verlassen. Die Menschen kämpfen | |
| mit hoher Arbeitslosigkeit, Armut, dem totalitären Regime der | |
| islamistischen Hamas und der Bedrohung militanter Auseinandersetzungen. Im | |
| Vergleich zur Hölle des Bürgerkriegs in der Heimat erscheint der | |
| Gazastreifen den syrischen Flüchtlingen dennoch als ein sicherer | |
| Zufluchtsort. Rund 50 Familien leben hier endlich in Sicherheit, aber viele | |
| von ihnen in Armut. Die meisten sind gemischte syrisch-palästinensische | |
| Familien. | |
| Hamedo gibt zu, dass er „nie auf die Idee gekommen wäre“, in den | |
| Gazastreifen zu fliehen, hätte er nicht zufällig in Kairo einen | |
| Palästinenser kennengelernt, „der mochte, was ich kochte“. Kibbeh, eine mit | |
| Hackfleisch und Zwiebeln gefüllte Teigtasche, ist Hamedos Spezialität. Sein | |
| Vater hatte die Karriere eines Maschinenbauingenieurs für ihn vorgesehen. | |
| Er machte sogar eine Fachausbildung, doch „das Kochen blieb immer meine | |
| Leidenschaft“. | |
| Umgerechnet 22 Euro musste Hamedo bezahlen, um von Ägypten aus einen der | |
| Tunnel passieren zu dürfen. Ein Jahr nach seiner Ankunft in Gaza, im Sommer | |
| 2014, rückten israelische Panzer auf die Stadt vor; die Luftwaffe zerbombte | |
| ganze Wohnviertel. Für ihn sei das „ganz normal“ gewesen, erinnert sich der | |
| 36-Jährige. Es gab für alle genug zu essen und auch Wasser – kein Vergleich | |
| zu der Lage in Aleppo. Dort hatte sich Hamedo vor seiner Flucht allein | |
| durchschlagen müssen. | |
| ## Vom Flüchtling zum Chefkoch | |
| Eine Familie nach der anderen hinterließ ihm die Schlüssel ihres Hauses, | |
| auf die er bis zum Ende des Krieges aufpassen sollte. „Ich zog von einem | |
| Haus ins andere und aß die Vorräte auf“, berichtet er. Der Hunger und die | |
| Angst davor, von der Armee rekrutiert zu werden, ließen ihn schließlich | |
| selbst den Koffer packen. | |
| Die erste Station auf Hamedos Flucht war die Türkei. „Ich hoffte, mich nach | |
| Europa durchschlagen zu können.“ Wochenlang im Flüchtlingslager und ohne | |
| Job, machte Hamedo sich auf nach Ägypten. In Kairo fand er schließlich eine | |
| Stelle als Koch, die ihm aber nicht genug für eine eigene Wohnung | |
| einbrachte. In dem ägyptischen Fast-Food-Imbiss traf er einen | |
| palästinensischen Restaurantbesitzer, der ihn überredete, mit ihm nach Gaza | |
| mitzukommen. „Am Anfang dachte ich: Gaza? Niemals! Aber er meinte, ich | |
| solle es mir nur einmal ansehen.“ Das tat Hamedo. | |
| Er hat nicht lange überlegt. Er reiste zurück nach Kairo, kündigte seine | |
| Stelle und packte erneut seine Sachen. Einmal in Gaza angekommen, wand sich | |
| das Blatt für den jungen Chefkoch. Er verdiente anfangs 2.000 Dollar im | |
| Monat und wurde mit seinen Spezialitäten aus Aleppo so schnell bekannt, | |
| dass er zusammen mit palästinensischen Partnern sein eigenes Restaurant | |
| eröffnen konnte. Er nannte es „Syriana“ („Unser Syrien“), die Kundscha… | |
| stand Schlange, und irgendwann bekam auch die Presse Wind von dem Syrer. | |
| Bei einem Interview lernte er seine heutige Frau kennen, eine | |
| palästinensische Journalistin. Mit ihren Kontakten schaffte er es mit einer | |
| eigenen Kochshow in den lokalen Fernsehsender. Dieser Tage soll seine erste | |
| Tochter geboren werden. | |
| Nur ein Wunsch muss sich in seinem Leben jetzt noch erfüllen: die Heimkehr. | |
| Sosehr es ihm im Gazastreifen gefalle, so sehr sei es schwer für ihn, nicht | |
| mehr reisen zu können. Seit Ägypten die Tunnel zerstört hat, ist der | |
| Gazastreifen vollends abgeriegelt. „Früher bin ich nur mal zum Mittagessen | |
| nach Beirut gefahren“, sagt Hamedo. Die Eheleute sind sich einig, dass sie | |
| nach Syrien ziehen, wenn der Krieg vorbei ist. Hamedo vermisst Aleppo | |
| jeden Tag. | |
| 29 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Knaul | |
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