# taz.de -- Debatte Israel und Palästina: Der vergessene Konflikt | |
> Der Syrienkrieg und die Diktatur in Ägypten lähmen den | |
> israelisch-palästinensischen Friedensprozess. Doch der Konflikt ist nicht | |
> lange nicht gelöst. | |
Bild: Noch unverbaut: Blick auf den Felsendom in Jerusalem. | |
Erinnern Sie sich noch an den „Nahostkonflikt“? So hieß früher der zentra… | |
Konflikt in einer Region des Stillstands und der Autokratien. Wenn der | |
alles beeinflussende israelisch-palästinensische Konflikt gelöst ist, so | |
lautete einst die These, werde endlich auch die Starre einer ganzen Region | |
aufbrechen. | |
Dann kam das, was hoffnungsvoll Arabellion genannt wurde und mittlerweile | |
zu einem arabischen Albtraum geworden ist. Diktatoren sind zurückgekehrt | |
oder noch an der Macht, Baschar al-Assad agiert als Massenmörder, den | |
manche schon wieder als salonfähig betrachten wollen. Der ägyptische | |
Präsident al-Sisi, unter dessen Regentschaft nach Angaben von Human Rights | |
Watch über 41.000 politisch motivierte Festnahmen durchgeführt wurden, | |
radiert ganze Städte im Sinai aus, wird aber dennoch weiter mit Waffen und | |
Hilfsgeldern versorgt wie einst Husni Mubarak. | |
Sie präsentieren sich als Antiterrorkämpfer, obwohl sie dem für sie | |
nützlichen Phänomen IS den Boden bereitet haben – gestärkt von einer | |
westlichen Interessenpolitik in Nahost, die seit Jahrzehnten entweder | |
Diktatoren unterstützt oder mit Gewalt entfernt, ohne etwaige | |
Langzeitfolgen zu berücksichtigen. | |
Angesichts dieser düsteren Entwicklungen ist der eigentliche | |
„Nahostkonflikt“ mittlerweile in den Hintergrund gerückt und kaum noch | |
Gegenstand wirkungsvoller internationaler Anstrengungen. Nur wenn die | |
Waffen sprechen, wie im Gazakrieg 2014 mit über 2.200 Toten, ist | |
kurzfristig die weltweite Aufmerksamkeit gesichert. Ein halbes Jahr nach | |
dem Krieg hat dort der Wiederaufbau nicht einmal ansatzweise begonnen. | |
## Hilfsgelder kommen nicht an | |
Die katastrophale Lage der überwiegend jungen 1,7 Millionen Menschen im von | |
Ägypten und Israel abgeriegelten Gazastreifen wird ebenso wenig beachtet | |
wie die Tatsache, dass zugesagte Hilfsgelder in Milliardenhöhe nicht | |
ankommen. | |
Vor zwanzig Jahren begann in Oslo ein „Friedensprozess“, der bis 1999 zur | |
Umsetzung einer Zweistaatenlösung führen sollte. Dieses Projekt wird zwar | |
diplomatisch noch aufrechterhalten, Ideen für die Umsetzung aber fehlen. | |
Bei der jüngsten Sitzung des zahnlosen Nahostquartetts am Rande der | |
Münchener Sicherheitskonferenz wurde lediglich die „Hoffnung“ auf baldige | |
Verhandlungen zum Ausdruck gebracht und die „Sorge“ über die Lage im | |
Gazastreifen geäußert. Konkrete Politikansätze sehen anders aus. Vor Ort | |
glauben Umfragen zufolge nur noch wenige an die Verwirklichung der | |
Zweistaatenlösung. | |
Vor allem nicht auf Seiten der Palästinenser, die auch nach Jahrzehnten der | |
Verhandlungen über keinen unabhängigen Staat verfügen, sondern sich | |
stattdessen mit massiv gewachsenen Siedlungen und der fortschreitenden | |
Enteignung ihres Landes und der Ausbeutung ihrer Ressourcen konfrontiert | |
sehen. Die palästinensische „Autorität“ hat ihren Namen kaum verdient, und | |
während sie sich international um die symbolisch wichtige Anerkennung ihrer | |
Staatlichkeit bemüht, hat sie keinerlei Kontrolle über das zersplitterte | |
palästinensische Territorium. | |
## Netanjahus fatale Iran-Politik | |
Die derzeitige israelische Regierung setzt auf eine dauerhafte Beherrschung | |
der besetzten Gebiete und sieht den Status quo als Dauerlösung. Dazu kommen | |
wirtschaftliche Faktoren und eine nationalreligiöse Ideologie, welche das | |
Westjordanland als unverhandelbares historisches Kernland jüdischer | |
Siedlung ansieht. | |
Die arabische Friedensinitiative von 2002 hatte vorgeschlagen, dass Frieden | |
zwischen allen Staaten der arabischen Liga und Israel möglich sei, wenn | |
sich Israel aus den besetzten Gebieten komplett zurückziehe. Das war ein | |
wichtiges Angebot, auf das von israelischer, amerikanischer und | |
europäischer Seite nie ausreichend eingegangen wurde. | |
Auch vor dem amerikanischen Kongress wird Netanjahu die Botschaft, die er | |
insbesondere seit den Anschlägen in Paris wiederholt, verbreiten: Israel | |
sei als Verbündeter im Krieg gegen den Terrorismus zur Kooperation mit den | |
„moderaten“ (so einst George W. Bush über die arabischen Verbündeten der | |
USA) arabischen Staaten bereit. Das Feindbild heißt weiterhin Iran. Die | |
historische Chance einer Einigung der USA mit dem Iran, welche in | |
Wirklichkeit die einzige realistische Möglichkeit zur Verhinderung einer | |
iranischen Nuklearbewaffnung ist, soll so torpediert werden. | |
## Politikwechsel in Israel? | |
Nicht nur in den USA, auch in Israel gibt es viel Kritik an Netanjahus | |
harter Linie. Aber seine Rivalen haben im Vorfeld der israelischen Wahlen | |
am 17. März kaum eine überzeugende Alternative anzubieten. Zwar bemüht sich | |
das neu gegründete „zionistische Lager“ um Justizministerin Zipi Livni und | |
Arbeitspartei-Vorsitzenden Isaak Herzog, sich in Bezug auf die Politik | |
gegenüber den Palästinensern mit vagen Ankündigungen über neue | |
Verhandlungen abzugrenzen. Jedoch werden sie selbst bei einem Wahlerfolg | |
auch mit rechtsgerichteten Parteien koalieren müssen. | |
Die alte These, dass die Lösung des „Nahostkonflikts“ die Region befrieden | |
wird, ist weniger zutreffend denn je. Würde morgen die Zweistaatenlösung | |
umgesetzt, endet der Krieg in Syrien nicht. Richtig bleibt aber, dass der | |
Aufschub einer Lösung enorme Risiken birgt. Nicht nur die Tatsache, dass | |
der ungelöste Konflikt auch weiterhin geeignet ist, das Klima in der Region | |
sowie in Europa zu vergiften, und dort Hasspredigern und Antisemiten | |
Munition liefert. Vor allem die Situation der Rechtlosigkeit für Millionen | |
Palästinenser ist ein untragbarer Zustand. | |
Ein weiterer Krieg in Gaza ist ohne wirksame politische Regelung ebenso nur | |
eine Frage der Zeit wie eine neue Kampfrunde zwischen Israel und der | |
Hisbollah. In Gaza droht die Erstarkung terroristischer, weit radikalerer | |
Kräfte als der Hamas-Partei, die ersten IS-Fahnen wurden bereits gesichtet. | |
Die Verzweiflung der Palästinenser in Jerusalem und im Westjordanland | |
wächst ebenfalls. Sie wird sich zweifellos auch zukünftig in Gewalt | |
entladen, wenn kein politischer Horizont für eine Konfliktlösung geschaffen | |
wird. Energische diplomatische Interventionen könnten einen Rahmen für eine | |
Regelung schaffen, deren Parameter seit Jahren feststehen. Es ist an der | |
EU, dafür politische Verantwortung zu übernehmen. | |
18 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
René Wildangel | |
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