# taz.de -- Job-Profiling für Flüchtlinge: Den Beruf gibt es hier nicht | |
> Ein Syrer, der viele Handwerke beherrscht, dies aber nicht belegen kann: | |
> Wie kann man das in die Sprache deutscher Jobcenter übersetzen? | |
Bild: Willkommenskultur: In der Erstaufnahmestelle Suhl (Thüringen) gibt's auc… | |
Hannover/Wennigsen taz | Am Tisch sitzt ein schmaler Mann mit grauem | |
Haarkranz und Karohemd. Er hat den Blick auf das Papier vor sich gesenkt, | |
auf Worte in einer Sprache, die er nicht versteht: „Kompetenzerhebung von | |
Asylbewerbern“. Neben ihm seine Frau, die zwei Kinder. Er denkt eine Weile | |
nach. Die Sache ist ihm wichtig, er will nichts Falsches sagen. Gegenüber | |
sitzt eine wasserstoffblonde junge Frau. Sie dreht den Kugelschreiber in | |
ihrer Hand und wartet. | |
Die Fragebögen wurden so oft kopiert, dass der Druck unscharf geworden ist. | |
„Gewünschter Beruf“ steht da ganz am Anfang. Mehrdad Khorazani spricht | |
leise Persisch, Omid, sein Sohn, lehnt sich vor, um ihn zu verstehen, er | |
übersetzt auf Englisch: „Elektrotechniker. Agraringenieur. Oder was mit | |
Computern. Er kann auch Sicherheitskameras und Löschanlagen installieren.“ | |
„Hm“, sagt Tanja Losonc, die Leiterin des Heims, in dem die Khorazanis | |
wohnen. „Vielleicht machen wir erst mal mit den Qualifikationen weiter.“ | |
Was Losonc, 29, hier macht, wäre eigentlich Aufgabe einer Beraterin der | |
Arbeitsagentur: Job-Profiling ist ein im Grunde einfacher Vorgang. | |
Flüchtlinge füllen einen Fragebogen aus, der in die Bereiche Schulbesuch, | |
Ausbildung, Studium und Berufserfahrung gegliedert ist. Das Problem dabei | |
ist häufig, dass zwei Systeme nicht zueinander passen: die Formulare der | |
Arbeitsagentur und die Lebensläufe der Flüchtlinge. | |
Von draußen fällt warmes Licht über den Tisch. Tanja Losonc ist über ihre | |
Notizen gebeugt. Die Johanniter-Unfallhilfe betreibt das Heim in Wennigsen, | |
einem Örtchen südwestlich von Hannover. Es ist gerade fertig geworden, eine | |
Vorzeigeeinrichtung. Alles wirkt hell und freundlich, Holz, hohe Fenster, | |
Laminat. Die Khorazanis kamen im April in Deutschland an. Aber die Angst | |
hat sie noch nicht losgelassen. Ihre richtigen Namen sollen nicht genannt | |
werden; sie haben noch Verwandte im Iran. | |
## Formblätter und Erfassungsbögen | |
Tanja Losonc fragt: „Wie viele Jahre sind Sie zur Schule gegangen?“ Das | |
Ehepaar Khorazani steckt jetzt in einer Maschinerie, die mit Formblättern | |
und Erfassungsbögen, mit Kompetenzanalysen und Beratungsterminen versuchen | |
wird, sie auf den Arbeitsmarkt zu vermitteln. | |
Normalerweise werden die Daten der Flüchtlinge bei der ersten Beratung in | |
der Arbeitsagentur erfasst. Aber ehe sie dort einen Termin kriegen, | |
vergehen Wochen. Damit die Kompetenzen möglichst früh erfasst werden, haben | |
die Johanniter Niedersachsen das Profiling der Menschen in ihren Heimen | |
übernommen. Tanja Losonc fing nach ihrem Bachelor in Psychologie als | |
Sozialarbeiterin bei den Johannitern an. Wenig später übernahm sie die | |
Leitung des Heims in Wennigsen. Inzwischen hat sie Dutzende | |
Profiling-Gespräche geführt. | |
Es gibt viele Projekte regionaler Initiativen, Wohlfahrtsverbände, | |
Hilfsorganisationen, die alle ein Ziel haben: Sie sollen die Eingliederung | |
der Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt beschleunigen. In der Region Hannover | |
hat die Arbeitsagentur die Kompetenzerfassung teilweise an freie Träger | |
übergeben. Ohne Hilfe, heißt es in der Behörde, sei die Arbeit nicht zu | |
stemmen. | |
Ruth Hartmann hat das Profiling-System mit aufgebaut. Im Januar hat sie die | |
Leitung des Fachbereichs Integrationsmanagement bei den Johannitern | |
übernommen. Sie sagt: „Ich war neugierig und habe in den Einrichtungen | |
gefragt: Was sind das denn für Menschen, die gekommen sind?“ | |
Im Sommer 2015, als Flüchtlinge zu Hunderttausenden über die Grenze | |
strömten, hieß es: Da sind die Fachkräfte, die in Deutschland fehlen. Von | |
diesem Optimismus ist nicht viel geblieben. Nun gehen die meisten Experten | |
davon aus, dass sich die Mehrheit nur für Hilfsjobs eignet. Aber es weiß | |
noch niemand genau, wer diese Leute sind und was sie tun werden. | |
„Ich habe gesagt, wir müssen uns ein Bild verschaffen“, sagt Ruth Hartmann. | |
Denn nur wenn der Bildungsstand der Flüchtlinge bekannt ist, könne man | |
ihnen passende Aus- und Fortbildungsprogramme vermitteln. „Jeder – der | |
16-jährige hochbegabte Schüler ebenso wie die 50-jährige Mutter von zehn | |
Kindern – soll die gleiche Chance auf Integrationsmaßnahmen haben.“ | |
## Weniger streng reguliert | |
Das Problem ist, die Fähigkeiten für den deutschen Arbeitsmarkt zu | |
bewerten. In Deutschland gibt es für die meisten Berufe eine | |
standardisierte Ausbildung. In Syrien, Irak oder Iran sind viele Laufbahnen | |
weniger streng reguliert. Das ist das eine. Das andere ist die | |
Verständigung: Eigentlich bräuchte man für das Profiling einen Übersetzer, | |
der sich gut in der Materie auskennt. Aber dafür gibt es keine Mittel. | |
Tanja Losonc muss sich behelfen. Im Fall der Khorazanis dolmetscht der | |
Sohn. Omid, 16, fallen die dunklen glatten Haare wie ein Vorhang in die | |
Stirn. Sein Englisch ist gut, aber manchmal fehlt ihm eine Vokabel. Dann | |
tippt er sie in die Englisch-Persisch-App auf seinem Handy. | |
Seine Eltern haben ihre Pässe vor sich gelegt. Sie müssen alle Daten | |
umrechnen, die iranische Zeitrechnung ist anders als die westliche. Der | |
Vater kam 1975 in die Schule, im Iran war es das Jahr 1345. Khorazani | |
schreibt, streicht durch, schreibt darüber. „Is that readable?“ | |
Die Flüchtlinge, die 2015 kamen, waren bislang damit beschäftigt, | |
Asylanträge zu stellen und Integrationskurse zu belegen. Jetzt beginnt eine | |
große Zahl von ihnen damit, Arbeit zu suchen. Ob ihre Integration gelingt, | |
wird auch davon abhängen, welche Perspektiven sie haben. Wenn es schlecht | |
läuft, werden hunderttausende arbeitswillige, leistungsfähige Menschen über | |
Jahre in den Sozialsystemen festhängen. | |
Vahrenheide im Norden von Hannover, eine andere Flüchtlingsunterkunft: Auf | |
einer Wiese zwischen Kanal und A2 ragt ein Bau aus grün lackierten | |
Containern auf. Im Gemeinschaftsraum sitzen zwei Cousins aus Syrien. Beide | |
haben muskulöse Arme und rasierte Köpfe, Hussein al-Ahmed al-Khalaf, 39, | |
und Kamal al-Mohammad Almaziad, 32, stammen aus Minbej nahe Aleppo, einer | |
Hochburg des Islamischen Staats. | |
## Unzureichende Definitionen | |
Wenn von Flüchtlingen ohne formalen Bildungsabschluss die Rede ist, geht es | |
um Männer wie sie. Doch wer bei ihrem Profiling-Gespräch zuhört, merkt, | |
dass solche Definitionen zu kurz greifen. | |
Am Kopf des Tischs lässt sich Amer Barniah nieder, auch er ein Flüchtling | |
aus Syrien. Barniah macht Bundesfreiwilligendienst, ein Glück für das Heim | |
– ein Helfer, der Arabisch spricht. Er ist dort zuständig für das | |
Profiling. Auch Ruth Hartmann, die Fachbereichsleiterin, ist heute dabei; | |
sie hat sich an der Seite dazugesetzt. | |
Almaziad, der jüngere Cousin, schiebt Barniah wortlos sein Formular zu. Er | |
tut sich schwer mit der lateinischen Schrift. | |
Gewünschter Beruf? „Ich mache alles im Haus, tapezieren, streichen, alles | |
außer Elektrik“, sagt al-Khalaf, der ältere Cousin. | |
„Was ist das für ein Beruf?“, fragt Barniah, der Profiler. | |
„Hausmeister?“, fragt Ruth Hartmann. | |
Nein. | |
„Maler und Anstreicher?“ | |
„Ich arbeite auch mit Beton und Gips.“ | |
Einschaler? Oder Stuckateur? Gibt es diesen Beruf in Deutschland überhaupt? | |
## Ausbildung? | |
Amer Barniah hatte neulich mit einem Afrikaner zu tun, der neben dem Bus | |
das Geld der Fahrgäste einsammelte. Auch dafür gibt es in Deutschland | |
keinen Begriff, weil es den Beruf nicht gibt. „Das Problem ist oft, dass | |
die Berufe nicht eins zu eins übertragbar sind“, sagt er. | |
Dann wendet er sich wieder den Cousins aus Syrien zu. „In welcher Firma | |
haben Sie ihre Ausbildung gemacht?“ | |
Ausbildung? Al-Khalaf guckt ratlos. Er sagt: „Ich arbeite seit 25 Jahren in | |
meinem Beruf.“ | |
Eine Ausbildung hat er nie gemacht. Es gibt in Syrien kein | |
Ausbildungssystem wie in Deutschland. „Unsere ganze Familie arbeitet in der | |
Baubranche, meine Onkel, die Brüder, alle sind Maurer, Maler und Tischler, | |
einer ist Fliesenleger. Die haben mir alles beigebracht“, sagt al-Khalaf. | |
Was er und sein Cousin reichlich haben: Know-how, Vielseitigkeit, | |
praktische Erfahrung. Doch damit allein kommt man auf dem deutschen | |
Arbeitsmarkt nicht weit. | |
Al-Khalaf ist bis zur Mittelstufe in die Schule gegangen, sein Cousin sechs | |
Jahre lang. Zeugnisse? „Die sind alle in Syrien.“ | |
## BMW statt Jura | |
Amer Barniah, der Freiwilligendienstler, nickt. Er selbst hat in Damaskus | |
Jura studiert, er war fast fertig damit; „Jura war mein Traum“, sagt er. | |
Aber was hilft ihm nun seine Kenntnis des syrischen Rechts? Er hat sich für | |
das Fach Mechatronik eingeschrieben. Am liebsten wolle er bei BMW arbeiten. | |
„Das ist jetzt mein Traum.“ | |
70 bis 80 Prozent der Flüchtlinge in Deutschland habe keinen formalen | |
Ausbildungsnachweis, heißt es bei der Bundesagentur für Arbeit. Das kann | |
vieles bedeuten. Entweder dass sie nur als ungelernte Kräfte tätig waren. | |
Oder dass sie die Nachweise nicht dabeihaben. Ohnehin sind das nur | |
Schätzungen; es gibt bisher keine systematisch erhobenen Daten. | |
„Wir haben ein formales System in Deutschland“, sagt ein Sprecher der | |
Arbeitsagentur, „und man merkt immer wieder: Wenn man keinen Abschluss hat, | |
hat man keine Chance.“ | |
Zurück in Wennigsen. Mehrdad und Parastoo Khorazani aus dem Iran sitzen | |
über ihren Bögen, konzentriert wie Schüler in einer Prüfung. Parastoo, eine | |
zierliche Frau mit engem T-Shirt und halblangen Locken, hat im Iran als | |
Sportlehrerin gearbeitet. Der Vater hat Agrartechnik studiert. Die Mutter | |
ist auf eine pädagogische Hochschule gegangen. Wo ist das Abschlusszeugnis? | |
„It’s here“, sagt sie. | |
„Ah, that’s really good“, sagt Tanja Losonc, die Heimleiterin. | |
Die Tochter, elf Jahre, sitzt still neben ihr. Der Sohn sagt: „Meine Mutter | |
hat einen Master. Dafür musste sie sechs Jahre studieren.“ | |
„Wir müssen prüfen, ob das einem deutschen Master entspricht.“ | |
Der Vater reißt das Fenster auf. Draußen ruhige Straßen, grüne Vorgärten, | |
Giebelhäuser, Vögelgezwitscher. | |
## Schikane, Verhaftung, Folter | |
Die Familie ist das, was man Mittelschicht nennt. Aber sie sind zum | |
Christentum übergetreten. Konvertiten drohen im Iran Schikane, Verhaftung, | |
Folter. „Es gab deswegen Probleme“, sagt Omid, der Sohn. Der Vater | |
schweigt, die Mutter guckt zur Wand. Der Junge sagt: „Sie haben uns | |
bedroht. Sie haben meine Mutter schwer verletzt.“ Was genau ist passiert? | |
Parastoo Khorazani läuft weinend aus dem Raum. Losonc lässt den Stift | |
sinken. Die Stille legt sich schwer über den Raum. | |
Ein paar Minuten später kommt die Mutter zurück, es geht weiter. Wo hat | |
Mehrdad Khorazani angefangen zu arbeiten? In einem Unternehmen, das vor | |
Kurzem verstaatlicht wurde. „Da war er IT-Manager.“ | |
„Er hat aber doch etwas ganz anderes studiert“, sagt Losonc, „nun bin ich | |
verwirrt.“ | |
Nach dem Studium habe er eine IT-Fortbildung gemacht, sagt Omid. „Und er | |
hat als Selbstständiger Sicherheitssysteme installiert. Da hat er auch noch | |
eine Ausbildung. Mein Vater hat sehr viele Qualifikationen.“ | |
## Die Termine sind rar | |
Das Profiling ist der Anfang. Als Nächstes müssen Mehrdad und Parastoo | |
Khorazani ihre Diplome prüfen lassen. Um Migranten dabei zu unterstützen, | |
gibt es spezialisierte Beratungsstellen, zum Beispiel bei der Industrie- | |
und Handelskammer Hannover. Sie könnten sich sonst „verirren in dem | |
Dschungel, den es in Deutschland gibt“, heißt es bei der IHK. | |
Aber bis man einen Termin kriegt, vergehen zwei, drei Monate, so groß ist | |
die Nachfrage. Das Verfahren ist aufwändig. In der Regel dauert es ein | |
halbes Jahr bis Jahr. Wer keine Nachweise vorlegen kann, kann eine | |
Qualifizierungsanalyse machen. Das heißt: eine Weile in einem Betrieb | |
arbeiten und sich praktisch prüfen lassen. | |
„Wir merken, dass einige sehr früh zu uns kommen“, sagt Ilyas Isa, ein | |
Berater bei der IHK. „Die haben noch keinen Sprachkurs gemacht, wollen aber | |
ihre Anerkennung vorantreiben.“ Aber wer nicht gut Deutsch spreche, habe | |
kaum eine Chance. „Es ist manchmal schwierig, den Leuten das zu erklären. | |
Die haben ja ihr Leben lang gearbeitet. Wir spüren zum Teil, wie frustriert | |
und machtlos sie sich fühlen.“ | |
Im Hannover-Vahrenheide sind Hussein al-Ahmad al-Khalaf und Mohammad | |
Almaziad, die Cousins aus Syrien, nicht ganz bei der Sache, immer wieder | |
schweifen ihre Gedanken von den Formularen ab. Al-Khalaf sagt, er müsse | |
dringend Arbeit finden. Seine Frau und seine sieben Kinder sind noch in | |
Minbej. „Sie brauchen Geld, um Essen zu kaufen, für Brot.“ | |
Anfang 2014 übernahm der IS die Kontrolle über ihre Heimatstadt. Al-Khalaf | |
kam ins Gefängnis, weil seine Tochter, acht Jahre alt, ohne Kopftuch | |
draußen war. Auch Almaziad sperrten die Islamisten ein, der hatte | |
Wasserpfeife geraucht. Vor fast genau einem Jahr machten sie sich im Boot | |
auf den Weg nach Griechenland, dann weiter mit dem Bus, der Bahn, zu Fuß. | |
## Es wird immer komplizierter | |
Nun sitzen sie in dem Heim am Rand von Hannover. Und je mehr sie erklären, | |
desto mehr rätselt Amer Barniah, der Profiler, welche Berufsbezeichnung er | |
eintragen soll. | |
„Wenn es keine Arbeit als Stuckateur gibt, arbeite ich als Maler“, sagt | |
al-Khalaf. „Wenn es keine Arbeit als Maler gibt, arbeite ich als Maurer.“ | |
Wie soll man das den Handwerkskammern erklären? | |
„Ich habe Wände verputzt und viel mit Beton gearbeitet.“ | |
Was kann das sein? | |
„Trockenbauer!“, ruft Ruth Hartmann. Trockenbauer arbeiten eigentlich mit | |
Wandverkleidungen, nicht mit wasserhaltigen Stoffen wie Beton. Aber so | |
steht es nun in dem Formular. | |
Den Cousins wurde subsidiärer Schutz gewährt. Sie dürfen zunächst ein | |
Jahr bleiben und sich Arbeit suchen. Aber sie können ihre Familie nicht | |
nachholen. Almaziad überlegt, zurückzugehen. „Um bei meiner Familie zu | |
sein.“ Sein Cousin dreht die Handflächen zur Decke: „Hier kann ich nichts | |
machen, außer essen, trinken, schlafen, aber das reicht nicht.“ | |
Almaziad wird bald mit einem Sprachkurs anfangen, danach ein Praktikum. | |
„Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht“, sagt er, „das ist ein schlecht… | |
Gefühl.“ | |
Bisher geht die Suche nach Arbeit für die große Mehrzahl der Flüchtlinge | |
schlecht vorwärts. Einer Umfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung | |
zufolge wurden in den 30 DAX-Unternehmen nur 54 Stellen mit Flüchtlingen | |
besetzt. Im Juli waren 141.000 Flüchtlinge arbeitslos gemeldet. Aber das | |
ist erst der Anfang. Die Arbeitsagentur rechnet damit, dass der große | |
Ansturm bald einsetzen wird. | |
## Der Ingenieur gärtnert | |
In Wennigsen bricht der Mittag an. Omid Khorazani lehnt sich in seinem | |
Stuhl zurück und kaut Kaugummi. „Wir hatten alles“, sagt er, „zu Hause | |
fehlte es an nichts.“ Seine Eltern haben alles verkauft. 30.000 Euro | |
verlangte der Schlepper, dafür gab es gefälschte Pässe und Flugtickets. | |
Omid war gerade in einer Schule für Hochbegabte aufgenommen worden, „die | |
beste Schule der Provinz“, sagt er. | |
In Wennigsen wird er in der zehnten Klasse des Gymnasiums einsteigen. Ein | |
Lehrer, der sein Potenzial erkannte, gibt ihm bis dahin jeden Tag | |
Deutschunterricht. Nun wird Omid unruhig, er muss los in die Schule. Tanja | |
Losonc, die Profilerin, fragt schnell die restlichen Punkte ab. | |
Sprachkenntnisse? „Nur Farsi.“ | |
Später wird sie versuchen, die Daten zu prüfen. Sie wird die Namen von | |
Hochschulen und Lerninstituten googeln und hoffen, dass sie etwas findet, | |
was ihr hilft, die Abschlüsse einzuschätzen – sie ist als Profilerin | |
schließlich eine Quereinsteigerin. „Das Schwierigste war anfangs, die | |
Bildungssysteme zu durchschauen, da muss man erst mal reinkommen“, sagt | |
sie. „Manchmal muss man zehnmal nachfragen. Es kann sein, dass sie | |
erzählen, sie haben gearbeitet, und dann stellt sich heraus, dass sie doch | |
nur ein Praktikum gemacht haben.“ | |
Tanja Losonc steht auf, um ihr Heim zu zeigen; läuft durch die Flure, von | |
denen die Zimmer abgehen, Treppe rauf, Treppe runter. 39 Menschen leben | |
hier. „Der Wille zu arbeiten ist da“, sagt sie, „auch bei denen, wo man | |
denkt: Das wird schwierig.“ | |
Dann tritt sie in den Garten. Vorn gibt es ein Beet, das noch brachliegt. | |
Dort sollen die Flüchtlinge einen Kräutergarten anlegen. Mehrdad Khorazani | |
wird die Projektleitung übernehmen. „Wir nutzen die Erkenntnisse aus dem | |
Profiling, um hier den Alltag zu gestalten“, sagt Losonc. Gärtnern für den | |
Agraringenieur. Das klingt nicht wie eine Aufgabe, die einen Akademiker | |
ausfüllt. Aber es ist ein sinnvoller Zeitvertreib an einem Ort, wo die | |
Menschen sonst nur warten können. Ein Anfang. Ein kleiner Schritt in das | |
neue Leben. | |
21 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Gabriela Keller | |
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