# taz.de -- Vom Flüchtling zum Pornostar: Almost famous | |
> „Ich wusste, dass ich damit berühmt werde.“ Ein syrischer Flüchtling | |
> dreht Pornos auf Arabisch. Ein Tabubruch – mit ernsten Folgen. | |
Bild: „Porno ist nur der Anfang“, sagt Antonio Suleiman, der von einer Holl… | |
Ein spülwasserwarmer Nachmittag hängt über der Stadt, als Antonio Suleiman | |
sich im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses auf dem Ecksofa fläzt und den | |
Plan durchgeht, der ihn zum Star machen soll. Ihn, einen Flüchtling aus | |
Aleppo, 19 Jahre alt. | |
„Du hast es noch nicht angeschaut?“, fragt er, zieht sein Handy aus der | |
Tasche, ein goldenes iPhone. Auf dem Display ist eigentlich schon alles zu | |
sehen, ein Filmausschnitt, zehn Minuten lang: Antonio, splitternackt, wie | |
er sich zwischen den Beinen einer keuchenden Brünetten abarbeitet. Mit | |
diesem Clip verbindet sich seine große Idee, sein Karriereplan. | |
„Wir schaffen das“, sagte Angela Merkel vor einem Jahr. Auch Antonio will | |
es schaffen. Es hängt ja plötzlich alles mit allem zusammen. Aleppo und | |
diese schläfrige Stadt in der deutschen Provinz. Der Krieg in Syrien und | |
die Frage, was die Flüchtlinge in aller Welt werden sollen. Die | |
Pornobranche und er. | |
„Männer denken immer: Porno ist ein geiler Job“, sagt er. „Aber das ist | |
nicht wie Sex zu Hause. Es ist anstrengend. Man hat nicht viel Spaß.“ Die | |
Wohnung gehört einem Freund, den er aus Aleppo kennt; da ist er | |
untergeschlüpft. Drinnen ist es sehr aufgeräumt, eine Sitzgruppe, ein | |
Fernseher stehen auf dunklem Laminat. Antonio hat Fruchtgummis und Kekse | |
bereitgestellt. Wo er sich aufhält, soll nicht in der Zeitung stehen. | |
Antonio versteckt sich. Er hat Todesdrohungen erhalten. | |
## Gehoppel, Gestöhne | |
Wie er da in den Polstern hängt, ein sehr junger Mann mit hübschem Gesicht, | |
die Haare adrett-verwegen nach oben gegelt, könnte er als Mitglied einer | |
Boyband durchgehen. Er heißt eigentlich nicht Antonio, Suleiman ist aber | |
sein richtiger Nachname. Noch immer flackern auf seinem Handy die Bilder, | |
er und die Frau, Gestöhne, Gehoppel, er oben, er unten. | |
„Klar, ich bin talentiert“, sagt er, „leider.“ Sonst wäre es bei dem e… | |
Home-Sexvideo geblieben, das er als Bewerbung an einen britischen | |
Pornoproduzenten schickte. So aber kam das eine zum anderen. Das Video zu | |
einem Casting in Amsterdam zu einem Dreh in Brüssel, das Werk mit dem Titel | |
„Cheating MILFs“ zu einem weiteren Dreh in Prag. MILF steht für Mother I�… | |
Like To Fuck, also attraktive Frauen mittleren Alters. | |
Antonio sagt, er ist stolz auf sich, darauf, dass er sein eigenes Geld | |
verdient. Aber ihm ist wichtig klarzustellen, dass er sich eigentlich etwas | |
anderes vorgestellt hat. „Das ist nicht, was ich will. Porno ist nur der | |
Anfang.“ | |
## „Ich kann noch viel mehr“ | |
Zwischen Antonios Flucht aus Aleppo und seinem Erfolg auf dem Pornomarkt | |
liegen vier Jahre und eine Geschichte, die sich anhört wie der Plot eines | |
modernen Schelmenromans: Ein Junge, der sich mit allen Mitteln durchs Leben | |
schlägt und dabei in immer neue, unvorhersehbare Situationen gerät. Das | |
fing schon damit an, dass er eigentlich gar nicht nach Deutschland wollte. | |
Er stammt aus der Aleppiner Mittelschicht, und als der Krieg näher kam, | |
kriegten die Eltern Angst um ihn. Sie bezahlten einen Schleuser, der ihm | |
einen gefälschten Pass und Flugtickets besorgte. Es sollte nach England | |
gehen. Aber in Deutschland war die Reise zu Ende: Am Flughafen Köln-Bonn | |
nahm die Polizei ihn fest. Inzwischen hat er den offiziellen | |
Flüchtlingsstatus. Antonio war bei seiner Ankunft gerade 15 Jahre alt, ein | |
Teenager, der von einer Karriere als Schauspieler träumte. Schon in Aleppo | |
hatte er in Theaterstücken mitgespielt. Er deutet auf sein Handydisplay, | |
sagt: „Ich kann noch viel mehr als das. Ich könnte Hollywoodfilme machen.“ | |
Antonio Suleiman meint das ernst. Er will groß rauskommen, am besten | |
sofort. Er lebte zunächst in Köln, kam bei Verwandten unter. Dort versuchte | |
er es an Theatern, beim Fernsehen und bei Filmproduktionsfirmen. Überall | |
kriegte er Absagen. Woran das lag? Am Rassismus der Deutschen, da ist er | |
ganz sicher. „Die erste Frage war immer: Woher kommst du? Nicht: Was kannst | |
du?“ Vor rund einem Jahr beschloss er, es in der Pornobranche zu probieren. | |
„Ich dachte, vielleicht werde ich so berühmt.“ | |
## Ein anstrengender Job | |
Es dauerte nicht lange, bis erste positive Rückmeldungen kamen. Charles | |
McMonagle, der Produzent, dem er sein Video schickte, sieht bei ihm | |
durchaus Potenzial: „Mir gefiel die Art, wie er aussieht, sein Körper“, | |
sagt er. „Also habe ich ihm eine Chance gegeben.“ Für männliche Darsteller | |
sei es schwerer als für weibliche. Denn die Männer müssten eine Leistung | |
bringen. „They have to perform.“ Das bedeutet: die Erektion halten, mit | |
Kameraleuten, Regisseuren, Assistenten ringsum, das kann nicht jeder. | |
Antonio habe seinen Job gut gemacht. Ob es für ihn eine Rolle spielte, dass | |
der Darsteller ein Flüchtling aus Syrien ist? McMonagle sagt: „In meinem | |
Geschäft zählt nur eine Sache: der Schwanz. Alles andere ist unwichtig. | |
Selbst den Kopf kann man im Notfall abschneiden.“ | |
Antonio Suleiman will ganz nach oben, er will in Filmen mitspielen, die | |
eine gute Geschichte haben, in Hollywooddramen, nein, noch besser, in | |
Filmen, wie sie die Franzosen drehen, mit Anspruch und Tiefe. Jugendliche | |
wie ihn gibt es viele, egal auf welchem Kontinent, Kids ohne | |
Schulabschluss, die von Starruhm träumen. Aber man muss ihm lassen, dass er | |
ein Gespür für öffentliche Wirkung hat: Vor rund einem Monat stellte er | |
seinen ersten eigenen Film ins Netz. Antonio hat ihn in Spanien gedreht, | |
eine professionelle Studioproduktion. Der Titel ist „King of Arabs“. Aber | |
den kurzen Ausschnitt, den er auf Portalen wie Pornhub hochlud, betitelte | |
er mit „Syrian Refugee Fucking a Hot Girl“. | |
Die Handlung ist schnell zusammengefasst: Ein König kaut gelangweilt | |
Weintrauben, als eine Kriegsgefangene zu ihm gebracht wird. „Er | |
vergewaltigt sie“, sagt Antonio. Was der Film zeigt, sieht zwar nicht nach | |
Gewalt aus, sondern nach Porno-Standardsex. Aber Antonio war klar, dass man | |
automatisch an Syrien denkt, an die IS-Terroristen, die Frauen verschleppen | |
und vergewaltigen. „Ich habe einen ernsten Film gemacht“, sagt er, „so ist | |
die Wirklichkeit. Gucken Sie, was der IS in Syrien macht.“ | |
## „Hundertprozentig berühmt“ | |
Das war sein Kalkül, der Tabubruch, die Rückkopplung an die Weltpolitik, | |
sein Rezept, um maximale Aufmerksamkeit zu generieren. „Ich wusste, dass | |
ich damit hundertprozentig berühmt werde.“ | |
Zudem hat er den Film auf Arabisch gedreht – das gab es bisher im | |
professionellen Segment noch nicht, sagt jedenfalls Antonio. Fest steht, | |
dass der Clip im Internet gewaltig Wirbel machte. „Selbst in China und | |
Indien haben die Medien über mich berichtet“, ruft er. Vor allem in Syrien | |
war er überall Thema in Onlineforen und sozialen Medien. Antonio grinst, | |
wirft sich ein Fruchtgummi in den Mund und sagt: „Die Leute haben über | |
nichts anderes mehr geredet. Die haben sogar Assad vergessen.“ Bekannte und | |
Nachbarn riefen bei seinen Eltern an: Wer ist dieser Antonio? | |
Seine Familie lebt inzwischen in Deutschland. Die Eltern, die Geschwister, | |
haben den Kontakt zu ihm abgebrochen. Ist seine Familie christlich oder | |
muslimisch? Antonio guckt zum Fenster. Draußen breiten sich leere Straßen | |
aus, pastellfarbene Altbauten. „Syrien ist gespalten, alle wollen wissen, | |
was ich bin.“ Als Pornodarsteller wäre er eine Schande für seine | |
Glaubensgemeinschaft. Antonio will sich nicht benutzen lassen. Er sei | |
Atheist, sagt er, das soll genügen. Er hat genug Ärger. | |
Vor zwei Wochen ist er umgezogen. In Köln fühlte er sich nicht mehr sicher. | |
Er bekommt täglich Hassmails. Beschimpfungen. Todesdrohungen. „Hurensohn“. | |
– „Wir schneiden dir den Kopf ab.“ – „Wir finden dich.“ Antonio wus… | |
genau, was er tat. Aber das Ausmaß der Wut hat ihn überrascht. Er geht | |
nicht mehr viel raus, und wenn, trägt er Sonnenbrille. | |
Dabei wirkten die Typen, die ihm auf Facebook drohen, nicht einmal | |
besonders religiös, erzählt er: „Die sehen aus wie Jugendliche, die in die | |
Disko gehen und viele Träume haben.“ Vielleicht sind sie eifersüchtig, | |
überlegt er. Antonio lebt Freiheiten aus, die den meisten jungen Männern in | |
Syrien verwehrt bleiben. Aber das ist nicht alles. | |
Auch die Menschen in Syrien haben von der Kölner Silvesternacht gehört, von | |
den massenhaften sexuellen Gewalttaten. Viele Menschen in Syrien werfen ihn | |
in eine Schublade mit den Tätern, glaubt Antonio: In beiden Fällen wurde in | |
Deutschland das Vorurteil vom triebhaften Orientalen bestärkt. In beiden | |
Fällen, so sehen es die Leute, haben Auswanderer Schande über ihre Länder | |
gebracht. | |
Pornofilme sind fast überall im Nahen Osten erhältlich, als illegale Kopien | |
und im Internet sowieso. „Die Männer in den arabischen Ländern gucken viel | |
mehr Pornos als die hier“, sagt Antonio. In konservativen, religiösen | |
Gesellschaften, wo Sex außerhalb der Ehe schwer zu kriegen ist, bleibt | |
vielen nichts anderes, oder, wie Antonio es ausdrückt: „Porno ist wie ein | |
Medikament.“ | |
## „Hier sind zu viele Syrer“ | |
Pornos gucken, das ist eine Sache. Aber ein Araber, der in einem Porno | |
mitspielt, das ist eine ganz andere. Im vergangenen Jahr machte das | |
US-Pornosternchen Mia Khalifa Schlagzeilen, eine gebürtige Libanesin. Das | |
Portal Pornhub kürte sie zu seiner beliebtesten Darstellerin. Auch sie | |
wurde mit Hass und Schmähungen überzogen. | |
Wie die Sache für Antonio weitergeht, ist noch unklar. Er würde gerne einen | |
Financier für eigene Projekte in Deutschland finden, aber da ist niemand in | |
Sicht. Im nächsten Monat wird er wieder einen Pornofilm drehen, eine | |
US-Produktion, es soll wieder um MILFs gehen. „Ich weiß noch nicht, wohin | |
ich gehe. Auf jeden Fall will ich nicht in Deutschland bleiben“, sagt er. | |
„Hier sind zu viele Syrer.“ | |
Dann steht er auf, läuft die Treppe herunter und tritt auf die Straße. Die | |
Sonne kommt durch, der Himmel wird hell und weit. Alles scheint möglich. | |
Im Gehen wendet er noch einmal den Kopf: „Kann ich die Zeitung in meinem | |
nächsten Film verwenden?“, fragt er. Ihm ist eine Idee für ein neues Skript | |
gekommen: Eine Frau liest sein Porträt. Und will danach unbedingt Sex mit | |
ihm haben. | |
3 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Gabriela Keller | |
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