# taz.de -- 11. Pornfilmfestival Berlin: Über'n sexuellen Tellerrand schauen | |
> Am Mittwoch startet das 11. Pornfilmfestival. Es gibt Alternativen zum | |
> Mainstreamporno, feministische und queere Sichtweisen auf Körpernormen. | |
Bild: Kann als erotisch empfunden werden – sieht aber nach Mainstream aus | |
Jahrelang habe ich davon gelebt, Pornos zu schauen und über die Filme | |
Rezensionen zu schreiben. Natürlich gab es bei dem schwulen Magazin, für | |
das ich damals arbeitete, auch anderen Kram zu erledigen, spannende, aber | |
auch langweilige Aufgaben. Doch Pornos gucken für Geld, wie das meine | |
Kollegen und ich belustigt nannten, war eine feine Sache. Der Spruch vom | |
Hobby, das zum Beruf wird, passt auf die Situation ziemlich gut. | |
Die Pornorezensionen haben wir ernst genommen, nicht nur, weil sie gelesen | |
wurden. Denn es gibt tatsächlich qualitative (und quantitative) | |
Unterschiede von Porno zu Porno. Das Licht ist wichtig (man will ja ALLES | |
sehen), die Kameraführung, den Schnitt, die Akteure, die Maske, die | |
Ausstattung – wie bei einem ganz normalen Spielfilm eben. Einige Pornos, | |
vor allem die aus den USA, aber auch Streifen aus Berlin, etwa des Labels | |
Cazzo, genügen höchsten Standards. Natürlich gibt es auch jede Menge billig | |
herunter gedrehten, schlecht ausgeleuchteten, uninspirierten Mist. | |
Das Konsumieren von Pornos ist in schwulen Kreisen etwas ganz | |
selbstverständliches, sodass Empfehlungen der neuesten Filme in schwulen | |
Magazinen und auf schwulen Websites zum guten Ton gehören. Völlig | |
gleichberechtigt im Kulturressort gleich neben den neuesten Kinostarts oder | |
Büchern. | |
Denn Porno gehört zur Alltagskultur. Genauer gesagt: ist Kultur. | |
Das lässt sich in Berlin einmal im Jahr ganz bequem beim Pornfilmfestival | |
überprüfen, das am kommenden Wochenende zum bereits elften Mal über die | |
Bühne geht. Gegründet hat das Festival der Berliner Filmemacher und | |
-produzent Jürgen Brüning, der mit seiner Firma Wurstfilm Pornos in Berlin | |
drehen lässt. Organisiert wird es von einem fünfköpfigen Team – | |
ehrenamtlich, was erstaunlich ist, schaut man sich das Ergebnis an: Im | |
Schnitt laufen über 100 Filme und Dokumentationen aus aller Welt. | |
## Ein weiter Porno-Begriff | |
Das Besondere: Der Porno-Begriff ist hier erfreulicherweise ein weiter. Das | |
Programm – Filme, Vorträge, Workshops, Lesungen, Performances – ist vor | |
allem geprägt von „weiblich-feministischen sowie queeren Sichtweisen auf | |
Fragen zu Sexualmoral, Identitäten, Körpernormen, Moralvorstellungen in | |
aller Welt und dem künstlerisch-alternativem Umgang mit dem Genre | |
Pornografie“, wie es in der Selbstbeschreibung des Festivals heißt. | |
Das Pornfilmfestival ist aber vor allem eine kuschelige Veranstaltung. Denn | |
es findet im Moviemento statt, dem ältesten Kino Deutschlands (1907 | |
gegründet), das mit seinen drei eher kleinen Kinosälen jedes Mal vor | |
BesucherInnen schier überquillt. Letztes Jahr waren es 8.000. Man trifft | |
Menschen aus aller Welt, bunt – im besten Sinne: queer – gemischt. Wie das | |
Programm. | |
Ich habe diese selbst für Berlin ziemlich einmalige Mischung aus | |
entspannten Leuten und ambitionierten Filmen mehrfach genießen können. Am | |
liebsten waren mir Kurzfilmsammlungen, weil die Minifilme alle Sexualitäten | |
zusammen würfelten: Da gibt es rein schwule oder lesbische, aber auch | |
heterosexuelle oder trans*-Pornos zu sehen. | |
Oder eben welche, in denen die Grenzen verschwimmen, wo nicht mehr wichtig | |
ist, was für einen Körper man(n) oder frau oder wer auch immer hat. Bei | |
denen Sympathie, Lust und Geilheit im Vordergrund stehen. Nicht | |
Definitionen. Oder Penetrationen. | |
Überhaupt: Es gibt immer allerhand Festivalfilme ohne explizite, also harte | |
Sexszenen im Sinne von Porno, die aber um so sexier sind. Erotik und Sex | |
ist ja eine Sache, die sich auch im Kopf abspielt. | |
## Stimulierend – sexuell wie intellektuell | |
Die Kurzfilme jedenfalls bieten erstaunliche Einblicke – und das im | |
wahrsten Sinne des Wortes. Was man anal alles anstellen kann, weiß ich als | |
schwuler Mann ja schon. Aber wo kriege ich schon mal eine weibliche | |
Ejakulation zu sehen? Beim Pornfilmfestival. | |
Charmant, dass in den allermeisten Produktionen Körper zu sehen sind, die | |
nicht den gängigen Klischees folgen, wie ein Körper heute angeblich | |
auszusehen hat – also alles andere als Abziehbilder zeigen. Die sind in | |
Mainstreampornos mehr als genug zu sehen. Doch hier gibt es dünne und dicke | |
Leute beim Liebesspiel, da haben alte oder behinderte Menschen Sex… | |
Das ist befreiend und wirkt nie verklemmt oder komisch – obwohl es oft | |
lustig zugeht! Das macht Spaß, natürlich auch im sexuellen Sinn (deshalb | |
knutschen und fummeln und wer weiß was noch manchmal auch Leute im Publikum | |
rum). Und ist zugleich intellektuell stimulierend. Denn wer über seinen | |
eigenen sexuellen Tellerrand schaut, lernt etwas fürs Leben. | |
Noch nie beim Pornfilmfestival gewesen? Dann wird es Zeit. Es gibt immer | |
wieder ein „erstes Mal“. | |
25 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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